„Das zweite Leben“

Mit dem Rad von Partenen nach Bludenz und retour

Vorarlberg
10.03.2025 16:25

In seiner „Krone“-Serie „Das zweite Leben“ spricht Autor Robert Schneider mit Menschen, die eine zweite Chance bekommen haben. Jüngst traf er sich mit dem Gastro-Profi Milos Jokic, der eines Tages einfach auf der Straße umfiel. 

Wo andere Urlaub machen, skifahren und Skitouren unternehmen, Spaß haben und den Gast heraushängen lassen, der sofort bedient werden will, dort arbeitet er als Chef de Partie, der Bosnier Milos Jokic, im bekannten „Sporthotel Silvretta Montafon“. Aber von den gegenwärtig so herrlichen Frühlingstagen und dem stahlblauen Himmel sieht Milos nur wenig. In der Großraumküche, wo die Edelstahl-Kochtöpfe so groß sind wie Mülltonnen, wo es heiß ist, immer dampft und qualmt und eine fortwährende Hektik herrscht, verrichtet er seine tägliche Arbeit.

„Ich habe vier Chefköche überlebt“, erzählt mir der sehr sympathisch und herzlich wirkende Mann, der 1999 nach Österreich kam. Er lebt in Partenen, im hintersten Flecken des Montafons. Beim Vorgespräch zum Interview bietet er mir sofort an, einander auf halber Strecke zu treffen. „Dann müssen Sie nicht so weit fahren“, meint er zuvorkommend.

Wir treffen uns also in Bludenz am Bahnhof, halten Ausschau nach dem nächstgelegenen Kaffeehaus, suchen ein Plätzchen, wo es ruhiger ist und man ungestört reden kann. Als ich ihm die ersten Fragen stelle, wirkt Milos Jokic noch sehr aufgeregt. Aber die Nervosität legt sich bald, besonders, wenn er von seiner Erkrankung erzählt, die ihn beinahe das Leben gekostet hat.

Robert Schneider: Milos, meine erste Frage: Du stammst aus Bosnien. Bist du damals wegen des Krieges geflüchtet?
Milos Jokic: Nein, ich bin ganz normal von Belgrad nach Österreich gekommen, weil meine Schwester schon hier gelebt hat. Ich kann mich noch gut erinnern: In Österreich gingen die Exjugoslawen ganz normal miteinander um, egal ob Christ oder Muslim, aber sobald sie in die Heimat zurückkehrten, brach der Nationalismus wieder voll aus.

Welchen Beruf hast du gelernt?
Ich wollte studieren gehen, aber da starb meine Mutter, mit gerade mal vierzig Jahren. Das war für mich der größte Schock meines Lebens, weil ich sehr an meiner Mutter hing. Ich musste so schnell wie möglich Geld verdienen.

Wo bist du zuerst untergekommen?
Gleich in Gaschurn. Als Saisonmitarbeiter. Das bedeutete, dass ich nach jeder Wintersaison wieder in meine Heimat zurückkehren musste. Das fiel mir immer sehr schwer und dauerte bis 2022. Aber endlich, nach vierundzwanzig Jahren in der Firma, kann ich hierbleiben.

Am Telefon hast du mir erzählt, dass du einen schweren Unfall erlitten hast. Wie war das?
Am 25. Februar 2015 ging ich wie jeden Tag zur Arbeit. Ich war damals schon Koch und Pizzabäcker. Das Letzte, woran ich mich erinnern kann, ist, dass ich in einem Hubschrauber irgendwohin transportiert wurde. Eine halbe Stunde war ich bewusstlos, erzählte mir später mein Kumpel aus Montenegro, der mir das Leben gerettet hat. Es war ein nebliger Tag, das weiß ich noch. Ich wurde nach Bludenz gebracht. Dort wurde anschließend ein Hirntumor festgestellt ...

Ich mache mir keine Illusionen. Hier in Vorarlberg bin ich Ausländer, und in dem Dorf, wo ich geboren wurde auch. (Bild: Mathis Fotografie)
Ich mache mir keine Illusionen. Hier in Vorarlberg bin ich Ausländer, und in dem Dorf, wo ich geboren wurde auch.

Hat sich das nicht früher angebahnt? Symptome? Hattest du Kopfweh oder dergleichen?
Nein. Ich bin offensichtlich einfach umgefallen. In Feldkirch wurde ich sofort operiert. Vier Stunden lang. Hier, die Seite an meiner Schläfe, da ist kein Knochen mehr. Alles plastische Chirurgie ...

Was ging dir als Erstes durch den Sinn, als du erwacht bist?
Ich dachte an meine beiden kleinen Söhne, an meine Frau und vor allem an meine Mutter. Sie ist früh gestorben. Muss ich jetzt auch früh sterben?

Man sucht ja immer Erklärungen für eine Krankheit, damit man vielleicht besser damit umgehen kann. Hast du eine Erklärung für dich gefunden?
Ich glaube schon. Zuerst einmal der permanente Stress in meinem Beruf, den ich immer runtergespielt habe. Dann das getrennte Leben mit meiner Familie. Meine Frau und die beiden Jungs leben ja unten in Bosnien. Ich kann es mir mit meinem Gehalt nicht leisten, sie heraufzuholen. Ich hoffe sehr, dass der Große, der jetzt 24 ist, nach Österreich kommen kann. Und das Dritte war, dass damals bei meinem jüngsten Sohn Autismus festgestellt wurde. Ich bin davon überzeugt, dass es mit einem Impfstoff zusammenhängt, der ihm mit 17 Monaten verabreicht wurde.

Diese Interviewreihe nennt sich „Das zweite Leben“. Hat nach der Behandlung deines Tumors ein zweites Leben für dich begonnen?
Ach, das wäre schön. Aber in der Gastronomie? Keine Chance. Das tut mir weh. Ich habe so wenig Zeit, einfach gemütlich wie jetzt mit dir zu sitzen und zu reden. Ich arbeite in der Küche auf drei Positionen gleichzeitig. Kochen ist wie ein Kampf im Ring. Zum Beispiel gestern: Ich musste so viele Dinge gleichzeitig erledigen. Hier eine Rindsuppe abschmecken, dort eine Safran-Schaumsuppe, eine Kräutersuppe, Fisch, veganes Kindermenü, Dessert usw. Kommt noch hinzu, dass nach Corona einfach keine guten Fachkräfte mehr zu finden sind. Das ist leider wirklich so.

Woher nimmst du die Kraft, so auf Knopfdruck zu funktionieren?
Meine Frau und meine Kinder geben mir die Kraft. Die Familie ist meine Seele.

Möchtest du, wenn du in Pension bist, zurück in deine Heimat?
Unbedingt! Ich möchte vor allem für meinen jüngeren Sohn da sein und für meine Frau, die sehr krank ist. Dreißig Jahre bin ich nun von Belgrad weg. Ich mache mir keine Illusionen. Hier in Vorarlberg bin ich Ausländer, und in dem Dorf, wo ich geboren wurde auch. Also nirgends wirklich zu Hause. Ich bin eigentlich schon mit kleinen Sachen zufrieden, fahre zum Beispiel kein Auto. Brauche ich nicht. Wenn ich freihabe, strample ich mit dem Fahrrad von Partenen bis Bludenz und wieder zurück. Das sind insgesamt sechzig Kilometer. Ich glaube, niemand kennt die Strecke so gut wie ich.

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