Seit 67 Jahren Barista

Cappuccino nach Mittag? Oma Anna (100) sagt …

Im November ist die Nonna Anna, die Oma Anna, wie sie hier jeder nennt, 100 geworden.

(Bild: Christoph Sator / dpa / picturedesk.com)

Auch mit 100 Jahren steht Anna Passi noch immer jeden Morgen hinter der Kaffeemaschine ihres kleinen Cafés in Nebbiuno. Die älteste Barista Italiens hat klare Meinungen – sowohl zu Cappuccino am Nachmittag als auch zu Ärzten: „Dem Doktor muss man nicht alles glauben!“

Seit 1958 öffnet sie pünktlich um sieben Uhr ihre „Bar Centrale“ im kleinen Dörfchen Nebbiuno am Lago Maggiore – und das 365 Tage im Jahr. „Warum sollte ich aufhören?“, sagt die rüstige Italienerin. Offiziell ist sie schon mit 60 Jahren in Rente gegangen – also 1984. „Meine Bar ist für mich so viel mehr als Arbeit. Das ist mein Leben.“ Auch an Sonn- und Feiertagen steht sie an der Maschine. „Die Leute wollen Weihnachten ja auch ihren Kaffee trinken.“

Von italienischer Kaffee-Traditionen hält sie viel. „Manche bestellen auch am Nachmittag noch einen Cappuccino“, sagt Anna und schmunzelt. In Österreich ist das nichts Ungewöhnliches. In Italiens mehr als 130.000 Bars ist das hingegen vielerorts verpönt: „Dort gibt es Cappuccino üblicherweise nur am Vormittag. Doch wer bin ich, dass ich meinen Gästen vorschreiben muss, wann sie welchen Kaffee zu trinken haben. Ich habe auch Stammgäste, die nach zwölf noch gern einen Cappuccino trinken“, sagt Passi. „Und die bekommen ihn auch – egal, wie spät es ist.“

Und doch hat zwei Einschränkungen „Nonna Anna“ (Oma Anna), wie sie im Ort jeder nennt: In Kombination mit einem Orangensaft oder unmittelbar nach dem Mittagessen findet sie Cappuccino nicht gut. „Da ist der Magen zu voll.“

Sie selbst betrifft das ohnehin nicht mehr: Die Hundertjährige hat schon Mitte der Siebzigerjahre aufgehört, Kaffee zu trinken – des Blutdrucks wegen. Ihre Gesundheit? Sie braucht keine Brille, ein Hörgerät eigentlich schon – aber das funktioniert angeblich nie. „Ich nehme nur eine halbe Tablette am Tag – man muss dem Doktor nicht alles glauben!“

Auf dem rosa Schild vor der Cafébar steht „La barista più longeva d’Italia“ (auf deutsch übersetzt: „Hier arbeitet die älteste Barista in ganz Italien“)

(Bild: Christoph Sator / dpa / picturedesk.com)

Doch leicht ist das Geschäft nicht. Die Zahl der italienischen Cafébars ist in den letzten zehn Jahren um 20.000 geschrumpft. Junge Menschen scheuen die langen Arbeitstage und geringen Löhne. Und: Viel Geld verdient „Nonna Anna“ auch nicht. Der Kaffee kostet 1,20 Euro, der Cappuccino 1,50 Euro. Wenn keine Touristen kommen, hat sie an manchen Tagen abends nicht mehr als 40 Euro in der Kasse. An Pension bekommt sie 590 Euro. Dennoch hält Anna durch. Für sie zählt das Miteinander.

Manchmal hilft jetzt ihre Tochter Cristina bei ihr aus, die schräg gegenüber im Rathaus arbeitet. Die 61-Jährige wohnt ebenfalls direkt über der Bar, in der Nebenwohnung. Der Sohn lebt 75 Kilometer weiter in Mailand, die beiden Enkelinnen sind auch schon außer Haus. So macht die alte Dame auch mit 100 Jahren von früh bis spät das meiste selbst. Sogar das Holz für den kleinen Ofen hackt sie noch selbst. „Früher haben die Leute hier noch mehr miteinander geredet und Karten gespielt. Heute schauen alle nur noch aufs Handy“, sagt sie wehmütig.

Im Dorf kennt man sie als „Nonna Anna“ („Oma Anna): Die 100-Jährige serviert Kaffee und Lebensfreude – und das jetzt schon seit mehr als 65 Jahren.

(Bild: Christoph Sator / dpa / picturedesk.com)

Große Pläne hat Italiens älteste Barista keine mehr. „Früher wollte ich immer noch einmal nach Paris. Aber daraus wird wohl nichts“, sagt sie. Und fügt verschmitzt hinzu: „Das ist nicht schlimm: Die Franzosen können ohnehin keinen Kaffee.“