„Dead Channel Sky“

Clipping.: „Unser Ziel ist der ständige Ausbruch“

Musik
15.03.2025 09:00

Zwischen Rap, Techno, Horrorcore und Elektronik haben sich die Kalifornier von Clipping. über die Jahre ein stattliches Following erspielt. Frontmann Daveed Diggs ist mittlerweile zwar Hollywood-Star, aber immer noch leidenschaftlicher Nerd und Musiker. „Dead Channel Sky“ schlägt wieder neue Töne an – und das Trio verrät uns im Interview, warum man jetzt eine gegenwärtige Dystopie imaginiert.

Wer in Österreichs Musikszene firm ist, weiß, dass manche Acts nur bei ausgesuchten Diskursfestivals ins Programm passen. Letzten April etwa begeisterte das amerikanische Hip-Hop-Trio Clipping. beim renommierten Donaufestival in Krems und ließ sich noch nicht einmal von einem viel zu leisen, schlecht kalibrierten Sound aus der Fassung bringen. An gleicher Stelle war man schon zehn Jahre zuvor zu Gast, auch beim kürzlich zu Ende gegangenen Elevate in Graz wurde man 2013 vorstellig. Die Historie ist kurz und bekannt: Die Schuldfreunde William Hutson und Jonathan Snipes mischen ab 2009 A-cappella-Stimmen von bekannten Rap-Künstlern unter ihre elektronischen Noise-Sounds. Ein paar Monate später stößt Rapper Daveed Diggs dazu und schreibt eigene Texte. Ohne Erwartungen bringt ihnen das Mix-Tape „midcity“ 2013 einen Vertrag beim Indie-Riesen Sub Pop Records ein – das ein Jahr später folgende Debütalbum „CLPPNG“ trifft mit seiner unverbrauchten Zugangsweise den Nerv eines größeren Publikums und macht aus der Nischenband einen ernstzunehmenden Player.

Prominent und unerkannt
Was die größten Unterschiede von damals zu heute sind, wollen wir im Interview wissen. „Na ja, in erster Linie, das Daveed damals noch kein Celebrity war“, lacht Hutson im Gespräch. Diggs‘ Herz schlägt nach wie vor für Clipping., das große Geld macht er mittlerweile aber als Schauspieler. In der Doppelrolle des Marquis de Lafayette und Thomas Jefferson im internationalen Erfolgsmusical „Hamilton“ spielte er sich in die Herzen eines Millionenpublikums und sich zu einem Tony Award und einem Grammy. Es folgten Rollen in der Verfilmung von „Hamilton“, „Blindspotting“ und der postapokalyptischen Thriller-Serie „Snowpiercer“. Derzeit steht er gerade in einer wichtigen Rolle für die satirische Superheldenserie „The Boys“ vor der Kamera. Dass ihm Clipping. in einer komplett anderen künstlerischen Welt die Möglichkeit gibt, noch möglichst unerkannt durch die Gegend zu fahren, ist für ihn mittlerweile ein willkommenes Geschenk. Hier kann er frei von Erwartungen seiner größten Leidenschaft frönen und sich komplett in der Soundwelt fallen lassen.

„Eigentlich wissen wir nie so genau, was wir tun“, erklärt das sympathische Trio weiter im „Krone“-Gespräch, „wir folgen unseren Interessen und der Leidenschaft und schauen, wohin uns all das treibt.“ Ihr größtes Momentum hatten Clipping. 2016 mit dem Zweitwerk „Splendor & Misery“, ein Science-Fiction-Konzeptalbum, das für einen Hugo Award nominiert war und mit „The Deep“ eine Single abwarf, die über die Genre-Kreise hinaus für Begeisterung sorgte. „Wichtig ist, dass wir immer wieder unsere eigenen Regeln brechen. Davon hatten wir anfangs einige. Keine Schlagzeugklänge, keine Pitches, keine Melodien und schon gar nicht Texte in der ersten Person zu schreiben. Beim Texten bleiben wir dabei, ansonsten haben wir aber schon auch auf Harmonie zurückgegriffen und lassen es gerne mal schallern. Es ist schwer festzumachen, was es ist, aber es ist uns immer klar, was ein Clipping.-Song ist und was nicht. Das fühlen wir. Was für uns ein catchy Song ist, ist für die Welt da draußen noch immer abgedrehter Scheiß.“

