„Krone“-Interview

Stootsie: „Musik ist bei uns ein Extremhobby“

Musik
30.03.2025 09:00

Als Frontmann von The Seesaw prägte Michael Steinitz aka Stootsie die heimische Indie-Welt der späten 90er- und frühen 2000er-Jahre mit. Jetzt meldet sich der Inhaber eines Gitarrengeschäfts mit dem Solowerk „Never A Straight Line“ zurück – und erinnert sich mit der „Krone“ an eine Zeit, die verheißungsvoll erschien.

Es passiert äußerst selten, dass österreichische Acts über die europäischen Grenzen hinauskommen und ihre Musik im Sehnsuchtsland USA präsentieren dürfen. Wenn jemandem dann solches Glück zuteilwird, wird man vor Freude schon einmal aus der Reserve gelockt. Es muss nicht gleich ein Nummer-eins-Hit wie „Rock Me Amadeus“ sein, es reichen auch erste Auftritte und kleine Tourneen. Bilderbuch etwa drehten sogar einen Kurzfilm, als sie den deutschen Elektroniker Roosevelt auf dessen USA-Tour supporteten und schnitten das Ergebnis so, dass man glauben würde, die Leute wären für sie gekommen. Unlängst begeisterten Cari Cari mit ihrem schwungvollen Wüstenrock gleichermaßen rurale wie urbane Amerikaner und die Tiroler Psych-Rocker Mother’s Cake haben in Amerika vielleicht schon mehr Zeit verbracht als in der österreichischen Steiermark. Im kalifornischen Hollywood und in Silver Lake konzertierten in den 2000er-Jahren aber auch die Salzburger The Seesaw.

Heiße Indiepop-Aktie
Mit der Single „Girl On The Phone” eroberte das Gespann 1996 die Spitze der damals noch jungfräulichen FM4-Charts, bis man sich in den 2000er-Jahren kurzfristig ins große Rampenlicht spielte. Zu Buche stehen zwei Auftritte am Frequency Festival, ein Alternative-Charts-Nummer-eins-Album mit „Generation Love“ und der Song „All The Same“, der ihm bahnbrechenden österreichischen Kinofilm „In 3 Tagen bist du tot“ seine Verwendung fand. Für die Single „Partners In Crime“ nahm man sogar in den Londoner Abbey Road Studios auf. Ein paar Jahre lang waren The Seesaw mit ihrem auf Platte sehr gefälligen, live dafür wild um sich schlagenden Indie Pop/Rock nicht nur die heißeste Genre-Aktie im Heimatland, sondern auch am Sprung zu internationaler Prominenz. An diese Zeiten erinnert sich Michael Steinitz auch im „Krone“-Gespräch noch gerne zurück.

„Als zwischen 1991 und 1992 der Grunge explodierte, waren alle großen Plattenfirmen in Österreich auf der Suche nach ähnlichen Bands.“ Der damalige Branchenriese EMI war an The Seesaw dran, für Stootsie, so Steinitz‘ Spitzname, war aber früh klar, dass so eine Vereinbarung nur mit Kompromissen einhergehen würde, die man selbst nicht bereit wäre einzugehen und dass es in Österreich auf Dauer nicht möglich sei, mit englischsprachiger Musik zu punkten. „Ich habe nie so ganz daran geglaubt, dass es wirklich klappen könnte. Wir hatten das Glück, in einem großen Studio proben und spielen zu können, wir hatten großartiges Equipment zur Verfügung. Das hat uns eine Zeit lang gut weitergebracht.“ Irgendwann rund um 2009 verschwanden The Seesaw in der Versenkung, eine Reunion will Stootsie nicht ausschließen. „Mal schauen, ich würde nichts verneinen.“

