Labortheorie im Fokus
Drosten: „Wir müssen darauf eine Antwort finden“
Der Virologe Christian Drosten und die frühere Ethikratsvorsitzende Alena Buyx blicken auf die Pandemie zurück und ziehen Bilanz. Im Fokus stehen Debatten über Schulschließungen, die Corona-Impfung und das schwedische Modell. Drosten warnt zudem vor unregulierter Hochrisikoforschung – die Debatte um den Ursprung des Virus könne nicht totgeschwiegen werden.
Christian Drosten gehörte zum engeren Beratergremium der ehemaligen deutschen Bundeskanzlerin Angela Merkel, als das Coronavirus Fahrt aufnahm. Das Büro der Ex-Kanzlerin hatte es „Gedankenaustausch“ genannt, als Drosten und sein Team das erste Mal kontaktiert wurden. Dass dies keine hochoffizielle Polit-Beratung werden würde, war von Anfang an klar – dafür gab es das Robert Koch-Institut (RKI) oder die Leopoldina, wie Drosten im Interview bei „ntv-Salon“ erklärt.
Rund fünf Jahre ist das nun her – am 16. März 2020 ging Deutschland in den ersten Lockdown. Es folgten Diskussionen über Schulschließungen, Masken und die Corona-Impfung. Der Virologe Drosten war ab diesem Tag fast täglich im Fernsehen zu sehen.
Buyx: „Wir haben uns gestritten“
Auch die frühere Vorsitzende des Deutschen Ethikrats Alena Buyx nahm regelmäßig an jenen Debatten und Diskussionen teil. „Wir haben sozusagen Denkprozesse durchlaufen“, erzählt Buyx und räumt Komplikationen ein: „Wir haben uns gestritten.“ Zwischen Buyx und Drosten gebe es zwar keinen Dissens, weder er noch sie hätten dem anderen in das jeweilige Fachgebiet der Virologie und Ethik hineingeredet. Buyx nennt es „Reflexionsraum“, die Debatten hätten in der Folge zu konkreten Entscheidungen geführt.
Viel Kritik musste der Virologe in den fünf Jahren einstecken. Doch Drosten hätte immer versucht, in der Politikberatung dasselbe zu sagen wie gegenüber der Öffentlichkeit, wie er im Interview einräumt. Zudem weist er den Begriff des Scholz- oder Merkel-Flüsterers zurück: „Das stimmt einfach nicht.“ Rückblickend gesehen hätten die Versammlungsverbote die Infektionen deutlich verringert, wie Drosten erklärt. Die Frage sei dabei der Preis, den die Gesellschaft zahlen müsse und welchen Schaden man dadurch anrichten würde.
Debatte über Schulschließungen „komplex“
Auf die Frage, wie Drosten die Schulschließungen im Nachhinein bewerten würde, sei dies „komplex“. Daten würden zeigen, dass Schulschließungen einen deutlichen Effekt auf die Infektionskontrolle gehabt hätten. Man könne jedoch sagen, dass der „Preis bei den Schulen zu hoch war“, wie der Virologe erklärt. Die Jungen hätten laut Buyx den Beginn der Pandemie „relativ gut“ weggesteckt – kurzzeitig sei die Jugend sehr resilient. Doch durch die fortlaufenden Einschränkungen – auch mit Beginn des Ukraine-Kriegs – wäre die psychische Belastung zu hoch gewesen. „Gott sei Dank ist die Belastung jetzt wieder gesunken, aber gut ist die Lage weiterhin nicht“, so die frühere Vorsitzende des Ethikrats.
Die Annahme, die Impfung würde die Pandemie beenden, wäre laut dem Virologen damals korrekt gewesen. Anfangs mutierte das Virus nur langsam, sodass eine vollständige Durchimpfung die Verbreitung hätte eindämmen können. Das Problem sei gewesen, dass große Teile der Weltbevölkerung ungeimpft blieben, wodurch das Virus mehrfach durchlief und schließlich Mutationen mit Immunflucht entstanden. Diese Varianten hätten sich dann auch in geimpften Ländern ausgebreitet, sodass eine Impfquote von 70 Prozent nicht mehr ausgereicht hätte. Das Virus sei den Planungen stets voraus gewesen, besonders mit der Omikron-Variante. Dennoch habe die Impfung schwere Verläufe weiterhin gut verhindert.
Es sei falsch zu behaupten, die Impfung habe die Übertragung nie unterdrückt – sie habe das durchaus getan, wenn auch nicht perfekt und mit abnehmender Wirkung, erklärt Buyx. Kommunikativ sei dies jedoch missverständlich dargestellt worden. Im Rückblick hätte die Gesellschaft stärker das Gemeinsame betonen sollen, anstatt Ungeimpfte auszugrenzen.
Das schwedische Modell als bessere Alternative?
Das schwedische Modell mit dem Appell an die Bevölkerung auf Eigenverantwortung wäre nicht überall beliebig einsetzbar. Es komme aufs Land, auf die Populationsverteilung, den Bildungsgrad, die wirtschaftliche Stärke oder Schwäche einer Bevölkerung ein, so Drosten. Die Akzeptanz für Impfungen sei zwar deutlich höher gewesen, trotzdem verzeichnete Schweden in der ersten Welle eine zehnfach höhere Todeszahl als andere skandinavische Länder und eine fünfmal höhere als in Deutschland.
Für die Bekämpfung der Pandemie wäre auch das Wissen über die Herkunft des Virus irrelevant gewesen – laut Drosten wäre dies aber für die Zukunft von Bedeutung. Gefährliche Erreger könnten erforscht werden, doch Hochrisikoforschung berge immer Infektionsgefahren, die reguliert werden müssten. Den Vorwurf eines Laborunfalls in Wuhan könne der Virologe nicht erheben, die Möglichkeit der wissenschaftlichen Auswertung dieser Daten sei ihm nicht möglich gewesen. „Aber wir müssen darauf eine Antwort finden. Wir dürfen das nicht totschweigen“, betont Drosten.
Ein neues Problem ortet Drosten bei der Hochrisikoforschung: Vor zehn Jahren hätte man den Eindruck haben können, dass solche Arbeiten nur in wenigen Speziallabors in Europa und den USA stattfänden, wo seriöse Forschende ihre wissenschaftliche Reputation nicht für riskante Experimente aufs Spiel setzen würden. Inzwischen wisse man jedoch, dass solche Forschungen auch in anderen Ländern betrieben würden, nicht nur in China. Diesen Ländern könne man nicht einfach vorschreiben, damit aufzuhören. Das stelle ein neues Problem dar: Drosten fordert diesbezüglich eine internationale Regulierung.
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