Im historischen Event-Zweiteiler „Sternstunde der Mörder“ (Ausstrahlung voraussichtlich 2026 auf ServusTV) spielt Nicholas Ofczarek einen Gestapo-Offizier. Während der Dreharbeiten am Wiener Zentralfriedhof nahm sich der Wiener für ein Gespräch mit der „Krone“ Zeit.
„Krone“: Herr Ofczarek, bei den Dreharbeiten zu „Sternstunde der Mörder“ waren Sie auch am Wiener Zentralfriedhof am Einsatz. Wie fühlt es sich an, in so einer Szenerie zu drehen und dann auch noch bei Sonne?
Nicholas Ofczarek: Geplant war Regen, aber das ließ sich nicht so leicht umsetzen, also haben wir auf Nebel und Düsternis umdisponiert. Wenn man auf einem Friedhof dreht, fühlt man sich nicht wirklich wohl und ein bisschen fehl am Platz. Man hat ständig das Gefühl, dass man stört, andererseits ist es aber auch komisch, weil der Wiener Zentralfriedhof die Einflugschneise für Schwechat ist. In Wien ist ein Friedhof nicht gleich ein Friedhof. Ich habe früher mal am Hernalser Friedhof gedreht. Der ist wirklich schön, weil sehr selektiv. Man verliert sich dann in der Situation und alles erinnert einen an die eigene Sterblichkeit und an das, was man auf Friedhöfen schon alles erlebt hat.
Wie entscheidend ist das Setting um einen herum, wie man seine Rolle spielt?
Sehr entscheidend, denn im wirklichen Leben ist das Setting auch richtungsweisend. Natürlich ist hier alles künstlich, denn wir behaupten in der Produktion auch, dass wir in Prag wären. Es ist aber toll zu sehen, welche Welten die Heimatstadt zum Drehen anbietet. Es ist bedenklich, wie viele Leerstände wir in Wien haben. Das sind ganze Wohnhäuser mit riesigen Wohnungen, die nicht vermietet werden, weil der Besitzer das aus unterschiedlichen Gründen nicht will. Interessant ist auch, wie Menschen 2025 leben. Es ist seltsam, für eine Produktion wie diese in der Gegenwart eine SS-Uniform zu tragen, aber es genauso auch toll, die Zivilkleidung der 40er-Jahre mit den Hüten zu tragen. Ich habe diese Zeit nicht erlebt, aber sie ist ja in uns drinnen. Wir treten damit ein bisschen in die Fußstapfen unserer Großeltern.
Ist es die Eleganz der Kleidung, die Sie dabei fasziniert?
Die meisten Szenen spiele ich in Zivilkleidung und rund um 1945 hat man sich dabei viele Gedanken gemacht. Wann trägt man welchen Hut und in welcher Situation lüftet man ihn, um jemanden zu begrüßen? All diese Dinge sind heute längst verloren gegangen. Trägt man etwa am Friedhof einen Hut oder nicht? Ich finde diese Fragen sehr interessant. Es gibt viele Rituale, die verschwunden sind oder sich verändert haben und ihnen nachzufühlen finde ich sehr interessant. Die Menschen haben damals auch komplett anders gesprochen. Sie hatten einen viel größeren Wortschatz, weil sie mehr gelesen haben und es damals auch nichts anderes gab als Bücher. Mein Vater ist 1939 geboren und hat mir immer gesagt, Bücher und Schuhe hätten den größten Wert gehabt. Diese Zeit von damals ist für uns noch heute schwer greifbar, weshalb man sie sich auch immer wieder gerne anschaut und in Filmen zu ihr zurückgeht.
Ist es nicht auch wichtig, sich die Ausläufe des Zweiten Weltkriegs heute zu vergegenwärtigen, weil die Lage der Welt immens angespannt ist und die Fehler von früher zunehmend zu vergessen scheint?
Ich finde den Spruch, dass sich die Geschichte wiederholt, ein bisschen falsch, aber die Geschichte reimt sich. Wir sind immer noch Menschen, aber die Zeiten und Voraussetzungen sind heute andere. Die Zeiten waren schon immer schwierig und wir beschweren uns auf viel höherem Niveau. Wir leben mit Wien in einer der schönsten und sichersten Städte der Welt, aber wir sind auch vielseitiger und tiefgreifender informiert als je zuvor. In den 70er-Jahren hat man geglaubt, was in der Zeitung steht oder in den Nachrichten lief. Heute haben wir unzählige Portale, die uns über alles informieren.
