Ein Schlaganfall bei der Volksschullehrerin Sabine Schuster (Ann-Kathrin Kramer) stellt das Leben der gesamten Familie auf den Kopf. Nach 25 Jahren Beziehung stellt sich für sie und Ehemann Stefan (Harald Krassnitzer) die Frage, ob die Liebe stärker ist als alle Krisen. „Aus dem Leben“ (20.15 Uhr, ORF 2) zeigt das auch im realen Leben verbandelte Paar Kramer und Krassnitzer in Hochform – wir sprachen mit ihnen über die Kraft der Liebe und Parallelen zum echten Leben.
„Krone“: In „Aus dem Leben“ ist ein langjähriges Ehepaar mit einer Krisensituation konfrontiert. Die Frau erleidet einen Schlaganfall und nichts ist mehr, wie es vorher war. Das rüttelt nicht nur die Zweisamkeit auf, sondern trägt auch manch Verborgenes ans Licht. Wie lange hat es gedauert, bis ihr für das Projekt zugesagt habt?
Harald Krassnitzer: Der gesamte Prozess dauerte drei Jahre und lief mit uns parallel. Wir wurden gefragt, ob wir überhaupt gemeinsam was machen wollen. Wir haben lange über dieses Thema geredet und stellten fest, dass es uns am meisten interessiert. Erstens, weil es zunehmend stärker der Fall ist, dass Schlaganfälle zu Volkskrankheiten werden. Nicht nur für Männer und Menschen mit Vorbelastungen, sondern dass es auch sehr sportlichen Leuten passiert, die gar nicht zu den üblichen Verdächtigen gehören. Zweitens, weil es zunehmend Frauen trifft. Zusätzlich hat uns eine Statistik interessiert. 80 Prozent der Frauen bleiben bei den Männern, die so ein Schicksal erleiden, aber nur 20 Prozent umgekehrt.
Ihr beide seid im echten Leben seit mehr als einem Vierteljahrhundert miteinander liiert. Lässt sich bei einem so intensiven Thema das Private vom Beruflichen gänzlich trennen?
Ann-Kathrin Kramer: In der Arbeit versuchen wir uns auf die Geschichte zu konzentrieren, die wir erzählen wollen, ohne Äpfel und Birnen zu vermischen. Wenn man sich mit so einem Thema genauer auseinandersetzt, kommt es einem aber auch privat näher und natürlich hinterfragt man sich selbst und Aussagen, die man oft schnell trifft. „Natürlich bleibe ich bei dir bis zum bitteren Ende“ oder die Frage nach der Sterbehilfe – man bildet sich ein, man hat darauf eine Antwort, aber wenn man sich wirklich intensiv damit befasst, sind diese Antworten nicht so leicht. Man kann nicht einfach aus der Theorie heraus entscheiden. Es sind Prozesse, in die man einsteigt und die uns näher zueinander bringen. Das ist ein Thema, das man für gewöhnlich lieber aus dem täglichen Leben ausklammert und über das man nicht so gerne spricht.
Lars Eidinger hat einmal gesagt, er könne seine Frau niemals vor der Kamera küssen, weil sich das wie ein Eindringen in seine Privatsphäre anfühlen würde. Könnt ihr diese beiden Welten – gerade bei so einem intensiven Thema – wirklich so klar trennen?
Krassnitzer: Kann man und muss man. Das ist auch ganz wichtig. Wir sprechen hier von einer Fiktion und sind Gott sei Dank nicht von dieser Krankheit betroffen. Wir haben viele Menschen getroffen, die sich damit auseinandersetzen mussten und die uns sagten, welche Einwirkung das in ihrem Leben hatte. Ihr Leben wurde dadurch komplett verändert. Man muss alles umstellen und nichts von dem, was gerade Gültigkeit hatte, ist noch real. Die Freizeitgestaltung, gemütliche Reisen mit dem Partner – das kannst du alles vergessen, weil sich alles nur mehr nach den Parametern dieser Krankheit richtet. Du musst Haus oder Wohnung umbauen, deinen ganzen Zeitplan adaptierten und bist einer permanenten Bedrohungsangst ausgesetzt, weil in vielen Fällen die Versicherungen nicht greifen oder kompliziert sind.
