Die Doppelhaushälfte als bürgerliches Liebeskorsett: Regisseurin Barbara-David Brüesch verlegt Mozarts „Così fan tutte“ ins Heute und inszeniert die Oper in Graz als Boulevardkomödie.
Herzlich willkommen in einer vorstädtischen Liebeshöhle – oder ist es doch eine Liebeshölle? Die frischverliebten Pärchen Fiordiligi und Guglielmo sowie Dorabella und Ferrando leben in der Grazer „Così fan tutte“ in angrenzenden Doppelhaushälften. Man grüßt sich auf dem Weg zur Arbeit, schaut gemeinsam Fußballspiele im TV und zelebriert eine friedvoll-freundliche Nachbarschaft.
Zumindest bis zu dem Moment, in dem der schleimige Don Alfonso den beiden Pantoffelhelden dieser biederen Zweisamkeit eine Wette über die Treue und Standhaftigkeit ihrer Geliebten abringt. Gemeinsam mit der Hausangestellten Despina verwickelt er die Paare in ein Spiel der Gefühle, das als lustige Maskerade beginnt, in dem es aber schon bald ans Eingemachte geht und das Fundament der Liebe gehörig ins Wanken gerät.
Amor tänzelt durch die Doppelhaushälften
Die Schweizer Regisseurin Barbara-David Brüesch versucht mit ihrem Team gar nicht erst, aus dem – man muss es so sagen – hanebüchenen Libretto eine emotional schlüssige Geschichte zu formen. In der Form von Tänzerin Ann-Kathrin Adam lässt sie Amor symbolhaft durch die Siedlung tänzeln und gemeinsam mit Don Alfonso (solide-dämonisch: Wilfried Zelinka) und Despina (gewitzt: Ekaterina Solunya) ordentlich romantischen Staub aufwirbeln.
Im ersten Akt schöpft sie dabei mit dem spielfreudigen Ensemble mit vollen Händen die boulevardeske, ja sogar clowneske Seite der bürgerlichen Maskerade rund um Treue und Verrat ab. Im zweiten Akt dann bricht sie nicht nur optisch die verträumte Doppelhaushälften auf (Bühne: Alain Rappaport), sondern lässt auch das Liebesquartett eine Spur weit aus seinem bürgerlichen Korsett ausbrechen und durchaus unerwartete Tiefen der Gefühlswelt erkunden.
Liebesquartett mit jungen Stimmen
Besetzt ist dieses Quartett in Graz mit jungen Stimmen, aus denen Sopranistin Corina Koller als Fiordiligi mit Verve und kristallklaren Höhen heraussticht. Nikita Ivasechko (Guglielmo) und Ted Black (Ferrando) sind stimmlich solide, punkten vor allem mit ihrer Spielfreude. Und Sofia Vinnik (Dorabella) kann mit ihrem samtenen Mezzo vor allem in den lyrischen Passagen überzeugen.
Ähnliches kann man übrigens auch über das Dirigat von Dinis Sousa sagen: Sobald die Musik in Richtung Sehnsucht und Zweifel kippt, vermögen er und die Grazer Philharmoniker (samt Opernchor unter Johannes Köhler) mit gediegenem Klang zu überzeugen. Wo Pepp und Pfiffigkeit gefragt wären, hat dieser Abend jedoch in musikalischer Hinsicht auch so manchen Durchhänger.
Das ändert aber nichts daran, dass diese neue Grazer „Così fan tutte“ als Gesamterlebnis durchaus prickelnd und unterhaltsam ist – so prickelnd und unterhaltsam wie es eine Affäre mit dem Nachbarn eben sein kann.
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