Der Weg zum Cyberpunk
Diggs markante Stimme verleiht den noisigen Soundflächen Clippings. ihre besondere Einzigartigkeit. Man habe schon mehrmals in unterschiedlichen Zweierkonstellationen versucht, Songs zu schreiben, erklärt das Trio unisono, aber nie hätte man die Qualität des Triumvirats erreicht. Dass man mit vergleichsweise schrägen Tönen immer mehr Publikum gewinnt, ist auch ein Zeichen des veränderten Musikkonsums. „Durch Streaming haben alle Zugriff auf alles. Hörer experimentieren mehr und wagen sich in Sphären, die ihnen vorher vielleicht unbekannt waren. Man kann sich mehr trauen und erreicht trotzdem mehr Leute.“ Dieser Tage erscheint nach mehrjähriger Pause das fünfte Studiowerk „Dead Channel Sky“. Hat man sich bei den Vorgängern zumeist auf Horrorfilm-Konzepte und vereinzelte Sozialkritik gegen rassistische Strömungen konzentriert, legen Clipping. ihr Augenmerk jetzt auf die Cyberpunk-Ästhetik, die man von Autoren aus den 80er- und 90er-Jahren kennt. „,Dead Channel Sky‘ ist eine Art imaginiertes Compilation-Album über das Jahr 2024, wie wir es uns 1997 vorgestellt haben – nur dass wir damals keine Ahnung hatten, wie deprimierend und furchtbar diese Zukunft wirklich aussehen würde.“

Jeder einzelne Song auf dem Album ist eine Hommage an diverse Rave-Genres aus den 90er-Jahren. Acid, Techno, Drum & Bass, Jungle etc. vermischen sich zu einem Sound-Amalgam, das gar nicht erst vorgibt, einen kongruenten roten Faden zu haben, sondern seine Stärke aus klanglichem Eklektizismus bezieht. Diggs textet und rappt über Themen wie die illegale Drogenwirtschaft in der Clipping.schen Dystopie, über soziopolitische Kontraste oder über die auseinanderklaffende Einkommensschere in einer aus allen Fugen geratenen Welt. Mit „Dodger“ befindet sich sogar ein Song auf dem Album, der die Handlung von „Splendor & Misery“ in die gegenwärtige Cyperpunk-Realität Clippings. verschiebt. Die Feature-Gäste wie Aesop Rock, Nels Cline oder Tia Nomore sind wohl gewählt. „Kollaborationen müssen aus einem bestimmten Grund passieren. Wir müssen unsere Gäste respektieren und schätzen, das Gesamtergebnis muss sich durch die Kooperation verbessern. Ansonsten hat alles keinen Sinn. Wir kennen unsere Stärken, wissen aber auch genau, wo uns jemand anders helfen kann.“

Eine Frage der Positionierung
Die Horrorcore-Elemente werden auf „Dead Channel Sky“ zugunsten eines futuristischeren Sounds zurückgefahren, doch es bleibt dabei, dass sich Clipping. lieber mutig neu erfinden, als ihre Erfolgsformel wieder aufleben zu lassen. Ein durchdringender Dance-Rap-Techno-Track wie die bei Fans gefeierte Single „Welcome Home Warrior“ ist im Gesamtkontext zwar selten, aber trotz der vielen Unterschiedlichkeiten macht das Album als Ganzes Sinn und gibt Möglichkeiten, vieles neu zu erforschen und ständig Neues zu entdecken. „Heute ist die ganze Welt sehr klinisch und akademisch eingeteilt. Für alles gibt es einen bestimmten Platz, in dem es existieren darf. Aber wir hinterfragen, warum dem so ist? Wieso muss alles eingeteilt und kategorisiert sein? Wo gibt es Möglichkeiten zum Ausbruch und was ist dafür nötig? Das ist der Ansatz, mit dem wir als Clipping. Musik erschaffen. Und dann müssen wir diese Ideen umsetzen. In der Hypothese macht schnell etwas Sinn, in der Praxis aber nicht.“ Mit „Dead Channel Sky“ bleiben Clipping. vor allem eines – absolut einzigartig.

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