(Bild: KMM)

Regieren in Österreich

„Dem Kaiser war keine Partei ans Herz gewachsen“

Erfolgreich zu regieren, hieß für die Regierungen unter Kaiser Franz Joseph, sich „durchzuwursteln“, wechselnde Mehrheiten zu finden und alle in  „wohltemperierter Unzufriedenheit“ zu halten, erklärt Historiker Lothar Höbelt. Und eine Zeit lang legten die Abgeordneten gerne das Parlament lahm. 

 

„Krone“: Woher kommt eigentlich dieses Wort „durchwursteln“, mit dem man die altösterreichische Innenpolitik und ihre Probleme so oft beschreibt?
Lothar Höbelt: Damit ist Kaiser Franz Josephs längst dienender Premierminister, Graf Eduard Taaffe einmal an die Öffentlichkeit gegangen, als er seine Mehrheit im Parlament verloren hatte. Er versuchte, einmal hier und einmal dort eine neue Mehrheit zu finden, bis ihn die großen Parteien ärgerlich aufforderten: „Entscheiden Sie sich doch! Für wen sind Sie eigentlich?“ Darauf hat der schlaue Taaffe geantwortet: „Na, die Regierungskunst ist eben, sich durchzugfretten!“. Es wurde ein Schlagwort daraus – auch wenn Taaffes Gegner lieber „fortwursteln“ sagten. 

Prägte die österreichische Politik: Ministerpräsident Graf Eduard Taaffe (1833-1895) (Bild: ONB / ÖNB-Bildarchiv / picturedesk.com)
Prägte die österreichische Politik: Ministerpräsident Graf Eduard Taaffe (1833-1895)

Die parlamentarische Arbeit bewusst lahmzulegen, war ein beliebtes Mittel der Abgeordneten. Warum ging das so einfach?
Weil die damalige Geschäftsordnung vorsah, dass 50 Abgeordnete jederzeit die Verhandlung unterbrechen können. Das war nicht viel bei einer Gesamtzahl von 425 Abgeordneten, die das Parlament damals hatte. Man konnte entweder unzählige dringliche Anfrage stellen oder namentliche Abstimmungen fordern, auch bei Kleinigkeiten.

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Wenn wir nicht kriegen, was wir wollen, dann machen wir für alle anderen das Parlament unmöglich.

Lothar Höbelt über die Taktik mancher Parteien

Heute macht man das mit einer Maschine, damals musste jeder Abgeordnete extra gefragt werden: „Stimmen sie Ja oder Nein?“ Das dauerte gut zwei Stunden. Damit konnte man jede Verhandlung lahmlegen. Das haben abwechselnd die Deutschen gemacht, dann die Tschechen, zum Schluss auch die Slowenen und die Ukrainer. Die Devise lautete: Wenn wir nicht kriegen, was wir wollen, dann machen wir für alle anderen das Parlament unmöglich.

Weiß man, was der Kaiser dazu gesagt hat?
Der Kaiser hat schon seit langem gesagt: Dass das parlamentarische System in Österreich unmöglich ist, ist ja jedem klar! Vor allem aber hat er bereits 1905 die Schlussfolgerung gezogen: Wenn die privilegierten Schichten, das Bürgertum, die Vertreter der Leute von Besitz und Bildung, die wählen dürfen, ständig den Staat in Verlegenheit bringen, dann machen wir eben allgemeines Wahlrecht.

Und hat sich etwas verbessert durch die Einführung des allgemeinen Wahlrechts im Jahr 1907?
Es hat sich ein bisschen geändert. Die bürgerlichen Parteien haben kapiert, dass jetzt, wo die Sozialdemokraten die große Konkurrenz sind, sie sich konstruktiver benehmen müssen. Und darum wurde das Parlament nach der Einführung des allgemeinen Wahlrechtes solider und ruhiger. Man hat sich sogar auf eine befristete Reform der Geschäftsordnung geeinigt. Nur knapp vor Kriegsausbruch 1914 kam es wieder zur Obstruktion und das Parlament wurde heimgeschickt. Aber das war eine Ausnahme. Mit Einführung des allgemeinen Wahlrechtes haben sich die Dinge ein wenig verbessert. Nicht völlig krisenfrei, aber doch verbessert.

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Wir führen die Dinge weiter, wir „gfretten“ uns durch, und wenn es notwendig ist, regieren wir eine gewisse Zeit mit den Notverordnungsparagrafen. Aber die bestehende Verfassung völlig aufheben? Das ist zu riskant.

Lothar Höbelt über Stabilität in der Habsburgermonarchie

Weiß man irgendetwas über das Verhältnis Kaiser Franz Josephs zu den drei neuen Massenparteien und ihren Parteiführern. Wen hat er bei der Mehrheitsbeschaffung als möglichen Partner gesehen?
Vor allem wollte er bei der Mehrheitsbeschaffung immer Alternativen haben. Er wollte nie, wie etwa in England, dass eine Partei die Wahlen gewinnt und dann dem Monarchen einen Premierminister vor die Nase setzt.

1897: Kaiser Franz Joseph eröffnet ein neues Parlamentsjahr, allerdings nicht im Parlamentsgebäude, sondern im Zeremoniensaal der Hofburg, dabei verliest er seine Thronrede. (Bild: Halmi, Arthur Lajos / ÖNB-Bildarchiv / picturedesk.com)
1897: Kaiser Franz Joseph eröffnet ein neues Parlamentsjahr, allerdings nicht im Parlamentsgebäude, sondern im Zeremoniensaal der Hofburg, dabei verliest er seine Thronrede.

Für den Kaiser war klar: Ich suche mir aus, wer meine Regierung führt und wer meine Beamten ernennt – da ließ er sich nichts dreinreden. Er konnte grundsätzlich mit allen; es gab keine Partei, die ihm besonders ans Herz gewachsen wäre.