Hauptsache es klingt anglophil
Stootsie ist seiner Salzburger Heimat stets treugeblieben, führt seit gut 30 Jahren das Gitarrenfachgeschäft Riverside Guitars in der Altstadt und musiziert immer dann fröhlich vor sich hin, wenn ihn die Muse geküsst oder gerade Bedarf da ist. Stootsie ist ein Nerd, gleichermaßen Fan wie Musiker selbst. Auf Hochzeiten oder in Hotels spielt er gerne gitarrenlastige Hits aus mehreren Jahrzehnten Musikhistorie, während der Fokus auf Mod-Sounds der Marke Paul Weller gelegt wird. Wenn er selbst Musik komponiert, dann öffnet sich die Schere noch weiter. So ist auch sein brandneues Soloalbum „Never A Straight Line“ eine Mischung aus psychedelischen Sounds, Echo-Effekten, straightem Pop-Rock oder elektronischen Schlenkern. Wichtig ist, dass es very british oder gerne auch einmal amerikanisch klingt. Die Säulenheiligen sind die Beatles, die Rolling Stones, Style Council oder The Jam – einen extrem markanten Platz nehmen aber auch gegensätzliche Acts wie die Beach Boys oder die Pet Shop Boys ein.

Mit „I’ve Been Blind“ findet sich gar ein elektronischer Track auf dem sonst eher sanft an der Indiepop-Küste beheimateten Albumschiff, der an die legendäre 90er-Jahre-Elektro-Allstarband Electronic (Johnny Marr, Bernard Sumner, Neil Tennant und Co.) und die Rave-Kultur der 90er-Jahre in Großbritannien gemahnt. „Anfang der 90er-Jahre haben mein Bruder und ich uns ins Auto gesetzt, sind 24 Stunden durchgefahren und haben uns die Band auf einem Festival in Manchester angesehen. Irgendwann zur Hälfte der Show kamen dann die Pet Shop Boys als Verstärkung auf die Bühne – das war einfach paradiesisch.“ Man muss die Leidenschaft Stootises für Musik im Allgemeinen verstehen, will man seinen Sound verstehen. „Never A Straight Line“ ist auch ein Statement dafür, dass er nie den geraden Weg ging, sondern Kommerzdenken und Kompromisse lieber links lieben ließ, um seiner Passion mit vollem Herzen zu folgen.

Privileg des Musikers
Eigentlich hätte das Werk „Riviera Tales“ heißen und eine Hommage an das Rolling Stones-Kultalbum „Exile On Main Street“ sein sollen, aber nachdem er 2021 an besagter Riviera die Songs „Sing Me A Lovesong“ und „In The Garden“ aufnahm, stockte der Motor und die Ursprungsidee wurde verworfen. Zwischen April und Juli 2024 war dann die intensive Songwriting-Phase, die Stootsies Album formte. „In diesen Monaten habe ich durchgeschrieben, ohne zu essen und zu schlafen“, erläutert er verschmitzt lachend. Dass das Album am Ende so eklektisch ausfällt, ist den vielen Stimmungen, den unterschiedlichen Zeiträumen, aber vor allem dem versatilen Geschmack des Musikers geschuldet. Große Karriereziele verfolgt Stootsie längst nicht mehr, dafür kennt er das Business zu gut. „Englischsprachige Musik in Österreich ist ein Extremhobby. Es gibt eine Gruppe von Freaks, die das schätzt und feiert und ich durfte damit Unglaubliches erleben. Es ist ein Privileg, Musiker sein zu dürfen, aber verdient haben wir damit eigentlich nie etwas.“

Nach mehreren Jahren der Dürre bemerkt aber auch Stootsie bei der jüngeren Generation wieder eine verstärke Hinwendung zur Stromgitarre. „Da kommen plötzlich 15- bis 17-Jährige, das bin ich gar nicht mehr gewohnt. Gefühlt die letzten zehn Jahre lang hat sich dahingehend gar nichts bewegt, heute wollen schon junge Kinder wissen, wie eine Gitarre funktioniert und was man damit machen kann.“ Gute Zeiten also für Stootsie – auf und neben seinem Lieblingsinstrument. Eine große Tour geht sich in der Lebensrealität des einstigen Indie-Darlings nicht aus, vereinzelte Konzerte zur Albumveröffentlichung und auch wegen des Spaßes an der Sache werden aber mit Sicherheit stattfinden. Pläne für die weiterhin ungezwungene Zukunft gibt es auch. „Vielleicht mache ich ein rein elektronisches Album. Vielleicht aber auch Album, wo alle Songs von einer Akustikgitarre getragen sind. Mir schwirren da so einige Ideen im Kopf herum.“

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