Reinfried Herbst:

„Die Freunderlwirtschaft steht uns zu oft im Weg!“

Wintersport
22.03.2025 06:30

Ski-Österreich fehlt die Breite im Nachwuchs – für den Ex-Rennläufer und neunfachen Weltcupsieger Reinfried Herbst ist das kein Wunder, laut dem Salzburger läuft in der Ausbildung zu viel falsch. In der „Krone“ liefert der Kolumnist Lösungsansätze und spricht die gravierendsten Problemzonen schonungslos an. 

Österreichs Ski-Nachwuchs hinkt hinterher, in der Breite sind wir bei Weitem nicht so gut aufgestellt wie die Schweiz. Es heißt immer, wir seien die Skination Nummer eins und wir tun und machen alles, um dieses Problem zu lösen. Aber das ist oftmals nicht zielführend, wir lügen uns da selbst an – es gibt zig Verbesserungsmöglichkeiten. Wenn wir die nicht langsam offen und ehrlich ansprechen, werden wir noch ganz andere Zeiten erleben. Dann sind das aktuell bei Weitem nicht die Schlechtesten.

Da gefällt mir Ralf Rangnick gut – er gibt im Nationalteam eine klare Richtung vor – bis nach ganz unten. Davon kann man halten, was man will, aber er lebt es und verlangt von allen, an einem Strang zu ziehen. Das würde ich mir im Skiverband und beim Thema Nachwuchs auch mehr wünschen. Derzeit machen wir Sachen, die oft keinen Sinn ergeben und schwer nachvollziehbar sind.

An der Arbeit von ÖFB-Teamchef Rangnick sieht Herbst viel Positives. (Bild: Urbantschitsch Mario)
An der Arbeit von ÖFB-Teamchef Rangnick sieht Herbst viel Positives.

Nicht nur Übertalente forcieren
Aktuell haben wir das Problem, dass in der Jugend zu viele zu schnell aussortiert werden. Es spielen bei der Entwicklung so viele Faktoren eine Rolle, weshalb wir dadurch so viele Talente frühzeitig verlieren. Wenn wir nur Übertalente forcieren, können wir uns nicht erwarten, dass wir eine Dichte erzeugen – genau das passiert gerade. Und zwar mehr als wir wollen und zugeben. Es müssen nicht immer alle Schülermeister oder Junioren-Weltmeister sein. Eine Bilderbuch-Karriere, mit stetig nach oben, durften nur ganz wenige erleben – wie zum Beispiel ein Benjamin Raich oder ein Marcel Hirscher, jetzt der Schweizer Marco Odermatt.

Eine Bilderbuch-Karriere, das ist unser Wunschgedanke, aber der ist nicht Realität. Ich zum Beispiel war kein Übertalent, ich war ein Beißer. Die Beißer und die, die es wirklich wollen, für die ist oft kein Platz mehr. Heutzutage, wo sich der Sport so brutal im Kopf abspielt, ist entscheidend: Der Mensch, der Schüler muss VON SICH AUS diesen Weg einschlagen. Es hilft nichts, wenn Eltern sich bei ihren Kindern verwirklichen wollen.

Zeitnehmung ist nicht alles
Wenn man das auf den Skisport herunterbricht, sehe ich ein großes Problem: Es ist falsch, wenn man nur anhand von Zeitnehmungen urteilt und letztlich auch aussortiert. Weil es eine verkehrte Welt ist. Im Fußball laufen alle auf das Feld, spielen auf der gleichen Wiese und treten auf die Kugel – da kann ich das leichter beurteilen. Beim Skifahren steht die körperliche Entwicklung im Schüler- und Jugendalter über allem anderen – dazu kommen die mentale Entwicklung, Gesundheit, Verletzung, Umfeld, Schulen, Material. Diese Vorzüge, die jemand hat, der früh reifer, größer und schwerer ist, haben nicht alle. Dann werden die am Ziehweg immer schneller als ein Kleinerer sein – aber das heißt noch lange nicht, dass der körperlich weiter Entwickelte technisch nur im Ansatz so gut ist. Das weiß jeder, aber es wird interessanterweise zu wenig miteinbezogen.

