Nur rund 1500 Fans fanden sich Freitagabend im Wiener Gasometer ein, um der zweifachen ESC-Siegerin Loreen beim Konzertieren zuzusehen. Trotz bemühter Bühnenshow, vielseitiger Stimmleistung und dicker Beats bleibt der fahle Beigeschmack, dass „abendfüllend“ mehr beinhalten muss als zwei Hits und viel Spielfreude.
Erfolge verpflichten. Das gilt auch für die Schwedin Loreen, der es nach dem Iren Johnny Logan als zweite Person der Bewerbshistorie gelang, den Song Contest zweimal zu gewinnen. 2012 verzauberte sie in Baku nicht nur mit dem Lied „Euphoria“, dem vielleicht stärksten ESC-Song dieses Jahrtausends, sondern zeigte sich im aufgeheizten Afghanistan-Konflikt auch politisch mutig. 2023 wiederholte sich der Triumph mit dem zwar weniger spannenden, aber nicht mehr ganz so beliebten Track „Tattoo“, der sie und ihre schwedische Heimat noch einmal jubeln ließ. Neben Conchita Wurst steht Loreen wie keine zweite ESC-Person für Zusammenhalt, Liebe, LGBTQ-Rechte und realpolitischen Aktivismus. Dass sie sich im Gaza-Konflikt wie so viele andere Künstler durch auf die Seite Palästinas schlug und 2024 bei einem etwaigen Israel-Sieg sogar die Trophäenübergabe beim ESC verweigerte, brachte erstmals markante Ambivalenz in die zwischenmenschlich so saubere Vita der Künstlerin.
Ankunft via Portal
Der für viele heiß ersehnte Auftritt im Wiener Gasometer lief aber deutlich an der großen Masse vorbei. Nur 1500 Zuseher verirrten sich Freitagabend in Simmering, die Halle war nicht einmal halb voll. Und das, obwohl Loreen zuletzt 2015 österreichischen Boden betrat, da aber auch nur, um sich thematisch passend beim Life Ball zu präsentieren. Die letzten Touren steuerten zielgerichtet an der Alpenrepublik vorbei. Ob es nach dem schwach besuchten Gig ein schnelles Wiedersehen gibt, kann angezweifelt werden. Als Loreen mit leichter Verspätung die Bühne betritt, ist das Publikum nach zwei Vor-Acts auf Betriebstemperatur und in freudiger Erwartung. Inszenatorisch sind links Percussion und Drumset, rechts Elektronik und Keyboard aufgebaut, während die Meisterin selbst nach einem ausladenden Intro gemütlich über die Bühne schreitet, um sich vor dem Portal-artigen, schräg-gerichteten Kreis zu stellen, der eine Art Ankunft des Extraterrestrischen vermittelt.
Als zweimalige Song-Contest-Siegerin ist Loreen in erster Linie eine optische Erscheinung. Das lange schwarze Haar wallt im Ventilatoren-Wind, während die Stirnfransen ihr etwas Mystisches verleihen. Das lederne Glitzergewand ist hauteng, die markanten Fingernägelhandschuhe sind dazu längst zu einer internationalen Trademark geworden. Ein Keyboarder bzw. E-Piano-Spieler und ein Drummer reichen ihr für das Live-Setting, der Rest kommt vom Band. Mit „Jupiter Drive“ und „Gravity“ startet Loreen galaktisch in den Abend und gibt die Richtung vor. Irgendwo zwischen eruptivem Pratersauna-Techno und entschleunigter Melancholie bewegt sich Loreen in unterschiedlichen musikalischen Sparten, die aber immer auf die Emotionen als kleinsten gemeinsamen Nenner setzen. Stimmlich zumeist intensiv, zwischen hauchzart und wild ausufernd, verkommt der Sound gerne zum effektlosen Zubrot.
Euphorie und Statik
Eine Loreen-Show ist minimalistischer, als sich das mancher vorstellt. Es wird ausschließlich mit Weißlicht gearbeitet, das zur Verdeutlichung des diffusen Gesamteindrucks meist mit Bühnennebel vom Boden nach oben gestrahlt wird. Loreen selbst ist eine Meisterin der Gestik, ohne sich groß zu bewegen. Während ihre Füße beständig am Boden bleiben, verrenkt sie sich katzenartig in alle möglichen Positionen und ergreift damit sofort das Kommando. Der Jubel bei Songs wie der relativ neuen Nummer „Warning Signs“ oder dem balladesken „Hate The Way I Love You“ ist euphorisch, aber mit Fortdauer des Sets nützen sich Bühnenbild und Performance zusehend ab. Während der Song Contest mit seinem Budget visuell über alle Stränge schlägt, muss die Künstlerin auf eigener Tour natürlich anders haushalten. So bleibt das Bühnenbild statisch, das Licht unverändert und die Bewegungslosigkeit Loreens dauerhaft.
Was sich am Drumherum nicht mehr verändern lässt, muss dann durch die Kraft der Musik übertüncht werden. Wie so viele ESC-Sieger hat auch Loreen abseits des Bewerbs die Erfolgsbeine nie so richtig auf den Boden bekommen. Das letzte Studioalbum liegt fast acht Jahre zurück und auch wenn diverse Songs stark produziert und inhaltlich gut durchdacht waren – den großen Bang gab es in Loreens Solokarriere bislang nicht. Ihr treu ergebenes ESC-Stammpublikum feiert die Wiener Performance inbrünstig ab, außerhalb dieser Bubble lassen sich aber nur vereinzelt Köpfe in der Halle erahnen. Dabei wären die Ansätze gut gelungen. Das sanft einleitende „Dreams“ etwa ist ein kompositorisches Fabelstück, das sich mit Fortdauer zu einem ausladenden Crescendo aufschwingt. Wenn Loreen nicht gerade singt, steht sie wie eine Mischung aus dem „James Bond Intro“ und Alice Cooper am Cover seines Kultalbums „Trash“ im Portal-Kreis, um auf den nächsten Einsatz zu warten oder schlichtweg eindrucksstark zu posieren. Das gefällt auch Österreichs heuriger ESC-Hoffnung JJ, der freudig mittanzt und mitfilmt.
An der Königsdisziplin scheitern
Die Kommunikation mit dem Publikum wird seitens der Schwedin auf ein Mindestmaß zurückgefahren, bis nach einer knappen Stunde Wartezeit die beiden Songs kommen, auf die der Großteil des Publikums gewartet hat. „Euphoria“ erweist sich auch 13 Jahre später noch als eindrucksvoll clubbige Glanznummer, die Energie von „Tattoo“ weiß von Anfang an mitzureißen. So ist der Spaß nach nicht einmal 70 Minuten fast vorbei, bis sie die Gesamtlänge weiter rausschindet. Eine kurze Bestandsaufnahme zur Lage der Welt und die extra in die Länge gezogene Zugabe „Fire Blue“ erhöhen zwar die Quantität des Abends, aber nicht zwingend auch die Qualität dessen. Wie so oft bei ESC-Triumphatoren scheitert ein Konzert daran, dass es auf Langstrecke schlichtweg nicht ganz reicht. Vor einer Bombastbühne einen Top-Song zu inszenieren kann zur Show des Lebens führen – ein ganzes Album gut zu schreiben, oder einen Konzertabend mit dem richtigen Spannungsbogen, Spielfreude und starken Songs zu füllen, erfordert aber ein anderes Erfahrungs- und Routinelevel. Daran scheitert – trotz Sympathie, Bühnenbild und den Songs - am Ende auch Loreen. Abendfüllend zu überzeugen, ist eben die Königsdisziplin.
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