Mit bloßer Faust gegen die Bagger. Ein Bild mit Symbolkraft. Zu sehen Donnerstagfrüh vor dem Weißen Rössl in Gries am Brenner. Bürger wollen den Abriss des denkmalgeschützten Gasthauses in letzter Sekunde verhindern. Die Emotionen kochten hoch und Tränen flossen.
Ein kalter Wind bläst über den Brenner. Ein kalter Wind bläst auch den Denkmalschützern entgegen, die sich Donnerstag in den frühen Morgenstunden an der Brennerstraße in der Gemeinde Gries versammeln. Viele sind es nicht. Der harte Kern aus nicht einmal zehn Personen, der in letzter Sekunde doch noch das wohl Unausweichliche verhindern möchte: den bevorstehenden Abriss des Weißen Rössl.
„Paar kam mit Heißluftballon“
Auch die Polizei ist da, um eine Eskalation zu verhindern. Während die Baggerfahrer ans Werk gehen, wird es emotional. „Meine Familie hat das Gasthaus über Jahrzehnte geführt. Hier sind Einheimische wie Durchreisende gerne eingekehrt“, kann Katharina Schmid gar nicht glauben, dass das alles jetzt zu Ende gehen soll.
Die Tochter des ehemaligen Besitzers hat ein altes Gästebuch mitgebracht. Der erste Eintrag stammt aus dem Jahr 1875. „Viele Bergsteiger haben einst hier Quartier bezogen“, zeigt Schmid auf eine Zeichnung von einem Gipfelsieg. Dann erzählt sie von einem Ehepaar, das mit einem Heißluftballon angereist sein soll. Schmid zeigt auf die steile Wiese oberhalb des Gebäudes: „Dort sind sie gelandet.“
Architekten gegen Gericht
Seit mehr als 500 Jahren stehen die Mauern des Weißen Rössl. Sie können viele Geschichten wie diese erzählen. „Ein so alter Steinbau hält einiges aus. Meiner Einschätzung nach ist ein Totalabriss nicht notwendig. Auch wenn Regen und Schnee die Substanz angegriffen haben“, lautet die Analyse von Architekt Gerald Gaigg, der ebenfalls nach Gries gekommen ist.
Hier geht es um ein ortsbildprägendes Gebäude, um baukulturelles Erbe, um Geschichte. Mit dem Weißen Rössl geht viel mehr als ein Gasthaus verloren.
Architekt Gerald Gaigg
Gaigg ist nicht der Einzige seiner Zunft, der schockiert über das Urteil des Landesverwaltungsgerichts ist. Dieses hat kürzlich den Abbruch bis Ende April angeordnet. „Hier geht es um ein ortsbildprägendes Gebäude, um baukulturelles Erbe, um Geschichte. Mit dem Weißen Rössl geht viel mehr als ein Gasthaus verloren“, sagt Gaigg und schaut hinüber zu den Baggern, die sich an den Resten einer Mauer neben dem Denkmal zu schaffen machen.
Polizei muss dazwischengehen
Ein großes Loch haben die Maschinen am Mittwoch schon in das Gebäude gerissen. Dann ist Monika Grünbacher von der Bürgerinitiative dazwischengesprungen. Auch Donnerstagfrüh stellt sich die zierliche Wipptalerin den riesigen Maschinen entgegen. Als diese beginnen, ein Garagentor einzureißen, wird es laut. Mit geballter Faust und viel Wut in der Stimme wirft sich die Denkmalschützerin vor die Bagger. Eine weitere Frau schimpft von der Straße über das Absperrgitter zu den Arbeitern. Die Polizei geht dazwischen, versucht die aufgeheizte Stimmung zu beruhigen.
„Das kann man doch nicht einfach so zulassen. Da muss man doch was tun.“ Mit Tränen in den Augen lässt Grünbacher sich schließlich von den Polizeibeamten aus dem Baustellenbereich begleiten. Zwei Jahre hat Moni – wie sie alle nennen – unermüdlich für das Weiße Rössl gekämpft. Das kann doch nicht alles umsonst gewesen sein? Diese bange Frage steht ihr jetzt ins Gesicht geschrieben.
Baggerarbeiten vorerst eingestellt
Der kalte Brennerwind bläst immer noch, als die Baggerarbeiten nach rund einer Stunde eingestellt werden. An diesem Tag wird das Weiße Rössl wohl nicht mehr angerührt. Doch alle Versammelten wissen, dass es nur eine Frage der Zeit ist. Im Dorf ist die Stimmung gespalten. „Natürlich gibt es die, die sagen: weg mit dem alten Kasten. Aber es gibt auch die, die den Wert dieses Denkmals für unseren Ort erkennen“, versucht Gabriele Gatscher beide Seiten zu beschreiben.
Der Streit um das Weiße Rössl hat Gräben in der Gemeinde aufgerissen. Um den Brand vor zwei Jahren, mit dem der Anfang vom Ende begann, ranken sich viele Gerüchte. Dem Besitzer des Gebäudes wird reines Profitdenken vorgeworfen. Denkmalamt und Gemeinde versuchen, den Abriss doch noch zu verhindern. Doch bisher ohne Erfolg. Wann die Bagger dem Weißen Rössl den Todesstoß geben, das weiß niemand so genau. Es kann jeden Tag so weit sein. Dann kann auch die geballte Faust der Bürger nichts mehr ausrichten.
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