Niedrige Löhne, geringe Pensionen und unbezahlte Kinderbetreuung – mehr als eine halbe Million Frauen in Österreich sind aufgrund gesellschaftlicher Ungleichheit armutsgefährdet. „Es muss sich dringend etwas ändern“, fordert unter anderem Doris Schmidauer, die Ehefrau von Bundespräsident Alexander Van der Bellen.
Als Frau I. vor vier Jahren von einem Tag auf den anderen ihre Wohnung verlor, holte sie sich Hilfe bei der Caritas. Nur eine Woche später konnte sie ihr „Puppenzimmer“, wie sie ihr neues Zuhause bezeichnete, beziehen. 60 Prozent der Menschen, die sich aufgrund von Armut an die Caritas wenden, sind weiblich, machte die Caritas am Mittwoch bei einer Pressekonferenz aufmerksam.
„Es muss sich etwas ändern“
565.000 Frauen in Österreich sind armutsgefährdet, rund 143.000 massiv von Armut betroffen. Die multiplen Krisen haben die Situation in Österreich vor allem für Frauen noch weiter verschärft. „Es liegt auf der Hand, dass sich dringend etwas ändern muss“, sagte Doris Schmidauer, Ehefrau von Bundespräsident Alexander Van der Bellen. „Das Thema begleitet uns seit vielen, vielen Jahren.“
Frauen seien noch mehr der Belastung ausgesetzt als noch in den vergangenen Jahren. „Frauenarmut ist kein individuelles Schicksal, das ist das Resultat einer tief verwurzelten, gesellschaftlichen Ungleichheit“, so Schmidauer. Ein überwiegender Teil der unbezahlten Care-Arbeit – Haushalt, Kinderbetreuung oder Pflege – würde von Frauen übernommen.
Bei der Durchschnittspension erhalten Frauen 920 Euro weniger. Es ist unsere gemeinsame Verantwortung, diese Ungleichheit zu korrigieren.
Doris Anzengruber, Leiterin der Caritas Sozialberatungsstelle in Wien
„Die Gehälter und Pensionen von Frauen sind meist niedriger und reichen oft nicht aus, um den notwendigen Lebensbedarf zu decken“, sagte Doris Anzengruber, Leiterin der Caritas Sozialberatungsstelle in Wien. „Armut kann jeden treffen.“ Die Krisen der vergangenen Jahre verschärften die Situation für jene, die es bereits vorher schwer hatten, insbesondere Alleinerzieherinnen und Mindestpensionistinnen.
„Bei der Durchschnittspension erhalten Frauen 920 Euro weniger“, machte auch Schmidauer aufmerksam. „Es ist unsere gemeinsame Verantwortung, diese Ungleichheit zu korrigieren“, richtete die Politikwissenschafterin anlässlich des Weltfrauentages am Samstag einen Appell an die neue Regierung.
Mittels Notfallnummer zur neuen Bleibe
Frau I. musste binnen 14 Tagen ihre 80 Quadratmeter große Altbauwohnung in Rudolfsheim-Fünfhaus räumen, weil sie zur Untermiete wohnte und der Mieter verstorben war. Die neue Miete und vor allem die Kaution konnte sie sich nicht mehr leisten. Inmitten der Corona-Pandemie hatte sie nun keine Bleibe mehr. „Da war die Welt einmal weg“, erinnerte sie sich an diese Zeit. Doch eine Mitarbeiterin des Arbeitsmarktservices versorgte sie mit Notfallnummern und Frau I. hatte den Mut, dort auch um Hilfe zu bitten.
Vorübergehend kam sie in ein Chancenhaus der Wiener Wohnungslosenhilfe, das kurzfristig ein Obdach bot. „Es war der 31. Oktober 2021, ein Sonntag, das werde ich nie vergessen“, sagte Frau I. „Am Montag kam der Anruf von der Caritas, sie haben eine Wohnung für mich“. Eine Woche später zog sie in ihre neue, 27 Quadratmeter große Bleibe, „die ich bis heute habe, die ich liebe. Ich bin so glücklich nach wie vor, das ist mein Puppenzimmer.“ Von der Caritas wurde sie mit dem Wichtigsten versorgt – Hygieneartikel, Bettwäsche und Handtücher.
Die meisten unserer Klientinnen mussten gewaltvolle Beziehungen erleben. Oft ist diese Gewalt auch Auslöser oder Verstärker für psychische Krankheiten, die es den Frauen zusätzlich zu den finanziellen Problemen schwermachen, ihre Wohnungen zu halten.
Claudia Röder, Leiterin des Frauen*Wohnzentrums der Caritas in Wien-Leopoldstadt
Von gewaltvoller Vergangenheit gezeichnet
„Frauen, die zu uns kommen, haben oft einen langen Leidensweg hinter sich“, sagte Claudia Röder, Leiterin des Frauen*Wohnzentrums der Caritas in der Leopoldstadt. „Die meisten unserer Klientinnen mussten gewaltvolle Beziehungen erleben. Oft ist diese Gewalt auch Auslöser oder Verstärker für psychische Krankheiten, die es den Frauen zusätzlich zu den finanziellen Problemen schwermachen, ihre Wohnungen zu halten.“
Im Frauen*Wohnzentrum und im angrenzenden Tageszentrum Frauen*Wohnzimmer werden die verschiedenen Problemlagen betreut. „Wir akzeptieren Frauen wie sie sind. Die meisten bleiben langfristig bei uns, bei manchen gelingt die Stabilisierung und der Auszug in eine mobil betreute Wohnung“, so Röder. Auch drei Krisenbetten stehen zur Verfügung, die für eine Nacht schnell und unbürokratisch ein Obdach bieten. „Es bleibt ganz selten eines leer“, sagte Röder.
In Wien finden aktuell hunderte Frauen in den verschiedenen Wohnhäusern und Notquartieren ein Dach über dem Kopf. Unterstützung in finanziellen Notlagen bekommen Frauen etwa in den Sozialberatungsstellen. „Um Frauen in Not rasch und unkompliziert helfen zu können, sind wir dringend auf Spenden angewiesen“, sagte Anzengruber. Daher werden von der Organisation Mutpatinnen und -paten gesucht. Mit 25 Euro bekommt eine Frau in Not einen sicheren Schlafplatz, für 50 Euro bekommen Mütter und ihre Kinder einen vollen Einkaufskorb.
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