Theatermarathon

Ein mühsamer Grenzgang in der Josefstadt

Kritik
16.03.2025 14:04

Normallänge hätte gereicht. Dennoch heller Jubel für Matthew López’ siebeneinhalbstündige Konversationstragikomödie „Das Vermächtnis“ in der Josefstadt. Das starke Ensemble gewinnt.

In politischen, gesellschaftlichen oder ästhetischen Umbruchszeiten neigt das Theater dazu, über seine Ufer zu treten. 1990 trug Heiner Müller mit dem achtstündigen Berliner „Hamlet“ die DDR zu Grabe. 1998 legte die Burg mit dem siebenstündigen „Sportstück“ die Spur zum Nobelpreis für Elfriede Jelinek. 1999 schuf Luk Perceval in Salzburg mit der zwölfstündigen Shakespeare-Collage „Schlachten“ ein Manifest des stückezertrümmernden Dekonstruktionstheaters.

Dagegen hielt 2000 in Hannover Peter Stein mit dem 21-stündigen, jedem Goethe’schen Wort verpflichteten „Faust“. Paulus Manker genügten 2018 in Wiener Neustadt sieben Stunden für die Realisierung des pazifistischen Leuchtturmwerks „Die letzten Tage der Menschheit“ als prophetisches Jahrzehntereignis.

Nun bündelt die Josefstadt alle Kräfte für das voluminöseste Projekt ihrer Geschichte: siebeneinhalb Stunden mit drei Pausen – zwei Stunden und eine Pause länger als „Parsifal“! Nur: wofür? Matthew López schrieb (unter bemühter Berufung auf E. M. Fosters Roman „Howard’s End“) eine geschickte verbalpornografische Konversationstragikomödie über einen schwulen New Yorker Freundeskreis anno Obama.

Die Geschichte greift bis ins Aids-Zeitalter zurück und weist minimal auf Trump eins voraus. Die Dialoge sprühen anfangs vor Witz, die Gestalten sind plastisch, die Schicksale können berühren. Doch laboriert das Unternehmen zusehends an Redseligkeit und Melodramatik, wobei die psychologischen Banalitäten dem gesellschaftspolitischen Sesselkreisgeschwafel nichts schuldig bleiben.

An große Vorbilder reicht das nicht heran, schon gar nicht an Hans Gratzer, der in Wien 1994 mit „Angels in America“ Zeitloses zum Thema vorgelegt hat. So folgt man etwas erschöpft den Mühewaltungen des Regisseurs Elmar Goerden auf leerer Bühne. Elf Herren, ermutigt durch zwölf Statisten, beweisen bewundernswerte Kondition. Den stärksten Eindruck hinterlassen Raphael von Bargen, Nils Arztmann, der skurrile Marcello de Nardo und der Zwischentonvirtuose Joseph Lorenz. Und ganz zuletzt, mit dem Auftritt der großen Andrea Jonasson, löst der Abend für eine halbe Stunde sein hochfliegendes Versprechen ein.

Wie man über Grenzen geht, hat die Josefstadt zuletzt mit „Leben und Sterben in Wien“, einer Uraufführung des Österreichers Thomas Arzt zu den Februarkämpfen 1934, vorgezeigt. Der Jubel war auch diesmal außer aller Norm.

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