Eine Bilderbuch-Karriere wie Marcel Hirscher hatten nur die Wenigsten. (Bild: Pail Sepp)
Eine Bilderbuch-Karriere wie Marcel Hirscher hatten nur die Wenigsten.

Du kannst daher nicht einfach hergehen und nach Jahrgängen gehen – der eine ist Jahrgang X, der andere Jahrgang Y. Was ist, wenn einer am 25. Dezember 2005 und einer am 3. Jänner 2006 geboren ist? Gleich alt, aber unterschiedlicher Jahrgang. Das ist nicht fair, dieses Jahrgangsdenken ist völlig überaltert.

Geduld ist entscheidend
Mit 20 haben vielleicht alle dieselbe Größe, aber der eine ist Früh- und der andere Spätentwickler. Wenn ich jetzt aufgrund von körperlichen Gründen vorzeitig Leute aussortiere, fällt ein Riesenschwung weg, der vielleicht das Talent und den Kopf hätte, aber körperlich einfach mehr Zeit gebraucht hätte.

Ein wesentlicher Aspekt ist auch die mentale Seite. Der eine ist mit 16 Jahren noch kindlicher, der andere will schon seine erste Firma gründen. Das sind mehrere Jahre, die im Kopf auseinander sind. Diese Komponenten werden bei vielen unserer Nachwuchstrainer in keinster Weise herangezogen. Stattdessen entscheiden rein die Zeiten. Das ist Schwachsinn und sollte nicht immer das Alleinkriterium sein.

Zitat Icon

Der eine ist also mit einem VW Käfer, der andere mit einem Porsche unterwegs. Ist es dann eine ehrliche Beurteilung eines Trainers, der sich Scout nennt, dass man nur auf die Zeit schaut?

Reinfried Herbst

Im Bereich Material benötigen wir genaue Regeln und Vorgaben, von Kindesalter bis zum FIS-Bereich. Um hier das skifahrerische Können besser und fairer beurteilen zu können. Dadurch kann der Materialvorteil nicht so gravierend ausfallen. Das ist in anderen Sportarten um vieles leichter. Ein Beispiel: Flurwachs, da gibt es im Jugendbereich keine Kontrollen. Wenn einer fair unterwegs ist und ohne fährt, der andere aber mit, sind Welten dazwischen. Jetzt rede ich noch gar nicht vom Materialunterschied – der eine hat Beziehungen, fährt auf ihn abgestimmte Skier und Schuhe. Und der andere Standardrennski. Der eine ist also mit einem VW Käfer, der andere mit einem Porsche unterwegs. Diesen Unterschied, was das Material bewirken kann, sehen wir ja auch in der Weltspitze.

Man kann im Schüler- und Jugendalter die Skier so präparieren, dass technische Fehler kurzfristig nicht sichtbar sind, obwohl jemand keine ausreichende Grundtechnik hat. Auf der anderen Seite kann man einen Durchschnittsfahrer mit dem Material so pushen, dass dieser über seinem Leistungsniveau performt. Das geht so weit auseinander – und wir haben im Verband nicht die Möglichkeit, alles zu kontrollieren und deshalb auch nicht mehr vernünftig zu beurteilen. Hier sind den Trainern oft die Hände gebunden, weil sie zu wenig Infos über das Setup der Läufer haben. Somit ist es schwer, Läufer und Leistungen fair zu beurteilen. Deshalb braucht es strenge Vorgaben und Reglements.

