Wenn es die Theaterwelt zulässt, lässt sich Phillippa Galli in die Welt der Musik fallen. Als Pippa veröffentlicht sie dieser Tage mit „Träume aus Zement“ ihr viertes Album, das stark an ihre persönlichen Helden erinnert. Der „Krone“ erzählt sie, warum es so stark um Kontraste geht, wieso sozial zu sein essenziell ist und wie ihre Musik ihre Persönlichkeit verändert.
Sie hat sich im „Idiotenparadies“ gesuhlt und zuletzt den Blickwinkel geschärft – auf ihrem vierten Studioalbum konzentriert sich die Wiener Künstlerin Philippa „Pippa“ Galli auf die Welt der Kontraste. In vielerlei Hinsicht ist „Träume aus Zement“ der Beginn eines ganz neuen Karrierekapitels für die 39-Jährige. Sie hat sich von ihrem Management getrennt, umgab sich mit neuen Kreativ- und Organisationsmenschen und hat auch am Sound geschraubt. Genauer gesagt zurückgeschaut, denn auch wenn Pippa mit ihren Alben bislang eher im Pop-Segment aufgefallen ist, sie selbst wuchs mit der ungezügelten Wut des Grunge und mit intelligentem Deutschpop der Marke Tocotronic auf. In diese Richtung gehen auch einige Songs auf dem neuen Album - Acts wie etwa Wir sind Helden wird ganz offensichtlich gehuldigt. „Ich wollte bewusst ein Revival feiern“, erzählt sie sympathisch im „Krone“-Talk, „nach drei Alben und zwei EPs traue ich mir mehr zu. Ich gehe klarer aus mir heraus. Einfach nichts scheißen und tun, was man für richtig hält.“
Zum Nullpunkt und wieder zurück
Man muss nicht zwingend gleich etwas mit Parolen beschmieren, um den Geist des deutschen Indie-Pops der 2000er-Jahre authentisch wiederaufleben zu lassen. „Wir sind Helden haben wie keine zweite Band den Spagat zwischen Indie und Kommerz geschafft. Ihre Musik hat eine breite Masse angesprochen und sie sind sich trotzdem treu geblieben. Brillant getextet, mit einer politischen Haltung und im Sound nie anbiedernd.“ Pippa eröffnet das Album mit dem Song „Reise“, der durchaus auch metaphorisch für ihren Weg in eine neue Selbstständigkeit gesehen werden kann. „Ich wollte mehr Frauen an meiner Seite haben. Leute, die an das Projekt glauben und es mittragen, auch wenn es wirtschaftlich nicht den großen Erfolg bringen sollte. Als es mit meinem vorigen Management zu Ende ging, habe ich selbst ein bisschen den Nullpunkt erreicht. Ich stand wieder ohne jemanden da, obwohl ich etabliert bin. Ich war für einen Amadeus Award nominiert und weiß, dass mich Leute schätzen. Für mich war die Musik immer ein Durchkämpfen und ich musste mir oft die Sinnfrage stellen, ob ich weitermachen soll.“
Songs zu schreiben, Musik zu machen und sich der kreativen Muse hinzugeben – das sind alles Dinge, ohne die Pippa gar nicht existieren könnte. „Da dringt dann der Kämpferinnengeist in mir durch. Moritz Kristmann hat mich grandios unterstützt und wir sind richtig stolz auf dieses Album.“ Die eingangs erwähnten Kontraste sind schon im Albumtitel verborgen. Weiche Träume auf hartem Zement – das passt am Ende besser zusammen, als manche vermuten würden. „Ich wollte auch schauen, wie ich Realität und Traumwelten verbinden und ineinandergreifen lassen kann. Oder wie der Song ,Weck mich nicht auf‘ als Klavierballade beginnt und dann in verzerrte Gitarren übergeht. Nicht zuletzt spielt der Albumtitel auch auf mich selbst an. Ich baue mir gerne ein Schloss auf, in dem ich es mir gemütlich machen und mich von der Welt abschotten kann. Ich leide manchmal unter depressiven Phasen, aber es braucht die bewusste Entscheidung, rauszugehen, sich nicht davon abhängig zu machen und Dinge einfach zu tun. Diese Thematik zieht sich durch viele der neuen Songs.“
Anmutig und destruktiv
