„Wenig Zusammenarbeit“

Long Covid: Der mühsame Weg zurück ins Leben

Um Long Covid in Gesundheitssystemen und in der Statistik zu erfassen, hat die WHO mittlerweile eigene ICD-10 Codes für Long Covid-Erkrankungen festgelegt. 

(Bild: fizkes - stock.adobe.com)

Am 16. März jährt sich der Tag, an dem der erste bundesweite Corona-Lockdown verhängt wurde, zum fünften Mal. Viele Menschen leiden noch immer an den Folgen der Pandemie. Ein Long Covid-Experte aus dem Burgenland übt Kritik an der lückenhaften Zusammenarbeit zwischen den beteiligten Fachrichtungen.

Auch wenn die Pandemie längst für beendet erklärt wurde, gibt es Schätzungen zufolge 400 Millionen Menschen weltweit, die an Long Covid leiden. Diese komplexe post-virale Erkrankung charakterisiert sich durch mehr als 100 Symptome, die in unterschiedlichen Kombinationen auftreten und auch mehr als drei Monate nach Beginn einer Covid-19-Infektion bestehen bleiben.

Zu den Hauptsymptomen zählen Fatigue – eine chronische körperliche und geistige Erschöpfung, die auch das gesamte Leben beeinträchtigt –, Atembeschwerden, anhaltender Husten und Konzentrationsstörungen. Auch Kopf- und Muskelschmerzen, Fieber, Schwindel, Herzrasen, kurze Bewusstlosigkeit, Missempfindungen, sexuelle Funktionsstörungen, Angstzustände und depressive Verstimmungen treten gehäuft auf.

Auch Schlaf bringt bei der anhaltenden Müdigkeit nur teilweise Erholung. 

(Bild: LEA ARING/mecfs.de)

Ratloses Hin- und Herschicken
Weil es bisher keine Tests gibt, die Long Covid eindeutig nachweisen können, führt in der Regel der Hausarzt eine Anamnese durch. Kann ein Organschaden ausgeschlossen werden, wird mit einer symptomatischen Therapie begonnen. Patienten werden dafür oft von Pontius bis Pilatus geschickt, denn neben Neurologen, Lungenfachärzten, Internisten, Immunologen, HNO- und Herzspezialisten, sind für die Genesung oft auch Physiotherapeuten, Psychologen, Kinesiologen, Ernährungsberater und Atempädagogen vonnöten.

„Selbstmanagement steht dabei im Fokus. Zum einen lernen Patienten, auf ihren Körper zu hören, individuelle Grenzen zu achten, ihre verfügbaren Kräfte gut einzuteilen und mit belastenden Situationen besser umzugehen. Zum anderen werden im Rahmen einer Aktivierungstherapie persönliche Belastungsgrenzen langsam ausgeweitet“, sagt Long Covid-Experte Erwin Rasch.

Erwin Rasch in seiner Praxis.

(Bild: zVg)

Ganzheitlicher Blick auf Patienten ist erforderlich
Um „Engpässe im System eines Patienten“ zu finden, führt der Sportwissenschaftler, Physiotherapeut und Ernährungsdiagnostiker in seiner Praxis in Neudörfl diverse Messungen durch: „Anhand der BIA Messung, die wertvolle Informationen über die Belastbarkeit des muskulären Systems liefert, können wir ableiten, welche Trainingsreize gesetzt werden können. Die Kalipermessung gibt Hinweise auf Überlastungen im Bereich der Extremitäten und eine mögliche suboptimale Ernährungsstruktur. Mit der Spiroergometrie wiederum stellen wir fest, wie belastbar Lunge und Herzkreislaufsystem sind und ob der Körper bereit ist, Sauerstoff aufzunehmen und Kohlendioxid abzugeben.“

Darüber hinaus fragt Rasch das Mindset sowie das subjektive Belastungs- und Regenerationsempfinden der Patienten ab. Aus der Interpretation all dieser Daten wird dann ein persönliches Trainings- und Ernährungsprogramm erstellt. Denn neben moderatem Training hat sich auch eine individuell abgestimmte Nährstoffzufuhr als hilfreich erwiesen.

„Meine Erfahrung zeigt, dass die meisten Long Covid-Patienten schon vor der Infektion über ihre Grenzen gegangen sind. Im Rahmen der Therapie lernen sie, dass Leistung nur mit entsprechender Regeneration möglich ist. Das bedeutet oft auch: Nichts tun und genügend schlafen!“

Betroffene empfinden Long Covid-Symptome als sehr belastend.

(Bild: stock.adobe.com - freshidea)

Tieferliegende Ursachen
Diese Erkenntnis erfordere bei vielen ein generelles Umdenken: „In unserer Leistungs- und Optimierungsgesellschaft steht Aktionismus an der Tagesordnung. Passivität, Ruhe und Erholung sind nicht erwünscht. Deshalb beuten sich viele bis zur Erschöpfung aus, auch wenn sie krank sind. Sie wollen einfach nicht akzeptieren, dass der Körper an die Grenzen seiner Belastbarkeit stößt.“

Jede Krankheit, auch Long Covid, ist eine Aufforderung, den fehlgeleiteten Umgang mit sich selbst und dem Leben zu reflektieren.

Erwin Rasch, Long Covid-Experte

Doch auch am mangelnden interdisziplinären Austausch übt Rasch Kritik: „Die Zusammenarbeit der einzelnen medizinischen und gesundheitsrelevanten Fachgruppen ist lückenhaft. Jede sieht nur ihren Zugang und erhebt den Anspruch auf absolute Wahrheit. Ein breiter gesellschaftspolitischer Diskurs wäre dringend nötig, um Betroffene mit ihren Leiden nicht länger allein zu lassen und das Wohl der Patienten in den Mittelpunkt zu stellen.“