(Bild: KMM)

Als nichts mehr ging

Massenschlägereien im österreichischen Parlament

Wegen des Nationalitätenkonflikts flogen im Parlament die Tintenfässer, Abgeordnete hielten 12-Stunden-Reden und Polizeieinsätze beendeten Sitzungen. Regiert wurde regelmäßig mit dem Notstandsparagrafen. Erst mit der Einführung des allgemeinen Wahlrechts kehrte wieder Ruhe ins Parlament ein.

Das Parlament, jener Prachtbau an der Ringstraße, der – als symbolträchtiges Zeichen – mit Materialien aus allen Kronländern erbaut worden war, wurde kurz vor 1900 zum Austragungsort des aufflammenden Nationalitätenkonflikts. Die Abgeordneten der heftig streitenden Parteien machten es sich damals zur Gewohnheit, einander gezielt zu behindern, zu unterbrechen, übertönen, abzulenken – sodass das Parlament beschlussunfähig wurde. Das Zauberwort dafür hieß „Obstruktion“: die bewusste Störung der parlamentarischen Arbeit – und damals Alltag im altösterreichischen Parlament.

Spätestens mit der „Badeni-Krise“ von 1897 war der Nationalitätenkonflikt der Vielvölkermonarchie endgültig ins Abgeordnetenhaus eingekehrt. Damals versuchte Ministerpräsident Graf Kasimir von Badeni, den ewigen Streit darüber zu beenden, in welcher Sprache sich die Bewohner Böhmens an ein Amt wenden durften. Er versuchte es mit einer, seiner Meinung nach, gerechten Verordnung: Ein Bewohner Böhmens sollte die Möglichkeit haben, neben der offiziellen Dienstsprache Deutsch auch in seiner Muttersprache Tschechisch mit den Verwaltungsbehörden zu kommunizieren. Als Konsequenz sollten künftig in Böhmen nur zweisprachige Beamte aufgenommen werden, die sowohl des Deutschen als auch des Tschechischen mächtig wären.

Ministerpräsident Graf Kasimir von Badeni (1846-1909) (Bild: ÖNB-Bildarchiv / picturedesk.com)
Ministerpräsident Graf Kasimir von Badeni (1846-1909)

Die deutschsprachigen Beamten fühlten sich benachteiligt
Das klang theoretisch vernünftig, führte aber praktisch zu ernsten Krawallen in Prag, Wien, und besonders im Abgeordnetenhaus. Denn der typische k.u.k. Beamte sprach nur Deutsch und lernte in deutschen Gymnasien als Zweitsprache Französisch. Ein tschechischer Gymnasiast hingegen lernte Deutsch als Zweitsprache. Also fühlte sich die deutschsprachige Bevölkerung Böhmens durch Badenis Verordnung massiv benachteiligt, und man fürchtete einen Zustrom zweisprachiger tschechischer Beamter in allen Verwaltungsbehörden.

Die Folge waren Massendemonstrationen und schwere Ausschreitungen auf deutscher Seite, die Polizeieinsätze notwendig machten. Die Situation spitzte sich derart zu, dass der Ausnahmezustand über Prag verhängt wurde. Zuletzt wurde die umstrittene Sprachenverordnung zurückgenommen und auch ihr Namengeber, Ministerpräsident Badeni, trat zurück.

Nach der Badeni-Krise wurde der Nationalitätenkonflikt weiter im Reichsrat ausgetragen. Das beliebteste Mittel war, wie gesagt, die Obstruktion: Man behinderte das Zustandekommen von Gesetzen, vor allem, wenn sie dem politischen Gegner nutzten. Die Abgeordneten des Reichsrats waren kreativ, wenn es darum ging, die parlamentarische Arbeit zu boykottieren. Ganz oben auf der Beliebtheitsskala standen „Pultdeckelkonzerte“ – das Auf- und Niederschlagen der Pultdeckel, dicht gefolgt von Schreien, Pfeifkonzerten oder Musizieren – ganze Gruppen von Angeordneten nahmen ihre Instrumente mit und gaben Folkloristisches zum Besten.

Parlamentsarbeit endete meist mit einer Massenschlägerei. (Bild: akg-images / picturedesk.com)
Parlamentsarbeit endete meist mit einer Massenschlägerei.

Und natürlich – die berühmten Dauerreden, die jede Verhandlung lahmlegten: Der Brünner Abgeordnete Otto Lechner schaffte gar eine zwölfstündige Obstruktionsrede. Oft musste aber auch die Polizei ausrücken – dann, wenn es wieder einmal zu einer Massenschlägerei gekommen war. Einmal aber auch, um den Parlamentsdirektor sicher aus dem Haus zu bringen, der von Abgeordneten angegriffen worden war.

Die Obstruktion war mittlerweile als politisches Instrument etabliert und der Parlamentarismus durch die Nationalitätenstreitigkeiten geschwächt worden. Immer wieder wurde der Reichsrat auf Vorschlag der Regierung durch den Kaiser aufgelöst. Möglich war das mithilfe des berühmten Paragrafen 14 der Verfassung, dem „Notverordnungsparagrafen“, der daher oft angewendet wurde. Sobald sich die Lage beruhigt hatte, eröffnete man den Reichsrat wieder. Die Regierungen wechselten in dieser turbulenten Zeit immer schneller und so wurde es immer schwieriger, selbst notwendige Gesetze „durch das Parlament zu bringen“ und in die Tat umzusetzen. Aber, man „wurstelte“ sich eben durch, wie man in der altösterreichischen Politik so schön sagte.

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