Man ist gleichermaßen informierter und desinformierter. Mehr Quellen heißt nicht, dass es glaubwürdigere Quellen sind.
Ja, es stimmt beides. Man muss aber auch aufpassen, was man sich selbst zumutet. Ich habe auch meine Phasen, wo ich mir überhaupt keine Nachrichten anschaue, weil sie nicht erträglich sind.
Was für ein Gefühl ist es, wenn Sie in diesem Weltkriegssetting in Ihre sehr ambivalente Rolle schlüpfen? Als Zuseher weiß man nicht so genau, wo der steht, und was passiert.
Wichtig ist, dass man alles offenlässt. Dass man den Zusehenden die Fragestellung überlässt und nicht erklärt, was mit ihm los ist und auf welcher Seite er steht. Ich will einen Raum eröffnen, in dem die Leute sich Fragen stellen können. Wir machen ja Projektion und leben tendenziell in einer Zeit, wo auch in der Kunst und im Schauspiel sehr viel übererklärt wird. Alles zu erklären ist ein Rezept für Erfolg und deshalb tut man es so gerne. Ich überlasse aber lieber dem Zuseher, was er sieht oder zu sehen glaubt. Man muss auch die Nerven haben, solche Räume zu öffnen, denn damit macht man den Zuseher zum Voyeur und nicht zum bloßen Betrachter. So bleibt er eher dran – es ist eine Herausforderung.
Befinden Sie sich in einer Illusion, wenn Sie die Rolle bekleiden?
Natürlich, sonst wäre ich ja verrückt, würde ich das so glauben. Gewissermaßen betreibe ich Hochstapelei, aber ich muss für den Moment immer daran glauben, damit ich diese Glaubwürdigkeit auch ausstrahlen kann. Ich schlüpfe jetzt nicht in eine Rolle rein, aber wenn man sehr lange an einem Projekt dreht, dann nimmt man gewisse Dinge an. Man träumt auch anders, weil das Hirn anders arbeitet. Das ist ein bisschen wie beim Skifahren, es tritt ein Automatismus der Vorgänge ein. Das Hirn stellt sich darauf ein und automatisiert die Abläufe. Würde ich aber wirklich glauben, dass ich mich in Prag 1945 befinde, müsste man mich einliefern.
Ist die Vorbereitung auf so eine Rolle elementar anders, als wenn man sich auf eine gegenwärtige Rolle einstellt? Nicht nur in der Recherche, sondern auch in der Umsetzung?
Ich bin sehr interessiert daran, es gründlich zu machen. Was die Sprache anbelangt, war mir einiges im Drehbuch zu heutig und verknappt. In Drehbüchern herrscht oft Überinformation und ich beschäftige mich damit, wie ich den Charakter so steuern kann, dass er nicht gleich spricht wie die anderen. Wir haben auch im realen Leben einen unterschiedlichen Wortschatz und der macht uns aus. Ich habe mir sehr viel Musik aus dieser Zeit angehört und die war zum Teil sehr dissonant. Daraus hört man schon, dass es eine gewisse Schieflage gab – nebst der Vergnügungs- und Unterhaltungsmusik aus dieser Zeit. Ich habe kein Rezept für die Vorbereitung, versuche aber meine Sensoren zu schärfen, sodass ich ein gewisses Gefühl für Straßenzüge, Details und die Architektur der jeweiligen Zeit kriege. Letztendlich dient die Vorbereitung vor allem dazu, dass man beim Drehen entspannt ist. Bin ich entspannt, ist die Figur entspannter anzusehen. Die ganzen amerikanischen Filmschauspieltechniken sind darauf ausgerichtet. Es geht um Entspannung. Darum, dass man nicht jemandem beim Arbeiten zuschaut, sondern beim Sein. Deshalb reichert man sich mit möglichst viel an. Ich sehe oft Filme, die historisch sind, aber man sieht darin nur Menschen von heute, die in historisches Kostüm tragen.
Dadurch fehlt es an der Identifizierung mit dem Charakter. Es reicht nicht, sich bloß die Kleidung von damals umzustülpen.
Ich finde das schade, denn dadurch wird ein Produkt nicht besser. In manchen Belangen hat sich die Menschheit nicht so stark verändert, deshalb sind solche Geschichten wie diese immer auch sehr aktuell. Dinge können ruhig etwas fremder und schwerer erklärbar wirken. Es ist schwer zu beschreiben, aber ich möchte einen Zustand der Hingabe erreichen. Das macht im Film und beim Theater aber jeder anders.
