Syrien-Krieg
Experte warnt vor Folgen: “Dann gnade uns Gott”
Anruf in Tourrettes-sur-Loup bei Nizza, wo der prominente deutsch-französische Buchautor sein Refugium hat. Eva Scholl-Latour hebt das Telefon ab. "Mein Mann ist gerade schwimmen. Ich geh' ihn gleich suchen." "Schääätzchen", hört man sie mehrfach rufen. Dann ertönt auch schon seine unverwechselbare Stimme, bekannt aus diversen Fernseh-Talkshows. Er sitze im Bademantel auf seiner Terrasse, vor ihm liege das Meer, beschreibt der Grand Seigneur der Auslandsjournalisten das mediterrane Panorama - Abendsonne und weiße Jachten russischer Oligarchen und arabischer Monarchen inklusive.
Erst letzten Dezember hat er noch Bashar al-Assad in Damaskus getroffen - jenen Mann, der nun beschuldigt wird, für den Chemiewaffen-Angriff auf sein Volk verantwortlich zu sein. Wie ein Maschinengewehr feuert Scholl-Latour seine Kommentare und Analysen ab. Mehr zufällig lauscht er manchmal auch gnädig einer Frage.
"Krone": Herr Scholl-Latour, die Bilder der toten syrischen Kinder sind letzte Woche um die Welt gegangen. Was ist Ihnen beim Betrachten der Fotos und Videos durch den Kopf gegangen?
Peter Scholl-Latour: Die Bilder sind entsetzlich, es ist einfach grauenhaft, was hier geschehen ist.
"Krone": Es kann Sie also nach sechs Jahrzehnten Berichterstattung von den Brennpunkten der Erde noch etwas menschlich berühren?
Scholl-Latour: Wenn da Kinder aufgebahrt nebeneinanderliegen, mit geschlossenen Augen, getötet von Chemiewaffen, dann ist das sicher schlimm. Aber wissen Sie, ich habe so viele Leichen in meinem Leben gesehen. Drei Jahre habe ich im Kongo verbracht, da sind fünf Millionen Menschen umgebracht worden. Da hat sich keiner aufgeregt ...
"Krone": Die USA beschuldigen Syriens Präsident Assad, für den Massenmord verantwortlich zu sein. Sie kennen Bashar al-Assad, halten Sie es für denkbar?
Scholl-Latour: Ich will Assad nicht freisprechen, denn manchmal wirken Leute ganz sympathisch - ich habe ihn ja letzten Dezember noch getroffen - und sind trotzdem schreckliche Kerle. Aber der Mann ist nicht dumm! Es wäre doch völlig widersinnig, Obamas rote Linie zu überschreiten und so etwas zu veranstalten. Cui bono? - Wem nützt es? Und es nützt natürlich den Rebellen, wenn die Amerikaner eingreifen, und das sind ja auch keine harmlosen Jungen. Die Al-Kaida-Leute wissen mit Giftgas umzugehen ...
"Krone": 20 UN-Inspektoren haben Damaskus am Samstag verlassen - wird es den endgültigen Beweis, wer hinter dem Chemiewaffenangriff steht, je geben?
Scholl-Latour: Ich bin da skeptisch. Ich war auch im syrischen Grenzgebiet bei Idlib, und es stimmt einfach nicht, dass die 'Freie Syrische Armee' noch die Oberhand hat. Die Oberhand haben die Dschihadisten, die Islamisten und Al-Kaida. Die wollen dort einen theokratischen Gottesstaat errichten. Deswegen auch Obamas zögerliches Verhalten. Denn was kommt nach Assad? Ja, was wird denn kommen? Entweder ein chaotischer Staat wie Libyen oder ein harter theokratischer Al-Kaida-Staat, für Israel zum Beispiel sehr viel weniger erträglich als das Assad-Regime. Wenn das die Alternative zu Assad ist, dann vielen Dank.
"Krone": Die Briten haben einen Rückzieher gemacht, nun überlegt Obama einen Alleingang - oder einen Militärschlag gemeinsam mit Frankreich. Für wie riskant halten Sie das?
Scholl-Latour: Die Franzosen sind völlig verrückt geworden! Frankreich war immer die Schutzmacht der Christen im Orient, jetzt kümmert sich kein Mensch mehr um die Christen. Dabei gilt für die islamischen Extremisten: Die Christen sollen in den Libanon, die Alawiten - zu denen Assad zählt - werden massakriert. Ein Militärschlag bringt da gar nichts! Auch weil das Flugabwehrsystem Syriens dank der Waffen aus Russland und dem Iran sehr gut entwickelt ist, was Luftangriffe sehr gefährlich macht. Aber Präsident Obama befindet sich eben in einer peinlichen, höchst gefährlichen Situation.
"Krone": Welche Folgen hätte ein militärisches Eingreifen in Syrien?
Scholl-Latour: Assad hat sehr große Giftgas-Depots, die können die Amerikaner nicht bombardieren. Im Grunde ist ein Militärschlag deshalb eine Alibi-Aktion. Sie können Flugplätze, Befehlsbunker und Verbindungsstellen bombardieren. Das würde aber einige Milliarden Dollar kosten. Wenn sich aber der arabisch-islamische Flächenbrand - Irak und Syrien im Bürgerkrieg, Ägypten steuert auf eine Militärdiktatur zu - ausweitet, dann gnade uns Gott.
"Krone": Dann wird es einen neuen Krieg geben?
