Eine gebürtige Wienerin schildert in ihrem Buch, wie die Zivilgesellschaft auf die Not nach dem Hamas-Angriff reagiert hat.
„Es war ein furchtbares Gefühl“, erinnerte sich die gebürtige Wienerin Anita Haviv-Horiner an den 7. Oktober 2023, als sie im israelischen Netanya mit ihrer Tochter beim Frühstück saß und auf einmal eine Schreckensnachricht nach der anderen auf den Handys aufpoppte. Es war der Tag des Überfalls der Hamas auf Israel, bei dem ungefähr 1200 Menschen ermordet, mehr als 300 entführt und Tausende verletzt worden sind.
Der Staat hatte versagt, die Armee hatte versagt, und in der Folge versagten die Institutionen, die meisten Behörden – alle waren schlichtweg überfordert. Aber dann zeigte sich der Zusammenhalt der israelischen Gesellschaft. Ursprünglich einer Pioniergesellschaft, die auf ihren Überlebenswillen angewiesen war. „Jeder, der konnte, hat begonnen zu helfen“, schildert Haviv-Horiner. „Im Kleinen oder im Großen. Die Zivilgesellschaft ist eingesprungen für den Staat.“
Jeder, der konnte, hat begonnen zu helfen. Im Kleinen oder im Großen. Die Zivilgesellschaft ist eingesprungen für den Staat.
Autorin Anita Haviv-Horiner
Das hat die Bildungsexpertin und Autorin, die teils in Israel, teils in Wien und teils in Deutschland arbeitet, so begeistert, dass sie darüber ein Buch geschrieben hat. In 17 Interviews hat sie mit Freiwilligen gesprochen die, jeder in seinem Bereich, versucht haben, den Menschen zu helfen – in der Traumatherapie, Gedenkarbeit, mit ihrem Einsatz für Binnenflüchtlinge (Zehntausende Israelis haben an diesem und an den folgenden Tagen ihr Zuhause verloren), in der Landwirtschaft oder indem sie Frauen von plötzlich eingezogenen Reservisten unter die Arme gegriffen haben.
Manchen hatten Angst vor der Nacht alleine
Besonders beeindruckt habe sie eine ultraorthodoxe Frau, die sich eben um Familien von Soldaten gekümmert hat. Binnen kürzester Zeit scharte sie mehr als 3000 streng religiöse Frauen um sich, die es ihr gleichtaten. Dabei ging es um ganz alltägliche Dinge wie Hilfe beim Einkaufen, bei der Kinderbetreuung, beim Putzen oder bei Behördenwegen. „Oder auch darum, dass manche Frauen Angst hatten, alleine zu sein – und sich jemanden wünschten, der bei ihnen in der Wohnung übernachtet“, erklärt die israelisch-österreichische Doppelstaatsbürgerin.
Oder eine Familie, aus der zwei Angehörige entführt worden sind. Noch am Abend des 7. Oktober versammelten sich alle Familienmitglieder in der Küche des Vaters eines Hamas-Opfers und teilten die „Jobs“ auf: Einer sollte sich um Kontakte zu Behörden kümmern, einer um die Medien, der oder die nächste um Spuren der Entführten und vieles mehr. Die Kontakte reichten bald von Tel Aviv über Berlin bis New York. Und natürlich ging es nicht mehr nur um die eigene Familie, sondern um die Angehörigen aller Geiseln.
Eine Entführte aus der oben genannten Familie kam frei – die zweite wurde von der Hamas ermordet. Der Einsatz für die Freilassung der verbliebenen Geiseln geht bis heute weiter.
Tierärztin kümmerte sich um Hunde und Katzen
Oder ein Psychotherapeut, der Berufskollegen um sich scharte, um sich um jene zu kümmern, für die der Staat Israel grundsätzlich nicht besonders viel Interesse aufbringt – um die Beduinen, teils nicht sesshafte Araber mit israelischer Staatsbürgerschaft, die von dem Hamas-Überfall teils ebenfalls massiv betroffen waren. Denn für die Terroristen zählte nicht, dass sie Araber und Moslems sind, für sie waren sie Israelis.
Das letzte Kapitel in dem Buch erzählt von einer jungen Tierärztin, die es sich zur Aufgabe gemacht hatte, sich um jene Hunde, Katzen – aber auch Kühe, Schafe oder Ziegen – zu kümmern, die auf einmal auf sich alleine gestellt waren – und das möglicherweise nicht überlebt hätten.
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