Ist es nicht auch schwierig, wahre Authentizität zu vermitteln, wenn man nicht selbst erlebt hat, was authentisch war?
Durchaus und da stellen sich auch verschiedene Fragen dazu. Etwa, wie damals Sexualität aussah. Wer denkt denn ans Jahr 1945 und gleichzeitig daran, wie Sexualität damals verlief? Man sieht das auch nicht in diesen Filmen, weil es tabu war. Hat man überhaupt Gefühle gezeigt, und wenn ja, wie? Diese Fragen beantwortet man sich dann beim Tun.
Ist das Enttabuisieren solcher Subthemen wichtig in Produktionen wie dieser? Dass man vielleicht auch immer Ansätze findet, die noch nicht diskutiert wurden, obwohl man glaubt, man habe aus dieser Epoche schon alles gedreht und besprochen?
Wenn wir bei der Frage der Sexualität bleiben, dann stellt sich schon einmal die Frage, was man zeigt und was nicht. Ist es notwendig, dass man physisch aufeinanderliegt oder interessiert mich nicht vielmehr eine andere Form von Nähe? Wenn im Drehbuch steht, dass zwei Leute miteinander schlafen, kann das viel bedeuten. Ich persönliche brauche das nicht, denn ich möchte lieber einen Aspekt hervorkehren, den man vielleicht nicht kennt oder mit dem man nicht rechnet. Ich finde es ungemein schwieriger, richtige Nähe zu zeigen, als den tatsächlichen Akt. Über solche Dinge mache ich mir viele Gedanken.
Richtige Nähe ist auch intimer als der Akt an sich. Es ist authentische Intimität.
Oder zusammen am Küchentisch zu sitzen und zu frühstücken. An einem Küchentisch zu sitzen und zusammen Suppe zu essen, ist wesentlich schwieriger zu spielen. Meistens kennt man seine Kolleginnen und Kollegen nicht, und dem Zuseher aus dieser Position heraus eine Nähe zu erzählen, die nicht völlig ausformuliert ist, ist schon eine Aufgabe.
Gerhard Liebmann hat in seiner Rolle des Schlächters gesagt, es gehe bei seiner Person nicht um das Morden selbst, sondern um die Person dahinter. Die Mimik, die Gestik, die Zwischentöne. Das ist parallel dazu in Ihrem Fall nicht anders?
Ja, und dem Zuschauer was zu überlassen. Das ist eine große Kunst.
Ist dieses Überlassen heute umso schwieriger, weil alle Menschen schon so gut informiert sind bzw. alles nachlesen können, was sie zu einem Thema interessiert?
Wir müssen Räume öffnen und dürfen nicht jede Frage beantworten wollen. Das wäre dann die Zeit der Optimierung und das würde ständig zu einem Erfolgsrezept führen. Wenn wir das wüssten, wäre ja alles ein Erfolg und dann wäre jeder Weltmeister. Ich glaube stark an die Grauzonen und daran, dass man nicht immer alles erklären muss.
Können Sie in diese Rolle besonders viele Grauzonen einfließen lassen?
Das muss man. Das Spiel decouvriert sich langsam. Im besten Fall schaut man jemandem zu, der eigentlich aufgegeben hat und in einer Zeit des totalen Umbruchs plötzlich wieder zu Leben beginnt – obwohl um ihn herum alles immer tödlicher wird. Er tut das aber nicht, weil er ein Psychopath ist, sondern weil er plötzlich wieder eine Aufgabe hat und das Menschsein bzw. das Individuum in sich wiederentdeckt.
Aktiviert er die Sinnsuche?
Das und die Lebendigkeit. Auch im echten Leben passiert es uns manchmal, dass wir uns mit einer Situation abfinden und alles in eine Routine leitet. Plötzlich passieren dann eine Reihe von Dingen, durch die man plötzlich wieder was spürt und sich auf einmal lebendig fühlt. Das macht den Film auch sehr aktuell, weil er etwas über das Menschsein erzählt. „Sternstunde der Mörder“ leitet ja ein bisschen in die Irre, denn ist ja keine Sternstunde, wenn man jemanden ermordet. Helden gibt es hier eigentlich keine. Es ist eher ein Krimi im historischen Gewand, der nicht alles erklären muss, aber unterhalten soll. Als Schauspieler fühlst du aber, dass das hier eine Romanvorlage ist und dass es für die Geschichte einen Roman brauchte. Das Ganze hat dadurch einen ganz anderen Unterboden und dadurch geht das Produkt über einen bloßen historischen Krimi hinaus.
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