Sich daraus zu befreien, ist unglaublich. Natürlich haben wir als Privatpersonen dazu eine Distanz, aber es ist wichtig, sich darauf einzulassen und die Momente zu finden, wo es wirksam sein muss. Das hat uns an der Arbeit großen Spaß gemacht. Nicht nur zu versuchen, die üblichen Betroffenheitsgeschichten zu erzählen, sondern auch die Auseinandersetzung damit zu suchen. Was passiert in so einem Fall? Wo beginnt die Reibung? Wo beginnt etwas unangenehm zu werden? Wenn man jemanden, dem man sehr vertraut ist, plötzlich baden muss, ist das eine große Umstellung. Für Schauspieler sind solche Zugänge aber natürlich auch ein gefundenes Fressen.
Im Film geht es viel um Wünsche und Bedürfnisse, aber auch um Routinen und das Eingefahrensein in einer langjährigen Beziehung. Solche Dinge brechen in Krisensituationen immer aus, im Falle der beiden Filmfiguren Schuster ist die Liebe zueinander am Ende aber stärker als alle Probleme und Sorgen, die sich immer wieder auftun. Ist das eine wichtige Kernbotschaft des Films?
Kramer: Wir sind meist eher darauf aus, den Status Quo beizubehalten. Wir richten uns in unseren Beziehungen ein und haben ein fixes Bild davon, wie ein glückliches Paar auszusehen hat. Dazu gehört eine gewisse Form der Unversehrtheit – alles ist immer eh okay. Wenn einem etwas passiert, will man es so schnell wie möglich wieder in Ordnung bringen. Wenn man aber mit so einem Schicksalsschlag konfrontiert ist, dann hat man viele Dinge nicht mehr in der Hand und kriegt so einiges nicht mehr hin. Man wird nicht mehr so schön, gesund oder unversehrt, wie man vorher war. Das Leben wird sich komplett ändern. Da stellen sich dann Fragen: Wie geht man damit um? Wie entwickelt man eine Resilienz, um mit dem Schicksal einen neuen Acker zu bewirtschaften? Wo man neu säen, wachsen und zueinanderfinden kann wie die beiden. Es wird wahrscheinlich nicht mehr so sein, wie es war, aber es wird etwas anderes geben, in dem auch ein schöner Reichtum oder eine neue Sensitivität zum anderen stecken kann. Man bewegt sich weg vom perfekten Bild hin zu einer neuen Realität. Zu einer neuen Wahrheit. Das ist ein wichtiger Teil des Films.
Frau Kramer, Sie haben den physisch härteren Part zu spielen. Wie hat es sich für sie dargestellt, einerseits die Lähmungserscheinungen zu zeigen und andererseits mit der Maske zu arbeiten?
Kramer: Diese Lähmung zu spielen und zu trainieren, war durchaus eine Aufgabe. Letztlich muss man das gut vorbereiten, weil es ein elementarer Teil der Rolle ist. Wir hatten aber auch einen wunderbaren Maskenbildner, einen Künstler auf dem Gebiet, der mir das hängende Gesicht geschminkt hat. Das muss man sich wie ein Kostüm oder ein Korsett vorstellen. Die eingeschränkte Beweglichkeit übt und trainiert man. Wenn es mit dem Spiel und der eigenen Geschichte losgeht, hat man es bestenfalls aber intus und muss sich gar nicht mehr so sehr darauf konzentrieren.
Habt ihr euch direkt bei Betroffenen darauf vorbereitet?
Kramer: Natürlich. Ich habe mich oft mit Betroffenen getroffen und hatte viel Unterstützung von Selbsthilfeorganisationen von Schlaganfallpatienten und Angehörigen.
Krassnitzer: Das war für uns ein ganz wichtiger Teil. Wir erkannten da auch, dass es sich nicht um einen klassischen Romantikfilm handelt, wo eine Liebesgeschichte von einer Krankheit gestört wird. Es wurde uns da klar, dass es ein Resilienzfilm ist. Das Leben anders zu bewerten und es neu zu nehmen. Das war für uns ein sehr spannender Aspekt.
Das Ehepaar Schuster wandert gerne auf den Schneekopf in Thüringen. Diese Erhöhung ist eine schöne Metapher für alles Positive und Negative in der Beziehung. Am Anfang suggeriert er die Routine in der Beziehung, danach sind beide aber froh, diese Hürde wieder gemeinsam erklimmen zu können.
Krassnitzer: Das ist gut auf den Punkt gebracht. Es gibt für das, wo wir leben, immer zwei Metaphern. Menschen fühlen an solchen Orten oft zu einem bestimmten Zeitpunkt eine Beengung und glauben, wenn sie den Ort wechseln, verwandelt sich das zu einer Befreiung. Manchmal können diese Orte aber auch dazu da sein, unbeobachtet das Neue zu finden oder die Herausforderung herauszufiltern. Das hat uns an der Geschichte auch sehr gut gefallen.
