Unsere Gletscher werden verschwinden. Jahr für Jahr befindet sich weniger Eis auf unseren Bergen. In der Silvrettagruppe verläuft dieser Vorgang sogar schneller als in anderen Bergregionen.
Die Gletscher schwinden. Und das in rasantem Tempo. Dies ist die Quintessenz eines vor Kurzem präsentierten Berichts des Österreichischen Alpenvereins für das Jahr 2023/24 – die „Krone“ berichtete. Auch das Ländle bildet bei diesem Negativtrend keine Ausnahme. So hat der Ochsentaler Gletscher in der Silvretta, der vom Piz Buin in Richtung Wiesbadner Hütte fließt, seit der letzten Messung fast 18 Meter an Länge eingebüßt. Für den erfahrenen Vorarlberger Gletschermesser Günther Groß ist die Entwicklung bedenklich: „In den vergangenen zwei Jahrzehnten hat die Gletscherschmelze an Fahrt aufgenommen und ist auf einem Niveau angelangt, das österreichweit zu einem totalen Abschmelzen führen wird.“ Dass Österreichs Gletscher in spätestens 40 bis 50 Jahren weitestgehend verschwunden sein werden, dürfte sich kaum noch vermeiden lassen, so die gängige Expertenmeinung.
Die im Vergleich zu anderen Regionen niedrigeren Gipfel der Silvrettagruppe werden wohl früher als andere Gebiete von dieser Entgletscherung betroffen sein, glaubt Groß. Die Eisriesen reagieren unmittelbar auf Veränderungen von Niederschlagsmustern und Temperaturen, sie sind somit wichtige Klimaanzeiger. „Im Laufe des Sommers apern unsere Gletscher mittlerweile fast zur Gänze aus. Es überdauert auch in den obersten Bereichen kaum noch eine schützende Schneebedeckung“, führt Groß aus. Durch die steigenden Temperaturen werde der Winterschnee schneller abgebaut, zudem würden immer häufiger die sommerlichen Schneefälle im Hochgebirge entfallen, durch welche zumindest ein vorübergehender Schutz vor starker Abschmelzung gegeben wäre. „Auf der schneefreien und oft durch Schutt und Staub verschmutzten dunkleren Gletscheroberflächen wirken die Schmelzvorgänge folglich beschleunigt und verstärken den Eisverlust daher noch gravierend“, erklärt der Fachmann. Und somit ist der Eisschwund nicht – wie früher – nur auf die untersten Bereiche der Gletscher begrenzt, sondern betrifft mittlerweile die gesamte Eismasse.
Die Landschaften im Gebirge verändern sich
In der Vorarlberger Silvrettagruppe standen laut Günther Groß über Jahrzehnte hinweg acht Gletscher unter Beobachtung. „Heute sind es noch vier, da der Südliche Klostertaler Gletscher abgeschmolzen ist und der Litzner Gletscher, der Schattenspitzgletscher und der Nördliche Klostertaler Gletscher sich in die obersten Steillagen zurückgezogen haben oder durch Steinschlag nicht mehr zugänglich sind“, fasst der erfahrene Vermesser zusammen.
Andere Ferner wie der Vermunt-Gletscher zerfallen in mehrere Teile und sind somit noch schneller dem Verfall preisgegeben.
Mit den schwindenden Eismassen verändert sich auch die Landschaft im Gebirge. Dies betrifft im Gebiet der Silvretta unter anderem die Route auf den Piz Buin, mit 3312 Meter der höchste Berg des Landes. „Über viele Jahre erfolgte der Aufstieg über den Vermunt-Gletscher und das sogenannte Wiesbadener Grätle ins Firnbecken und die Buin-Lücke. Der Gletscherrückgang und die Zunahme von Steinschlägen machen diese Route mittlerweile unbegehbar“, weiß Groß. Dies sowie instabile Felspartien am Kleinen Piz Buin seien zum Teil eine direkte Folge des Gletscherrückganges im Zusammenspiel mit der Abnahme des Permafrostes.
2025 ist das Jahr des Gletscherschutzes
Der immer rasanter verlaufende Rückzug der Eisriesen wird auf weit mehr Bereiche Auswirkungen haben als nur den Alpinismus: etwa auf den Wasserkreislauf, die Biodiversität oder die Energiegewinnung.
Der Gletschermessdienst des Österreichischen Alpenvereins beobachtet bereits seit 134 Jahren die heimischen Gletscher und registriert akribisch deren Längenänderungen. In manchen Gebieten werden zusätzlich Messungen der Fließ- geschwindigkeiten und der Oberflächenhöhe durchgeführt. Die Berichte und die Fotodokumentationen aus den Alpenvereins-Archiven vermitteln folglich ein umfassendes Bild von der Entwicklung der Eisriesen, das wissenschaftlich von internationaler Relevanz ist. Ein nächster Schritt in der Dokumentation der Messergebnisse des Österreichischen Alpenvereins ist der Gletschermonitor, eine neue Online-Plattform, auf der erstmals alle aktuellen, aber auch die historischen Daten zurück bis zur Gründungszeit des Gletschermessdienstes interaktiv abgerufen werden können: www.alpenverein.at/gletschermonitor.
Der Gletscherschwund erlangt mittlerweile auch international Aufmerksamkeit. Die Vereinten Nationen haben gemeinsam mit der Weltorganisation für Meteorologie (WMO) das Jahr 2025 zum „International Year of Glaciers Preservation“ erklärt, um auf die Problematik aufmerksam zu machen. Denn Hauptgrund für die negative Entwicklung ist laut Experten der Klimawandel, welcher seit dem 19. Jahrhundert vor allem durch menschliche Aktivitäten verursacht wird. Der Österreichische Alpenverein fordert einen ausnahmslosen Gletscherschutz, der neben den Gletscherflächen auch die fragilen Vorfelder der Eisriesen, also die Bereiche, die erst in den vergangenen rund 175 Jahren eisfrei geworden sind, umfasst. Denn diese Gebiete geraten durch einen zunehmenden Nutzungsdruck in Bedrängnis. Günther Groß glaubt zwar, dass die heimische Bergwelt wohl auch eisfrei ein reizvoller Naturraum bleiben wird, hebt aber gleichzeitig hervor: „Für Naturliebhaber und Touristen geht mit dem Gletscherschwund ein faszinierendes Landschaftselement im Hochgebirge verloren. Denn der Anstieg auf einen Berggipfel mit Gletscherkontakt übt eine besondere Anziehungskraft aus.“
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