Kraftsport boomt. Immer mehr Frauen greifen zu schweren Gewichten und bewegen hunderte Kilo – und kämpfen gegen Vorurteile, die sich hartnäckig halten. Manuela Wotolen ist mit 62 Jahren eine der ältesten Powerlifterinnen des Landes. Ein Besuch zwischen Hantelbank und Gewichtsscheiben.
Außer dem Klirren der Gewichte hört man nicht viel an diesem Mittwochvormittag im Ultimate Gym in Graz-Puntigam. Manuela Wotolen zieht ihre weißen Turnschuhe aus und schnallt einen dicken Gürtel um ihre Mitte. Sie stellt sich hinter die Langhantel mit gelben und grünen Scheiben, greift sie, geht in die Knie, schaut sich im Spiegel in die Augen, atmet – und hebt sie auf. Für „Manu“, wie man sie hier kennt, sind 70 Kilo leicht. Heute ist sie nicht ganz fit, und am Samstag war erst der Wettkampf. „Deadlift ist meine beste Disziplin“, sagt die 62-Jährige. „Mein Rekord bei einem Wettbewerb sind 125 Kilo. Ein Mann in meiner Altersklasse hat nur 110 geschafft.“ Das ambitionierte Ziel für nächstes Jahr: 200 Kilo.
Der Deadlift – zu Deutsch Kreuzheben – ist eine der drei Disziplinen im Kraftdreikampf. Dazu kommen die Kniebeuge und das Bankdrücken. Seit Jahren wird die Sportart immer beliebter, sagt Lukas Kreuzer. Er ist nicht nur Manuelas Coach, sondern auch amtierender Staatsmeister und Obmann des Vereins Benching Bastards. „Seit etwa zehn Jahren ist Fitness richtig populär. Diese Leute, die zum Trainieren angefangen haben, suchen dann irgendwann neue Ziele und landen bei uns.“ Gab es früher vielleicht drei oder vier Frauen, die bei Wettkämpfen angetreten sind, ist heute die Hälfte der Teilnehmer weiblich. „Du schaust besser aus, du fühlst dich besser. Der Fortschritt ist messbar. Das hält die Leute bei der Stange.“
„Heben ist Leben“
Schon als junges Mädchen war Marlene Sabathy mit dabei, als ihr Vater an Wettkämpfen teilnahm. „Er war Bodybuilder und Powerlifter. Mit 14 bin ich bei meinen ersten Meisterschaften angetreten“, sagt die heute 28-jährige Grazerin. Seit Kurzem ist Sabathy in „Powerlifting-Pension“ und auf olympisches Gewichtheben umgestiegen. Im Löwenherz Fitness in Graz-Liebenau trainiert sie dreimal pro Woche Reißen und Stoßen. „Heben ist Leben“, hat dort jemand auf die Wand gekritzelt. „Ich wollte etwas Neues ausprobieren. Von der Power konnte ich viel mitnehmen, aber es verlangt mehr Beweglichkeit und Technik.“
Kampfrichterin bleibt Sabathy weiterhin. Ihr Blick ist genau und kritisch – auch unter guten Freundinnen. Bei den steirischen Meisterschaften am vergangenen Samstag hat Chiara Svete, mit der sie gemeinsam im Verein Barbell Tribe engagiert ist, ihren persönlichen Rekord im Deadlift gebrochen: 167,5 Kilo. „Alles hat mit dem Wunsch, drei Klimmzüge zu schaffen, begonnen“, denkt die Sportwissenschaftlerin zurück.
Das Ziel war immer Leistung, nicht Aussehen. „Damals war ich dürr. Heute habe ich zehn Kilo mehr.“ Wenn man auf der Plattform steht, die Langhantel greift, gegen das Gewicht ankämpft – „da geht es nicht ums Aussehen“, sagt Svete. „Ein schlankes Schönheitsideal interessiert hier keinen.“
Man ist völlig im Moment, der ganze Fokus liegt auf dem Gewicht. Das hilft im stressigen Alltag.
Powerlifterin Chiara Svete, 27
Mit 55 begann sie mit dem Kraftsport
Und doch kam Manuela Wotolens Einstieg in den Sport mit 55 Jahren genau aus dem Grund. „Ich habe ab einem gewissen Alter zugenommen. Dann habe ich mir eine Trainerin genommen und mit Kraftsport angefangen.“ Irgendwann fiel ihre Kraft den jungen Burschen im Gym auf. So kam es, dass sie nun für die Graz Giants bei Wettkämpfen teilnimmt.
Schwarz-weiße Bilder von Muskel-Männern zieren die Wände im Ultimate Gym. Manuela trainiert sechsmal die Woche. „Montag benchen, Dienstag squatten, Mittwoch Deadlift“, dazu kommen andere Übungen. „Etwa zwei Stunden dauert das“ – täglich. Auch außerhalb der Kraftkammer dreht sich im Leben der Pensionistin vieles um den Sport. „Ich esse viel Hendl und Reis“, sagt sie, zum Frühstück gibt‘s Skyr mit Himbeeren, zum Abendessen drei Eier, Reiswaffeln und einen Proteinshake. Alles genau nach Plan, alles auf den Muskelaufbau ausgerichtet. „Wir planen das über Jahre“, sagt Coach Lukas Kreuzer. „Zuerst aufbauen, dann abnehmen.“
Würden mehr Frauen Kraftsport machen, würde das Gesundheitssystem massiv entlastet werden.
Manuela Wotolen, 62
„Mein Körperbild ist mir extrem wichtig“
Manuela hebt ihre Arme, spannt den prallen Bizeps an. „Mein Körperbild ist mir extrem wichtig. Ich will schön definiert aussehen und lege viel Wert auf meine Schultern.“ Manchmal, sagt sie, etwa beim Schwimmen, sprechen Leute sie auf ihre Muskeln an – vor allem junge Menschen, die sie als Vorbild sehen. „Sie ist unglaublich inspirierend für uns alle“, sagt Kreuzer.
Die wichtigste Botschaft bleibt für Wotolen trotzdem eine andere: Wer mit 60 schwere Gewichte zieht und drückt, kann mit 80 noch die Einkaufssackerl über die Stiege tragen. „Man kann auch im Alter Muskeln aufbauen und schaut nicht gleich wie der Schwarzenegger aus.“
Vorurteile ändern sich nur langsam
Gerade für Frauen ab dem Wechsel, sagt Chiara Svete, sei Kraftsport so wichtig: „Da geht es um zum Beispiel auch um die Knochendichte“, erinnert sie. Aber die negativen Vorurteile halten sich hartnäckig, weiß auch Marlene Sabathy. „Schwere Gewichte zu heben, sei schlecht für die Knie, sei schlecht für die Gelenke – es ist traurig, dass das immer noch so gesehen wird. Das verändert sich zu langsam.“
Ob die beiden mit über 60 auch noch im Fitnessstudio an neuen Rekorden arbeiten werden? Die Antwort kommt ohne Zögern. „Ja, ich will das so lange machen, wie es geht. Wieso nicht?“, sagt Svete. „Sich als stark zu begreifen, verändert im Kopf noch mehr als im Körper.“
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