Die Pflegerin Iryna spielt später im Film eine entscheidende Rolle, weil sie dem Ehepaar die Augen für sich und die Zweisamkeit öffnet. Ist das einerseits ein Plädoyer für den oft unterschätzten und unterbezahlten Pflegeberuf und andererseits dafür, dass eine unvoreingenommene Person von außen oft Berge im Inneren versetzen kann?
Krassnitzer: Wenn man in so eine Situation kommt, dann braucht man einen veränderten Blickwinkel und den schafft man in der Regel nur ganz selten allein. Es sind Freunde oder solche „Irynas“ ein wesentlicher Punkt, um die Perspektiven auf dieser Welt zu verändern. Je eher dieser Perspektivwechsel gelingt, umso eher gelingt dir dann auch der nächste Schritt im Leben. Sonst verharrst du so in deinem Schmerz, dem Druck und dem Unverständnis, dass du irgendwann daran zerbrichst. Es braucht jemanden, der einem dahinter den Horizont zeigt. Der einem Raum zu Durchatmen gibt und rauszieht aus dem Trott. Das kann ein guter Freund, eine gute Pflegerin oder sonst jemand sein. Leider leben wir in einem Geschäftsmodell, dass gerade diese zentralen, systemrelevanten Berufe und den Menschen dahinter viel zu wenig Aufmerksamkeit und auch Anerkennung widmet. Die Entlohnung ist viel zu gering und es gibt keine vernünftigen Arbeitsmodelle für sie. Wenn man die ganze Zeit an der Front steht, dann brennt man aus und hat irgendwann keine Energie mehr. Wir bräuchten nicht nur eine bessere Bezahlung, sondern auch ganz eigene Arbeitsbedingungen, die ihnen ermöglichen, wieder zu Kräften zu kommen.
Die besten Freunde der Familie Schuster sind anfangs auch völlig überfordert und distanzieren sich erst einmal – auch aus Angst und Unsicherheit. Ist es nachvollziehbar, dass es da bröckeln kann?
Kramer: Ich denke, ja. Weil wir alle nicht mehr lernen, mit solchen Situationen umzugehen und darauf zu reagieren. Wir überlegen tagelang, was und wie wir etwas sagen sollen und hinterfragen, ob etwas übergriffig oder falsch ist, weil man nicht die richtigen Worte verwendet. Es ist schwierig, über diese Schwelle zu gehen und einfach für jemanden da zu sein, ohne selbst Angst zu haben, etwas falsch zu machen. Wir beschäftigen uns nicht so gerne mit Dingen, die nicht so schön sind und sind vor allen Dingen daran interessiert, es uns miteinander gutgehen zu lassen. Wie das miteinander schlechtgehen funktioniert, das wissen wir nicht so genau. Deshalb habe ich auch volles Verständnis dafür, dass Menschen überfordert sind und nicht wissen, wie etwas geht. Umso wichtiger ist es, dieses Thema als Seitenstrang auch zu erzählen.
Es gibt eine schöne Szene, wo die beiden Schusters dann am Schneekopf eine Nacht im kleinen Zelt verbringen und sich mittels Beamer Fotos aus der Vergangenheit ansehen. Habt ihr diese Fotos für den Film nachgestellt oder stammen die aus eurem privaten Fundus?
Krassnitzer: Da haben wir aus dem Privatfundus gegraben, weil es die wahrscheinlich authentischeren Varianten sind. Alles, was wir dazu produzieren könnten, kriegt nicht die Kraft, die in dem Augenblick dieser Erinnerungen liegt. Wenn man daran erinnert wird, was gemeinsam gut war, das hat etwas ganz Seltsames. Es gibt zwei Aspekte, die in so einem Zustand schlagend werden. Das eine ist: Du bist fast wie in einer Hospizbetreuung. Du musst dir überlegen, was du von dem, was zu Ende geht, mitnehmen kannst. Das andere: Es ist wie bei einer Hebamme. Wie kann ich dem neuen Raum geben, um es zu gebären? Beide Aspekte kommen in der Szene vor, indem wir uns von dem Alten das anschauen, was wir mitnehmen können. In der Regel sind das nicht die Orte oder ein bestimmter Habitus, sondern ein Lachen und ein Glück, das man wahrnimmt. Unabhängig von der eigenen Versehrtheit. Das ist etwas ganz Tiefes, denn alles andere braucht man dann nicht mehr.
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