Anhand der Immunzellen

Neuer KI-Algorithmus soll Krankheiten erkennen

Digital
15.03.2025 11:38

KI-Forscher feiern medizinischen Durchbruch: Ein neuer KI-Algorithmus eines US-Forscherteams kann Infektionen und Autoimmunerkrankungen mit großer Genauigkeit an jeweils typischen Veränderungen von B- und T-Zellen ablesen und damit Krankheiten erkennen.

Dies haben Maxim Zaslavsky von der US-Stanford University und seine Co-Autoren in der Wissenschaftszeitschrift „Science“ berichtet. Die Krankheiten werden an der Gensequenz der Rezeptoren der Immunzellen abgelesen.

Der Hintergrund: Zur Diagnose einer Infektionskrankheit wird derzeit zumeist nach den Erregern als Ursache gesucht. Das bedeutet oft auch langes Warten bis eine Kultur angelegt und ausgewertet ist. Antikörperreaktionen treten ebenfalls oft erst mit Verzögerung ein. Bei Autoimmunkrankheiten wie Typ-1-Diabetes erfolgt die Feststellung der Erkrankung über die Stoffwechselfolgen, bei Rheuma mit erheblicher Unsicherheit über die Kombination zahlreicher Krankheitszeichen inklusive von Laborwerten (Rheumafaktoren).

Suche nach spezifischen Rezeptor-Eigenschaften
Die Wissenschaftler, unter ihnen auch Experten des Tropeninstituts der Universität Basel, gingen allerdings einer neuen Idee nach: Krankheiten lösen spezifische Reaktionen des Immunsystems der Betroffenen aus. So werden auf B- und T-Immunzellen jeweils ganz besondere Rezeptoren ausgebildet. Die Idee der Experten: Aus den Rezeptoren könnte womöglich abgelesen werden, womit sich das körpereigene Abwehrsystem der Betroffenen gerade beschäftigt.

Zitat Icon

Unser Immunsystem überwacht unseren Körper ständig mit B- und T-Zellen, die wie molekulare Bedrohungssensoren wirken.

Maxim Zaslavsky, Stanford University

„Unser Immunsystem überwacht unseren Körper ständig mit B- und T-Zellen, die wie molekulare Bedrohungssensoren wirken. Die Kombination der Informationen aus diesen beiden Hauptbereichen des Immunsystems liefert uns ein umfassenderes Bild der Reaktion des Abwehrsystems auf Krankheiten und der Abläufe, die zum Beispiel zu Autoimmunität (Autoimmunerkrankungen; Anm.) oder zu Impfreaktionen führen“, wurde Zaslavsky in einer Aussendung der kalifornischen Universität zu der Publikation der Forschungsarbeit zitiert.

KI-System mit 30 Millionen Datenpaketen gefüttert
Die Forscher sequenzierten deshalb bei Patienten mit Infektionen oder Autoimmunerkrankungen bestimmte Teile in den Genen für die B-und T-Zell-Rezeptoren. Diese Rezeptoren sind dazu da, Krankheitserreger aufzuspüren oder verursachen im Falle von Autoimmunerkrankungen gegen körpereigenes Gewebe fehl geleitete Abwehrreaktionen. Die Wissenschaftler schufen daher mit der KI-Software Mal-ID („MAchine Learning for Immunological Diagnosis“) ein Programm, das für einige Erkrankungen typische Veränderungen der Rezeptoren der Immunzellen erkennen sollte.

„In einer Pilotstudie hat Mal-ID die Sequenzdaten von 16,2 Millionen B-Zell-Rezeptoren und 23,5 Millionen T-Zell-Rezeptoren ausgewertet. Sie stammten aus Blutproben von 593 Personen, von denen 63 mit SARS-CoV-2 und 95 mit dem HI-Virus infiziert waren“, berichtete dazu das Deutsche Ärzteblatt. 86 der Probanden hätten an einer Autoimmunerkrankung (Lupus erythematodes), 92 an Typ-1-Diabetes (ebenfalls eine Autoimmunerkrankung) gelitten. 37 Probanden waren gegen die Influenza geimpft worden. 217 Testpersonen bildeten als nicht Betroffene die Kontrollgruppe.

Fast hundertprozentige Genauigkeit
Das Ergebnis: Mal-ID erkannte sowohl die einzelnen Erkrankungen wie SARS-CoV-2-Infektionen, HIV-Infektionen, Lupus, Typ-1-Diabetes als auch die vorangegangene Influenza-Impfung mit fast hundertprozentiger Sensitivität (Auffinden Betroffener) und Spezifität (bei Nichtvorliegen Ausschluss einer Erkrankung). Ein Unterschied je nach Art der Erkrankung: Die Gensequenzen der Rezeptoren der B-Zellen der Probanden identifizierten die HIV- und Covid-19-Infektionen sowie die Influenza-Impfung. Die T-Zell-Rezeptoren identifizierten die Lupus erythematodes- und Diabetes-Betroffenen.

„Da die Kosten für die Sequenzierung von Genen in den vergangenen Jahren deutlich gesunken sind, könnte das Verfahren für die klinische Diagnostik interessant werden. Dies gilt insbesondere für Autoimmunerkrankungen, die oft erst nach einer monate- bis jahrelangen Suche diagnostiziert werden“, schrieb dazu das Deutsche Ärzteblatt.

Algorithmus leicht adaptierbar
Obwohl die Forscher Mal-ID bisher nur anhand von sechs Krankheiten bzw. immunologischen Zuständen (Impfung) entwickelten, gehen sie davon aus, dass der Algorithmus schnell angepasst werden kann, um immunologische Signaturen zu identifizieren, die für viele andere Krankheiten und Leiden spezifisch sind. Dies gelte besonders für die komplexen Autoimmunerkrankungen, zu denen zum Beispiel auch Gelenksrheuma (rheumatoide Arthritis, chronische Polyarthritis) gehört.

„Patienten müssen oft jahrelang kämpfen, bevor sie eine Diagnose erhalten, und selbst dann sind die Namen, die wir diesen Krankheiten geben, wie Oberbegriffe, welche die biologische Vielfalt hinter komplexen Krankheiten übersehen“, sagte Zaslavsky. „Wenn wir Mal-ID nutzen könnten, um die Heterogenität hinter Lupus oder rheumatoider Arthritis zu entschlüsseln, hätte das große Auswirkungen.“

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