Album „Konstrukt 5“

Buntspecht: Zwischen Komödie und Tragödie

Musik
20.03.2025 09:00

Buntspecht haben sich über die letzten Jahre zu Österreichs beliebtesten Stilverweigerern gemausert und sind längst über die Landesgrenzen hinaus bekannt und beliebt. Auf dem neuen Album „Konstrukt 5“ folgt das Sextett wieder dem Abstrakten, ohne auf Eingängigkeit zu vergessen. Lukas Klein und Roman Geßler geben nähere Einblicke.

Wer musikalisch gerne das Unerwartete erwartet, der ist bei Buntspecht goldrichtig. Wie keine zweite Band vermag die Wiener Combo seit knapp zehn Jahren Indie-Pop, Klezmer- und Gypsy-Sounds, Folk, Jazz-Anleihen und viel poetische Seele in einen Soundbrei zu vermengen, der die stete Veränderung zum Vorsatz erhoben hat. „Konstrukt 5“ ist das sechste Album, man will es sich und den Hörern schließlich nicht zu leicht machen. Nach dem famosen Vorgänger „An das Gestern, das nie Morgen werden darfte. Ich warte“ (2023) wollte die Band in der Produktbeschreibung doch auch wieder zwei Schritte zurückgehen. „Wir haben damals sehr viel gestritten, bis wir auf den überdimensionierten Namen gekommen sind“, erinnert sich Sänger Lukas Klein zurück, „das war ja fast ein Prosatext. Dieses Mal hat Florentin etwas gesagt und niemand hat ihm widersprochen. Wir alle lieben ungerade Zahlen, wir lieben Primzahlen und die Numerologie. Es hat sich einfach gut ergeben.“

Eingesperrt und geschrieben
Trompeter und Melodica-Spieler Florentin Scheicher ist neben Klein so etwas wie das Grundgerüst Buntspechts. Während sich die sechsköpfige Truppe vor zwei Jahren noch gemeinschaftlich zum streitbaren Songwriting weggeschlossen hatte, haben sich die beiden dieses Mal für eine Woche in einer Hütte in Reichenau an der Rax eingemietet und die Ideen einfach fließen lassen. Die wichtigste Prämisse war Zwanglosigkeit. „Wir haben uns vorgenommen, dass sobald sich was verhakt oder irgendwo eine Art Widerstand auftaucht, wir die Idee nicht mehr weiterverfolgen wollen. Es sollte aus einem Guss kommen, ganz natürlich.“ Mit den aufgenommenen Demos ging es dann zu den Kollegen ins burgenländische Studio, wo man gemeinschaftlich an den fertigen Stücken schraubte. Wieder einmal haben Buntspecht einen für sie neuen Ansatz gefunden, Lieder entstehen zu lassen und nicht in die Routine zu rutschen. „Dass dabei ein Album entsteht, war gar nie der Plan. Wir haben geschaut, was passiert und was dabei rauskommt. Am Ende haben wir gesehen: Aus Ruhe und Leichtigkeit entstehen die besten Sachen.“

Mit dem Opener und der Single „Im Fluss“ und „Vom Kopf der Hut“ begann die Reise zu den zwölf neuen Songkapitel. Dazwischen passen wieder unzählige Kuriositäten in das an verbalen und klanglichen Kuriositäten nicht armen Kuriositätenkabinetts Buntspechts. Songs nennen sich „Party im Schnitzelhaus“ oder „Sexy Fieber“, sie vermitteln ein ungezwungenes Cowboy-Feeling („Verfolgungsjagd“) oder besingen den Schmerz des Verlusts („Wenn du jetzt gehst“). Ebenfalls neu war der Ansatz, dass die Texte der Komposition folgen mussten und nicht vice versa. Für die beiden Texter Klein und Scheicher bedeutete das, die kreative Freiheit zurückstellen zu müssen, weil die (zuweilen poetischen) Worte dem Klangkonstrukt folgen mussten. „Bei uns wird viel diskutiert, wie in der guten alten Demokratie“, betont Saxofonist Roman Geßler, „das ist Fluch und Segen zugleich, aber am Ende sind die Differenzen nie so groß, dass sie unüberwindbar werden.“ Klein muss dazu schmunzeln. „In der Kunst ist Diktatur manchmal was Gutes. Wir haben in der Band viele Spezialisten für unterschiedliche Bereiche. Manchmal ist da ein Diktator, der wird dann gestürzt und alles wird wieder demokratisch.“

