Ex-Nazis verpflichtet

Neue Studie lässt Mythos um Trümmerfrauen platzen

Österreich
28.03.2025 10:41

Die „Trümmerfrauen“, die in Wien nach dem Zweiten Weltkrieg selbstlos Schutt beseitigten, sind ein Mythos. Wie Historiker der Akademie der Wissenschaften (ÖAW) anhand bisher kaum beachteter Quellen zeigen, wurden vor allem ehemalige NSDAP-Mitglieder für die Aufräumarbeiten verpflichtet.

Der im Fachjournal „Austrian History Yearbook“ erschienenen Studie zufolge entstand erst ab den 1990er-Jahren die mystifizierende Erzählung der „Trümmerfrauen“.

Das Bild des selbstlosen Einsatzes von Frauen, die in den ersten Jahren nach Ende des Zweiten Weltkriegs dessen Spuren in Wien wegräumten und damit den Weg für den Wiederaufbau freimachten, ist in vielen Köpfen fest verankert, wird aber von Experten schon lange kritisch hinterfragt.

Zuletzt entzündete sich die Debatte 2018, als der damalige Vizekanzler Heinz-Christian Strache (FPÖ) ein auf Initiative des FPÖ-nahen Cajetan-Felder-Instituts geschaffenes „Trümmerfrauen“-Denkmal auf der Mölker-Bastei in Wien-Innere Stadt enthüllte.

Der damalige Vizekanzler HC Strache (r.) bei der Enthüllung des Denkmals im Jahr 2018  (Bild: APA/HANS PUNZ)
Der damalige Vizekanzler HC Strache (r.) bei der Enthüllung des Denkmals im Jahr 2018 

Thematik mangels Quellen nebulös
„Die Trümmerfrauen-Thematik in Österreich ist recht nebulös, weil es sehr wenige Quellen gibt“, erklärte Martin Tschiggerl vom Institut für Kulturwissenschaften. Gemeinsam mit seinen Kolleginnen Lea von der Hude und Patricia Seifner hat er bisher kaum ausgewertete Akten aus dem Wiener Stadt- und Landesarchiv analysiert, um den Nebel um die angebliche freiwillige Frauenarbeit zu lichten.

Trümmerfrauen bilden eine Kette, um Schutt aus einem zerstörten Haus zu beseitigen (Archivfoto von 1945). (Bild: APA/dpa/dpaweb via APA)
Trümmerfrauen bilden eine Kette, um Schutt aus einem zerstörten Haus zu beseitigen (Archivfoto von 1945).

Untersucht haben die Historiker rund 7000 Ansuchen um Entschädigung von zwangsverpflichteten Nationalsozialisten. Hintergrund dieser Ansuchen war ein im August 1945 von der provisorischen österreichischen Bundesregierung verabschiedetes Gesetz, das ehemalige NSDAP-Mitglieder zu Sühnemaßnahmen im Wiederaufbau verpflichtete.

67 Groschen für Frauen und 84 Groschen für Männer
Nachdem in Folge von derart verpflichteten Arbeitern eine Reihe von Klagen auf Entschädigung eingebracht wurden, entschied der Oberste Gerichtshof 1951, dass ihnen eine Bezahlung für die geleisteten Arbeitsstunden zustehe: 67 Groschen pro Stunde für Frauen und 84 Groschen für Männer.

Zitat Icon

In der unmittelbaren Nachkriegszeit gab es nicht nur einen Mangel an potenziellen Arbeitskräften, sondern auch einen Mangel an Bereitschaft in der Bevölkerung, sich überhaupt an den Aufräumungsarbeiten in der zerstörten Stadt zu beteiligen.

Martin Tschiggerl

„In diesen Ansuchen um Entschädigung finden sich teilweise sehr umfangreiche Schreiben mit Schilderungen der Antragsteller, wann, wo und was sie gearbeitet haben“, so der Historiker. „Als ehemaliger Nationalsozialist ... habe ich am schwersten gelitten“, zitieren die Forscher im Titel ihrer Arbeit ein Beispiel aus den Ansuchen.

Entschädigung für Millionen Arbeitsstunden
Auf Basis dieses sehr umfangreichen Bestands schätzt man, dass Millionen an Arbeitsstunden entschädigt wurden. Wie viele ehemalige NSDAP-Mitglieder tatsächlich im Arbeitseinsatz waren, sei schwer zu sagen, die Ansuchen dürften aber nur die Spitze des Eisbergs darstellen: „Wir gehen davon aus, dass maximal zehn bis 20 Prozent der Sühnearbeiter um Entschädigung angesucht haben. Angesichts dieser Indizienkette bleibt nicht mehr viel über für freiwillige Arbeit selbstloser Frauen.“

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Als ehemaliger Nationalsozialist (...) habe ich am schwersten gelitten.

Zitat aus einem gestellten Entschädigungsantrag

Von den rund 7000 dokumentierten Ansuchen stammten rund 55 Prozent von Männern und 45 Prozent von Frauen. „Das ist ein Ungleichgewicht, wenn man bedenkt, dass 1945/46 deutlich mehr Frauen in Wien waren als Männer, von denen viele noch in Gefangenschaft oder am Rückweg von der Front waren“, sagte Tschiggerl.

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