Autor Robert Schneider war in einer Schule zu Gast, um aus einem seiner Romane zu lesen. Die Erfahrung war nicht gerade ein Motivationsschub, erzählt er mit einem Augenzwinkern.
Vor einigen Wochen hatte ich zwei Lesungen an einem Gymnasium in der Nähe von Innsbruck. Natürlich sollte ich aus „Schlafes Bruder“ lesen, ein Buch, das nun 33 Jahre alt ist, aber immer noch irgendwie herumgeistert. Dass ich als Schriftsteller nur auf diese Novelle festgelegt werde, betrachte ich nicht als Ärgernis, vielmehr als Ehre, auch wenn ich Bücher geschrieben habe, die mir wichtiger sind und auch kostbarer. Aber da bin ich nicht allein. Goethe soll die „Farbenlehre“ als sein Hauptvermächtnis betrachtet haben. Er war der Überzeugung, dass, wenn die Nachwelt überhaupt von ihm redet, sie nur die „Farbenlehre“ kennen wird.
Ich war immer mein eigenes Buch
Früher habe ich das gern getan: Von Stadt zu Stadt tuckern, von Dorf zu Dorf und aus meinen Büchern vorzutragen. Ich habe in überfüllten Theatern und Kirchen gelesen und vor drei zahlenden Gästen im TAK in Liechtenstein. Ich kenne leere und volle Häuser, wenn mein Name angekündigt war. Mich hat das nie wirklich beeindruckt. Ich liebte das, was ich machte und vortrug, und ich stand dazu. Ich war immer mein eigenes Buch.
Warum wurde dieses Buch geschrieben?
Nun stand ich also vor einer Klasse von Siebzehnjährigen. Die Deutschlehrerin war zauberhaft, wusste sogar, welche Zigarettenmarke ich rauche. Sie habe „Schlafes Bruder“ eingehend mit ihren Schülern behandelt, legte sie dar und zeigte mir den Fragenkatalog.
Die erste Frage lautete: „Warum haben Sie dieses Buch geschrieben?“ Gott, ich habe diese Frage tausendmal gehört, aber immer wieder versucht, sie nach bestem Wissen und Gewissen zu beantworten. Ich erzähle gern von mir. Die meisten meiner Kollegen tun das nicht. Ist ihnen zuwider. Vielmehr deklarieren sie, dass ihr Text rein gar nichts mit dem Urheber zu tun habe, der zufällig daraus vorlese. Biografische Anspielungen habe man in jedem Fall zu unterlassen. Ich sah in die Gesichter der jungen Menschen. Sie wirkten übermüdet (es war auch die letzte Nachmittagsstunde). Fragen hatten sie keine an mich. Allerdings einen erheblichen Vorwurf. Der kam von einem jungen Mann, der angriffslustig wirkte. Ein Buch, das schon im ersten Satz „spoilere“, wie die Geschichte ausgehe, lese er nicht. Die Lehrerin wurde kreidebleich. Mir gefiel der Trotz des jungen Mannes. Ich nahm seinen Einwand ernst und versuchte, mit ihm eine Diskussion darüber zu führen, weshalb das Geschichtenerzählen so launig und vertrackt sei, und dass in der Literatur nie etwas so sei, wie es scheine. Darum mache es auch verdammt viel Spaß, ein Buch zu schreiben.
Maßlose Enttäuschung bei der Lehrerin
„Wer heute noch ein Buch schreibt, dem ist nicht mehr zu helfen“, antwortete der Jugendliche mit dem modischen „Taper-Fade-Haarschnitt“. Ich hatte das Gefühl, dass die Mehrheit der Klasse so dachte wie dieser junge Mann. „Bücher sind für Rentner“, getraute sich ein Mädchen zu sagen, das ganz rechts saß und fügte gleich hinzu, dass sie nicht unhöflich sein wolle.
Ich hatte jetzt mehr damit zu tun, die Lehrerin und ihre maßlose Enttäuschung aufzufangen. Immer wieder sprach sie die einzelnen Schüler oder Schülerinnen beim Vornamen an, endlich die vorbereiteten Fragen zu stellen. Die Klasse hatte einfach keinen Bock. Die Arme mit den Worten zu beruhigen, dass es mir prinzipiell wurscht sei, ob jemand meine Bücher lese oder nicht, machte die Sache auch nicht besser.
Rollentausch im Klassenzimmer
Nun nahm ich meinerseits das Heft, sprich mein Buch zur Hand und las einen Absatz daraus vor. Nicht eine Seite oder gar ein ganzes Kapitel. Nur den ersten Absatz des Buches. Dann stellte ich eine Frage: „Wie kommt diese altertümliche Sprache bei euch an?“ Ich erhielt keine Antwort. Ich schlug „Schlafes Bruder“ zu und fragte, ob ich meinerseits Fragen stellen dürfe. Die Schüler schauten mich müde an. In ihren Blicken erkannte ich weder Bejahung noch Verneinung. Ich glaube, sie warteten einfach alle darauf, bis endlich die erlösende Pausenglocke klingelte. Ich habe weiß Gott zähe Veranstaltungen erlebt, vor Publikum gelesen, das ich nicht deuten konnte, das keinerlei Reaktionen zeigte, weder positive noch negative, aber die Jugendlichen an diesem Gymnasium machten es mir wirklich schwer. Eigentlich war ich nahe daran, es persönlich zu nehmen.
„Ich weiß, ihr lest nicht freiwillig Bücher. Nur wenn ihr sie für den Deutschunterricht lesen müsst. Aber wir Rentner, als wir noch jung waren, dachten auch nicht anders. Wie habe ich mich durch die „Blechtrommel“ von Günter Grass gequält! Nicht gequält, sondern durch geschummelt. Damals gab es noch kein ChatGPT, welches mir die Arbeit des ewigen Seitenumblätterns abgekürzt hätte.“ Ein Mädchen mit einem schneeweißen Hidschāb, der sie sehr apart wirken ließ, lachte kurz auf.
Bücher besitzen keinen Wert mehr
Nach meinem deplatzierten Auftritt gab es noch Kaffee und Kuchen beim Direktor der Schule. Die arme Deutschlehrerin war untröstlich und entschuldigte sich immerzu. Ganz verscherzte ich es mir schließlich mit den Bemerkungen, unsere Generation müsse endlich einsehen, dass Bücher keinen Wert mehr besäßen. Literatur sei zur Marginalie verkommen. „Ihre Klasse war doch nur ehrlich zu mir“, sagte ich. Die Schülerin, die ganz rechts außen saß, habe es auf den Punkt gebracht: „Bücher sind für Rentner“ – „Ja, aber!“, wand jetzt der Direktor ein. „Das Buch wird immer eine Zukunft haben. Man wird immer lesen, und es ist unser Auftrag, die Jugend zum Lesen zu ermutigen.“
Ich wollte nicht noch mehr Öl ins Feuer gießen und tat so, als ob ich beipflichte. Auf der Heimfahrt ging mir der Satz des jungen, kampfeslustigen Mannes mit dem Taper-Fade-Cut durch den Kopf: „Wer noch ein Buch schreibt, dem ist nicht mehr zu helfen.“
Ich glaube, er hat Recht.
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