„Deutschland ist nicht zusammengewachsen“

Was denn nun der ganz konkrete Grund für die hohe Beliebtheit von Pistorius sei? Seinitz: „Er führt einfach. Und es ist schon so, dass die Bevölkerung, die Wähler, Führung verlangen. Der Scholz hat zwar gesagt: Wer bei mir Führung bestellt, der bekommt sie. Aber genau das ist nicht passiert bei Scholz. Und deshalb ist die Enttäuschung so groß. Bei Pistorius weiß man aber, dass das sicher der Fall sein wird.“ Ob die aktuell große Enttäuschung in Deutschland auch deshalb so groß sei, weil im Vorfeld der gestürzten Ampelregierung auch Langzeit-Kanzlerin Angela Merkel der Bevölkerung einen Scherbenhaufen hinterlassen habe? Seinitz: „Ja, die Deutschen erleben seit rund fünf Jahren nur noch Scherbenhaufen. Deshalb ist der Frust ja so groß. Es ist eine Strukturkrise wegen der mangelnden deutschen Entwicklung in den letzten dreißig Jahren.“

US- Truppenabzug aus Deutschland?
Auch rundum würden sich internationale Partner zunehmend von Deutschland absetzen. So die USA unter Donald Trump. Etwa betreffend der zigtausenden amerikanischen Soldaten, die in Deutschland stationiert sind. Die könnten abgezogen werden. Seinitz: „Davon gehe ich aus. Trump hält amerikanische Truppen in Europa für unnütz. Ein riesiger Kostenfaktor für Amerika. Einen Stützpunkt in Griechenland schließt er auch bereits. Die Truppen zieht er ab, um Geld einzusparen.“ Ob denn eine wiedererstarkte deutsch-französische Achse unter Emmanuel Macron und dem künftigen deutschen Kanzler Friedrich Merz das europäische Standing wieder erhöhen könnte? Seinitz: „Das halte ich für sehr wahrscheinlich. Die erste Reise von Merz wird demonstrativ nach Paris sein. Um zu unterstreichen, dass die deutsch-französische Achse wieder auf Schiene ist. Trump mag den Macron einfach. Die haben sich jetzt gerade beim Besuch von Macron bei Trump fast abgebusselt.“

Besser-Wessis und Jammer-Ossis
In Deutschland habe der Wahlsonntag aus Sicht des renommierten Krone-Journalisten hingegen eine Art Abschieds-Symphonie von Spitzenpolitikern eingeleitet. Wer davon betroffen sei? Seinitz: „Scholz ist weg. Lindner von der FDP ist weg. Sahra Wagenknecht kann sich dazu nicht überwinden, zurückzutreten. Sie ist aber weg vom Fenster. Nur im Osten Deutschlands ist sie mit ihrer Partei in den Landesparlamenten der neuen deutschen Bundesländer vertreten. Und wenn man sich die deutsche Wahl-Landkarte mit der Farbe der dominierenden Parteien ansieht: Links die alte Bundesrepublik Deutschland, die ist schwarz. Und rechts die Ex-DDR, die ist AfD-blau. Außer Berlin. Aber der Rest der alten DDR ist flächendeckend blau. Bis zu vierzig Prozent hat da die AfD. Für mich ist das ein Phänomen. Statt zusammenzuwachsen, driften die beiden Landesteile Deutschlands wieder auseinander. Ich habe Bekannte im Westen Deutschlands. Die haben langsam die Nase voll, dass sie noch immer Solidaritätszuschlag zahlen für den Aufbau der neuen Bundesländer im Osten Deutschlands. Den gibt es seit der Wiedervereinigung. Die Zahlen für den Aufbau. Und müssen sich dann ´von Drüben´ etwas sagen lassen. Ja, die reden immer noch von „Drüben“. Deutschland ist nicht zusammengewachsen. Die im Westen sind die ,Besser-Wessis‘. Und die im Osten sind die Jammer-Ossis. Das ist unfassbar.“