Kaiser Franz Joseph wird oft als jemand dargestellt, der in der festgefahrenen Innenpolitik nie den großen Befreiungsschlag unternahm.
Da unterschätzt man die Schwierigkeiten! Sobald er der einen Seite recht gegeben hätte, wäre die andere Seite beleidigt gewesen. Franz Joseph war sich wohl bewusst: Alle schreien nach Reformen der Verfassung, aber für diese Reformen gibt es nicht die notwendige Mehrheit, nämlich zwei Drittel oder gar drei Viertel der Abgeordneten, die dafür notwendig waren.

Hätte er mit kaiserlichen Verordnungen die gravierendsten Probleme lösen können? Hätte er die Macht gehabt, den Staat grundlegend umzuformen?
Er hätte sie vielleicht gehabt. Aber das wäre dann ein Staatsstreich von oben gewesen. Man hat ihm das kurz vor seinem Tod im Krieg dann noch einmal suggeriert; es gibt so eine schöne Szene, die einer seiner engen Mitarbeiter so beschreibt: Der Innenminister sagte dem Kaiser: „Majestät, Sie können die Verfassung noch ändern, weil Sie haben ihren Völkern diese Verfassung gewährt. Ihre Nachfolger nicht mehr.“ Und darauf sagt der Kaiser: „Aha, darum muss ich das machen.“ Wobei nicht ganz klar ist, ob die Betonung auf dem „ich“ oder auf dem „muss“ lag. Aber es kam eben nicht mehr dazu. 

Der alte Kaiser wusste, wie man das politische Gleichgewicht austariert. (Bild: Scherl / SZ-Photo / picturedesk.com)
Der alte Kaiser wusste, wie man das politische Gleichgewicht austariert.

Offen ist wie immer natürlich auch die Frage: „Was wäre wenn?“ Werden die
Dinge wirklich besser dadurch? Wer durch Reformen gewinnt, ist nicht immer dankbar. Aber wer durch Reformen verliert, ist mit Sicherheit „angefressen“. Und darum entschied sich der Kaiser zum Schluss immer: Dieses Risiko gehen wir nicht ein. Wir führen die Dinge weiter, wir „gfretten“ uns durch, und wenn es notwendig ist, regieren wir eine gewisse Zeit mit den Notverordnungsparagrafen. Aber die bestehende Verfassung völlig aufheben – das ist zu riskant.

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Der Untergang war gar nicht unausweichlich, nur darf ein so labiles Reich eben keinen Weltkrieg verlieren. Hätte die Monarchie Österreich-Ungarn den Weltkrieg gewonnen, lebte sie weiter bis an ihr seliges Ende.

Lothar Höbelt über das Ende der Habsburgermonarchie 

War angesichts dieser Politik der Untergang der Donaumonarchie unausweichlich?
Der Untergang war gar nicht unausweichlich, nur darf ein so labiles Reich eben keinen Weltkrieg verlieren. Hätte die österreichisch-ungarische Monarchie den Weltkrieg gewonnen, lebte sie weiter bis an ihr seliges Ende. Wie ein englischer Kollege, der eigentlich ein russischer Fürst ist, einmal gesagt hat: Wenn es ein Verbrechen war, diesen Krieg zu beginnen, war es ein noch viel Größeres, ihn zu verlieren – denn sonst wäre Europa viel erspart geblieben, Hitler und Stalin inklusive. Aber zurück zur Innenpolitik: Es war die Idee, dass man den Nationalitätenstreit, der ein Spezifikum der Habsburger Monarchie war, den es in dieser Form eben in den anderen europäischen Großreichen nicht gab, im Stadium einer „wohltemperierten Unzufriedenheit“ hält – wie es der Ministerpräsident Taaffe formuliert hat. Dahinter stand: Es darf nie eine ethnische Gruppe, so beleidigt und so frustriert sein, dass sie sich zum offenen Widerstand bemüßigt fühlt, und es darf keine Nation so mächtig sein und alles kriegen, was sie will, weil dann garantiert alle anderen unzufrieden wären.

Zur Person
Univ. Prof. Lothar Höbelt 
(Bild: Gilbert Novy / KURIER / picturedesk.com)

ist emeritierter Professor für Neuere Geschichte an der Universität Wien und Kommissionsmitglied der Österreichischen Akademie der Wissenschaften. Zu seinen Spezialgebieten zählen die Politik- und Verfassungsgeschichte des 19. Jahrhundert sowie die Innenpolitik der franzisko-josephinischen Epoche. Er verfasste u.a. die Standardwerke:  „Franz Josef I. Der Kaiser und sein Reich. Eine politische Geschichte“ und „Stehen oder Fallen. Österreichische Politik im Ersten Weltkrieg“.

Alle müssen in dieser wohltemperierten Unzufriedenheit gehalten werden, darin bestand die Regierungskunst des Reiches. Das heißt natürlich, dass alle geschimpft haben über die Regierung, klarerweise. Aber niemand war 
so fundamental unzufrieden, dass er zum Beispiel einen Aufstand angezettelt hätte. Erst als der Weltkrieg endgültig verloren war, sagten sich die Völker von der Monarchie los.

Wenn man die 68 Regierungsjahre von Kaiser Franz Joseph betrachtet – was war sein größter innenpolitischer Erfolg?
Ein Erfolg, würde ich sagen, war der Ausgleich mit Ungarn. Der hat ihm in der Außenpolitik, wo es ihm wichtig war, ein gewisses Maß an Souveränität bewahrt und hat die Frage Ungarn, die doch eine sehr brennende war, ruhiggestellt für die nächsten Jahrzehnte.

 



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