Wenn Pippa textet, dann wird sie nie so ganz konkret. Es bleiben genug Räume für Zwischentöne und für eigene Interpretationen. Ein Panoptikum an klanglichen und inhaltlichen Möglichkeiten, genährt aus der Liebe zur Kunst. Apropos Kunst – ihr Leben am Theater und jenes in der Musik will sie heute nicht mehr so sehr trennen wie noch für einigen Jahren. „Es gehört alles zusammen, ich sehe das mittlerweile auch stärker als eins. In einem Theaterstück kann man viel verarbeiten und sich körperlich mit Dingen auseinandersetzen, aber bei einem Livekonzert auf der Bühne als Musikerin mit meinen eigenen Texten – da bin ich so sehr ich wie nirgends sonst.“ Die Lieder auf dem Album mäandern zwischen Tagträumen, Erkenntnissen, Beobachtungen, Erfahrungen, Wünschen, Sehnsüchten und Interessen. „Mir war klar, das Album braucht das Zärtliche und Anmutige, aber auch die Seite, die bewusst damit bricht. Träume sind schön und abgründig zugleich. Ich begegne dort meinen schlimmsten Dämonen, aber befinde mich auch in den schönsten Welten.“
Abgeschlossen wird das Werk mit „Die Neugier ist ein seltsames Tier“. Ein weiterer Bruch aus dem üblichen Korsett. „Der Song ist so zu verstehen, dass ich dieses selbstgebaute Schloss wieder niederreiße und mit Neugier nach außen gehe. Wenn man im Leben nicht riskiert, verletzt zu werden, dann erlebt man auch nichts. Ich hatte früher sehr starke Tendenzen, mich zurückzuziehen – auch im sozialen Sinne. Irgendwann habe ich aber kapiert, dass wenn ich nie das Risiko einer Verletzung oder Kränkung eingehe, ich auch nichts spüren werde.“ Der Track „Tauche wieder auf“ etwa geht klar in die Richtung, aus sich rauszugehen. „Ich tauche gerne ab und reflektiere Geschehenes, damit ich dann mit neuer Energie wieder auftauchen kann. Ich überlege mir weniger, was sich andere denken, sondern vertraue mir immer stärker. Auch das musste ich mit der Zeit erlernen.“ Ein wichtiger Bereich für Kreativität ist für Pippa die Langeweile. „Die Gesellschaft suggeriert uns immer, ständig was zu tun, aber ich langweile mich gerne. Das Nichtstun ist ein kreativer Quell.“
Kämpferin für Gerechtigkeit
Auch wenn sich Pippa nie klar politisch positioniert, sie hat ihre gefestigten Ansichten und scheut nicht, sie offen mitzuteilen. „Niemand von uns wurde gefragt, ob er geboren werden möchte. Wir alle wurden in dieses Leben hineingeworfen und deshalb finde ich es wichtig, einen sozialen Beitrag zu leisten. Nur weil jemand Banker oder Hedgefonds-Manager ist, ist er nicht mehr wert als eine Tagträumerin, die gerne spazieren geht. Wir alle sollten für andere da sein, das muss nicht immer mit Geld zu tun haben. Für Kunst- und Kulturschaffende schaut die Zukunft düster aus. Nur die wenigsten Arbeitslosen sind arbeitslos, weil sie bequem sind. In meinem Fall geht von einer Theaterproduktion zur nächsten und hat dazwischen monatelang Stehzeiten. Dass man neben dem AMS-Geld nichts dazuverdienen darf, verstehe ich nicht. Wenn man dazwischen was tut, verliert man das AMS-Geld und ist nicht versichert.“
Über die Jahre hat sich Pippa auch im Musikgeschäft vernetzt. Mit den Künstlerkolleginnen Rahel und Resi Reiner pflegt sie eine WhatsApp-Selbsthilfegruppe, wo man sich gegenseitig in schweren Zeit Mut zuspricht und sich über alle Themen des Lebens austauscht. Da liegt natürlich die Frage auf der Hand, ob daraus eine Art österreichisches Pendant der US-Supergruppe Boygenius (Phoebe Bridgers, Lucy Dacus, Julien Baker) entstehen könnte. „Dafür haben wir alle zu viel zu tun, das sehe ich derzeit eher nicht so“, lacht Pippa, „Rahel hat letztes Jahr allein glaube ich 100 Konzerte gespielt. Ich wüsste nicht, wie sich das ausgehen sollte. Wir freuen uns aber für die jeweils anderen und unterhalten uns auf eine sehr schöne, wertschätzende Art und Weise miteinander. Es ist eher eine Art seelische Massage, die wir uns zuteilwerden lassen.“ Was wäre auch eine Welt ohne Kontraste und ohne die Auslotung verschiedener Gesichtspunkte und Ansätze? Mit „Träume aus Zement“ geht Pippa einerseits zum Sound ihrer Jugend zurück, zeigt sich inhaltlich aber gegenwärtig und reif wie nie zuvor.
Album-Releaseshow in Wien
Am 10. April stellt Pippa ihr neues Album live in der Fluc Wanne in Wien vor. Unter www.oeticket.com gibt es noch Karten und alle weiteren Informationen zum Event.
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