Organisches Wachstum
Buntspecht existieren und spielen gerne nach dem Prinzip des Aufbruchs. Strukturen aufbrechen, Dogmen aufbrechen, Songs aufbrechen – Hauptsache nichts nach Schema F machen und sich wiederholen. Auch wenn „Unter den Masken“ immer noch der beliebteste „Signature-Song“ unter den Fans ist – eine Wiederholung dieser Erfolgsformel käme nicht infrage. „Wiewohl ich einen Hype nicht von der Bettkante stoßen würde“, wie Geßler schnell nachschießt, „aber im Großen und Ganzen ist es gut, dass die Band immer langsam und organisch gewachsen ist. Man kann so etwas von außen ohnehin nicht steuern, aber es fühlt sich gesund an, wie wir uns entwickelt haben.“ Lieder wie „Im Fluss“, „Way Down Alley“ oder „Die Stadt“ sind inhaltlich von besonderer Aktualität. Die politische Weltsituation und die Probleme der Gegenwart gehen an Buntspecht nicht vorbei. „Ich finde, dass wir immer sehr gegenwärtige Lieder geschrieben haben, aber früher waren wir noch unbedarfter“, bringt es Klein auf den Punkt, „unsere Lebensrealität war mit Anfang 20 sicher eine andere, lockerere als sie es heute ist. Wir versuchen in den Liedern immer Optimismus zu transportieren, aber dieser Optimismus ist sehr verzweifelt. Wichtig ist dabei die Vieldeutigkeit.“

So ist ein Song wie „So viel zu sehn“ mit der Zeile „Erzähl mir eine Lüge, die ich glaub‘“ einerseits ein Statement für die Weltlage, kann aber auch einfach eine Befindlichkeitsstudie für eine zerrüttete Zweisamkeit darstellen. „Was den einen an sein Privatleben erinnert, konnotiert der nächste wieder mit der Lage der Welt“, präzisiert Klein, „unsere Texte sind sehr assoziativ und breit interpretierbar. Auf TikTok oder Instagram schreiben uns oft Leute und fragen uns, wofür diese oder jene Zeile steht. Ich sage dann immer, sie steht so, wie sie für dich stehen soll.“ Musikalisch mäandert man zwischen lässigem Soul-Funk und jazzigem 6/8-Takt. Trotzdem gelingt es Buntspecht einmal mehr, in ihrer angeborenen Komplexität eine ungemein leichtfüßige Eingängigkeit zu vermitteln. Manche sind mit Kleins hohem Stimm-Timbre überfordert, andere mit der Unfassbarkeit des Genres – aber es sind die ausufernde Musikalität und ein Gespür fürs Songwriting, das eine scheinbar unkommerzielle Band wie Buntspecht doch auch am Massengeschmack kratzen lässt.

Sich der Sicherheit entziehen
„Oft stellt sich die Frage, ob es sich um eine Komödie oder Tragödie handelt. Bei uns ist meistens beides vorhanden. Heute muss alles eingeteilt werden in gut und böse, schwarz oder weiß, fröhlich oder traurig. Wenn aber die Graustufen in der Welt zurückgehen, dann dürfen sie das nicht in der Kunst. Die Sicherheit, dass ein Jahr zwölf Monate und eine Stunde 60 Minuten hat, brauchen wir Menschen, um uns wo anhalten zu können. Deshalb ist es umso schöner, dass man Projekte haben kann, die sich diesen Normen entziehen. Wir spielen mit der Farbpalette und schauen, was sich wo realisieren lässt. Wir schreiben uns nicht auf die Fahnen, politische Wertevermittler zu sein, aber wir haben unser Weltbild, aus dem man seine Schlüsse ziehen kann. Ich bin ein Fan des Abstrakten, des Surrealen und des Assoziativen. Kunst muss Raum für das Traumwandlerische geben.“ Eintauchen in die Klangwelten Buntspechts kann man chronologisch oder auch wirr. „Konstrukt 5“ ist eine weitere Form der Normentziehung, die sich am besten als Klangerlebnis beschreiben lässt. Optimismus muss man sich heute erarbeiten – aber die Kunst darf schließlich auch fordern.

Live in Österreich
Mit ihrem Album „Konstrukt 5“ sind Buntspecht derzeit auf ausladender Tour. Die Österreich-Termine: 22. Mai im St. Pöltner Cinema Paradiso, am 23. Mai beim Klagenfurt Festival, am 30. Mai beim Dornbirner Dynamo Festival, am 20. September Open Air in der Wiener Arena, am 2. Dezember im Dom im Berg in Graz, am 3. Dezember im Salzburger Rockhouse und am 4. und 5. Dezember im Treibhaus Innsbruck. Unter www.buntspechtband.at gibt es alle Infos und Kartenkaufmöglichkeiten.

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