Nicht zielführend
Wenn man da nicht reglementiert und einen einheitlichen Weg geht, hat man keine Chance auf eine ehrliche Beurteilung. Es ist nicht zielführend, wenn man hingeht, Rennen macht und dann alleine aufgrund der gefahrenen Zeit entscheidet, ob jemand gut oder schlecht ist. Wenn man nur auf die Übertalente, die im frühen Alter zusätzlich oft von anderen Voraussetzungen profitieren, schaut, wird man auf lange Sicht in der Breite schlecht ausschauen.

Wir wissen alle, dass es bei Kindern Entwicklungsphasen gibt - die müssen miteinbezogen werden, da braucht es auch Zeit und Geduld. Eine Saison im Skifahren dauert streng genommen drei, vier Monate. Wenn sich da jemand verletzt oder einen mentalen oder körperlichen Entwicklungsschritt nimmt, fällt der bei uns durch den Rost und ist gleich einmal hinten angestellt. Aber genau diese Jungen muss man auffangen und mitnehmen. Man kann gerne die Übertalente forcieren, die wird es immer geben. Aber man darf den Rest nicht sterben lassen. Einfach nur primitiv, und das Wort primitiv passt leider wirklich zu vielen Aussagen, wie zum Beispiel: „Aus dem wird bestimmt nichts“ oder „die Guten halten` aus, setzen sich durch – und die anderen werden`s eh nicht schaffen“.

Bei der sportlichen Entwicklung der Kinder ist auch Geduld gefordert. (Bild: EXPA/ Peter Rinderer)
Bei der sportlichen Entwicklung der Kinder ist auch Geduld gefordert.

Ein weiterer Aspekt wäre der finanzielle: Im Wachstum braucht es gleich mal neue Schuhe, die kosten 250 Euro, das können sich nicht immer alle gleich leisten. Eine Saison im Skisport kostet, wenn du deine Kinder vernünftig betreust, mit Reisen, Ausrüstung, Schule, Internat und Trainer, mittlerweile schnell einmal 20 bis 25.000 Euro. Zur heutigen Zeit hätte ich niemals Rennfahrer werden können, meine Eltern hätten sich das nie leisten können. Viele Familien potenzieller Skirennläufer können genau das heutzutage nicht. Klar, dass die Dichte dann nicht mehr gegeben ist, wenn deswegen schon viele Leute verloren gehen.

Grundtechnik ist enorm wertvoll
Durch die Materialentwicklung haben viele nicht mehr die notwendige Grundtechnik. Die wird aber später im Europa- und Weltcup gnadenlos aufgedeckt, wenn diese nicht vorhanden ist. Früher ist man mehr im Gelände und Wald gefahren und musste instinktiv den Bäumen ausweichen. Davon hat man stark profitiert. Wir haben uns früher eine skifahrerische Grundtechnik angeeignet, das passiert heutzutage viel zu wenig. Früher war die Grundtechnik dank der langen Skier unumgänglich, aber uns hat das auf lange Sicht sehr gutgetan. Dies ist mit den neuen Carving-Skiern heutzutage nicht mehr so. Flurwachs schmieren, Karbonschützer drauf und Rennen fahren – bei denen das Material mit dir fährt. Vielleicht sollten wir nach Norwegen schauen, die legen in diesem Alter noch nicht so viel Wert auf Stangenfahren und setzen mehr auf die technische Grundausbildung.

Zitat Icon

Wir haben ein Schulsystem an Skischulen, das  überarbeitet gehört und veraltet ist. Wenn wir wirklich was bewegen wollen, müssen wir auch dort hingehen und was ändern.

Reinfried Herbst

Apropos: Wir in Österreich reden immer von Skiland Österreich und wir sind die Vorreiter und so weiter. Aber wir haben ein Schulsystem an Skischulen, das dringend überarbeitet gehört und veraltet ist. Wenn wir wirklich was bewegen wollen, sollen wir nicht immer nur reden, sondern auch dort was tun und die Extrameile gehen und umsetzen. Ein Beispiel: Es passt nicht, dass Skischüler im Juli und August Ferien haben. Im Juli und August gehört in die Schule gegangen, dafür brauche ich dann aber die Herbstmonate zum Trainieren. Wir reden von Schwerpunktschulen, da müsste man dringend ansetzen.