Scholl-Latour: Wenn die Amerikaner oder die Israelis gegen den Iran vorgehen würden, der Waffen an Assad liefert, oder wenn Saudi-Arabien, der reaktionärste Staat, den es überhaupt gibt - dort werden jeden Freitag nach der Predigt Leuten die Glieder abgehackt und Frauen gesteinigt -, sich bedroht fühlen würde, dann möglicherweise. Zum Iran muss gesagt werden, dass dieses Land zwar hochgerüstet ist, aber sehr bedacht agiert. Obwohl die Iraner bei uns immer als Verrückte dargestellt werden.
"Krone": Der Einsatz von Chemiewaffen ist international geächtet - wie sollten Konsequenzen Ihrer Meinung nach aussehen?
Scholl-Latour: Es gibt diese berühmte Klausel der "responsibility to protect". Wenn eine Volksgruppe von der Ausrottung oder massiven Tötung bedroht ist, besteht die Verpflichtung, ihr zu Hilfe zu kommen. Aber das geht nur mit einem einstimmigen Beschluss im UNO-Sicherheitsrat, und den wird es nie geben, weil Russland und China nicht mitmachen.
"Krone": Österreich hat der NATO jetzt immerhin die Überfluggenehmigungen verweigert. War das mutig oder ist es einfach wurscht?
Scholl-Latour: Das war prima! Die Österreicher sind ja auch gegen einen Beitritt der Türkei zur EU. Sie verstehen auch ein bisschen mehr von den Ländern da unten, die Preußen haben ja keine Ahnung ...
"Krone": Als profunder Kenner der arabischen Welt: Würden Sie sagen, dass der Arabische Frühling endgültig gescheitert ist?
Scholl-Latour: Ich habe nie an den Arabischen Frühling geglaubt. Aber dass das Ding so grauenvoll danebengehen würde, hätte ich nicht für möglich gehalten. Der sogenannte Arabische Frühling - ich fand den Ausdruck immer blöd - ist zum blutigen Chaos geworden.
"Krone": Wird in der arabischen Welt jemals Demokratie herrschen?
Scholl-Latour: Dort hat es nie Demokratie gegeben und es wird vermutlich auch nie Demokratie geben.
"Krone": Macht es Sie manchmal traurig, dass Sie schon sechs Jahrzehnte lang über Konflikte auf der Welt berichten und sich nie etwas ändert?
Scholl-Latour: Ich bin ja nur Beobachter, nicht persönlich engagiert ...
"Krone": Mit Ihren Kommentaren bewegen Sie sich manchmal am rechten Rand, werfen Kritiker Ihnen vor. Haben sie recht?
Scholl-Latour: Ich stehe weder rechts noch links. Ich sammle meine Erfahrungen an Ort und Stelle, deshalb bin ich als alter Mann, mit meinen bald 90 Jahren, auch noch an die syrische Grenze gefahren.
"Krone": Ihr jüngstes Buch trägt den Titel "Die Welt aus den Fugen" - wie wird diese Welt denn wieder ganz?
Scholl-Latour: Gar nicht mehr. Im Grunde war der Kalte Krieg rückblickend gesehen eine sehr stabile Zeit. Da waren diese beiden Supermächte, die wussten, dass sie sich gegenseitig auslöschen könnten. Aber wenn es wirklich ernst wurde, dann haben sie sich abgesprochen.
"Krone": Wünschen Sie sich etwa die Zeit des Kalten Krieges zurück?
Scholl-Latour: Ich sage nur: Sie war sicherer. Heute steuern wir auf Cyberwars zu, man wird die elektronischen Systeme des Gegners lahmlegen, wir werden es mit asymmetrischen Kriegen zu tun bekommen - also mit starken konventionellen Armeen auf der einen Seite undrong> Herr Scholl-Latour, was soll man einmal über Sie sagen?
Scholl-Latour: Ach, ich habe da keine besonderen Ambitionen, betrachte mich weder als Prediger noch als Missionar. Als Kind wäre ich gerne Forscher geworden oder Entdecker. Das kann man heute nur noch in begrenztem Umfang - es laufen einem ja überall die Touristen über den Weg. Aber wirklich spannend werden Länder erst, wenn die Touristen weg sind und es ein bisschen knallt (lacht). Was soll man einmal über mich sagen? Vielleicht einfach diesen Satz: Der Bursche hat ein interessantes Leben geführt.
Der Welterklärer
Geboren am 9. März 1924. Studium der Politikwissenschaft und Arabistik in Mainz, Paris und Beirut. Afrika-Korrespondent der ARD, Leiter der Pariser Büros von ARD und ZDF, WDR-Programmdirektor und Kurzzeit-Chefredakteur des "Stern". Er war in Gefangenschaft der Vietcong, trank Tee mit Gaddafi und besuchte Bundeswehrposten in Afghanistan im Spürpanzer. Das neueste Buch des Bestseller-Autors trägt den Titel: "Die Welt aus den Fugen", Propyläen Verlag, 25,70 Euro. Privat ist Scholl-Latour seit 1985 in zweiter Ehe mit Eva verheiratet. Sein Sohn Roman ist Mediziner und lebt heute als Farmer in Neuseeland.
Kommentare
Da dieser Artikel älter als 18 Monate ist, ist zum jetzigen Zeitpunkt kein Kommentieren mehr möglich.
Wir laden Sie ein, bei einer aktuelleren themenrelevanten Story mitzudiskutieren: Themenübersicht.
Bei Fragen können Sie sich gern an das Community-Team per Mail an forum@krone.at wenden.