Ex-Sportler als Trainer
Heutzutage Trainer zu sein, ist nicht einfach, da technische Fehler oft passieren, weil einem das Material diese aufzwingt. Trotzdem sollte man als Trainer mittlerweile in Materialthemen voll eingebunden sein. Hier ist es dann wieder ein Vorteil, wenn man diese positive und negative Entwicklung und Erfahrung selbst mitgemacht und erlebt hat. Diese Erfahrung ist Goldes wert und kann man nur ganz schwer lernen. Aus diesem Grund wünsche ich mir mehr Top-Ex-Skifahrer, die mit den jungen Talenten diesen schweren, steinigen Weg gehen und betreuen.

Einen Punkt habe ich noch, und der wird nicht allen gefallen: In Österreich, ich muss es so klar sagen, nimmt die Freunderlwirtschaft immens zu – auch im Skisport! Die spielt so eine große Rolle und ist auch mitentscheidend, ob die Jungen weiterkommen oder nicht. Der kennt den, der kennt den, der ist der beste Freund des Vaters – ich kann das alles nicht mehr hören. Das zieht sich durch den ganzen heimischen Skisport. Und das ist für unseren Sport richtig schädigend. Es redet keiner darüber, weil jeder immer seine Leute vorne haben möchte. Dadurch tun wir uns nichts Gutes. Gute Jugendliche werden so, teilweise richtig offensichtlich, zu Ungunsten eines anderen aus dem Verkehr gezogen – bei der Freunderlwirtschaft sind wir Weltklasse, das ist leider Fakt.

Mit diesem Thema müssen wir offen und ehrlich umgehen: Wollen wir unsere Nester und das eigene Umfeld nach vorne bringen oder den Skisport in Österreich vorantreiben? Diese Punkte sind für viele nicht neu, wollen aber nicht gesehen werden, weil es unangenehm werden könnte. Ich wünsche mir einfach, dass viele in Zukunft zusammen an einem Strang ziehen und Eitelkeiten sowie persönliche Interessen hintenanstellen.

Loading...
00:00 / 00:00
Abspielen
Schließen
Aufklappen
Loading...
Vorige 10 Sekunden
Zum Vorigen Wechseln
Abspielen
Zum Nächsten Wechseln
Nächste 10 Sekunden
00:00
00:00
1.0x Geschwindigkeit
Loading
Kommentare
Eingeloggt als 
Nicht der richtige User? Logout

Willkommen in unserer Community! Eingehende Beiträge werden geprüft und anschließend veröffentlicht. Bitte achten Sie auf Einhaltung unserer Netiquette und AGB. Für ausführliche Diskussionen steht Ihnen ebenso das krone.at-Forum zur Verfügung. Hier können Sie das Community-Team via unserer Melde- und Abhilfestelle kontaktieren.

User-Beiträge geben nicht notwendigerweise die Meinung des Betreibers/der Redaktion bzw. von Krone Multimedia (KMM) wieder. In diesem Sinne distanziert sich die Redaktion/der Betreiber von den Inhalten in diesem Diskussionsforum. KMM behält sich insbesondere vor, gegen geltendes Recht verstoßende, den guten Sitten oder der Netiquette widersprechende bzw. dem Ansehen von KMM zuwiderlaufende Beiträge zu löschen, diesbezüglichen Schadenersatz gegenüber dem betreffenden User geltend zu machen, die Nutzer-Daten zu Zwecken der Rechtsverfolgung zu verwenden und strafrechtlich relevante Beiträge zur Anzeige zu bringen (siehe auch AGB). Hier können Sie das Community-Team via unserer Melde- und Abhilfestelle kontaktieren.

(Bild: KMM)
Kostenlose Spiele
Vorteilswelt