Das Nationaltheater versenkt Brechts glasklar aufklärende Volkskomödie „Herr Puntila und sein Knecht Matti“ im Klamauk-Exzess.
Eindreiviertel Jahre noch steht das Werk Bert Brechts unter Urheberschutz. Die Erben sind streng, und deshalb möchte man bis dahin gern noch so viel unentstellten Brecht wie möglich sehen. Leider warten – ein Teufelskreis – die Bühnen mehrheitlich auf den 1. 1. 2027. Dann müssen sie keine Tantiemen mehr bezahlen und dürfen den Wehrlosen ohne Angst vor Sanktionen der Willkür der Regisseure ausliefern.
Bei entsprechender Mühewaltung kann man allerdings auch einigermaßen textnah bis zum Vollversagen in die Irre taumeln. Dem Regisseur Antú Romero Nunes gelingt das mit Brechts „Puntila“ derart, dass man das oft gesehene Werk nach der Premiere nochmals hervorholt, um sich zu vergewissern, dass hier tatsächlich halbwegs dem genialen Text entlang dilettiert wird.
Und das ist eine Leistung, denn keiner konnte mit solcher Klarheit und Poesie, mit solch konturscharfen Rollen und handwerklich perfekten Dialogen zu verstehen geben, wohin er mit der Gesellschaft wollte. Brecht schrieb „Puntila“ im finnischen Exil mit seiner Quartiergeberin Hella Wuolijoki, die hier eventuell ihre Doppelexistenz als Millionärin und Kommunistin persifliert.
Der Gutsherr Puntila ist nüchtern ein grausamer Ausbeuter, volltrunken hingegen ein Sozialvisionär. Man benötigt keine Gebrauchsanleitung, um „Puntila“ als das Stück der Stunde zu identifizieren: Der zwischen Bestialität und Philanthropie taumelnde Gutsbesitzer verkörpert treffend das aktuelle, von durchdrehenden Fresskapitalisten verursachte Weltverhängnis.
Nunes gelingt allerdings bloß ein Stück wirr aufgequirlter Jodel-, Schrei-, Turn- und Trippelbetriebsamkeit, die trotz ihrer Hektik lähmend auf den zweidreiviertel Stunden liegt. Das bedeutet nicht, dass die Aufführung nicht einzelne Benefizien hätte: das farbenprächtige Bühnenbild von Matthias Koch und das ausgezeichnete Kammerorchester gefallen ebenso wie Bruno Cathomas’ zartes Monstrum Puntila und Julia Windischbauer, obwohl ihr Einsatz als Knecht Matti keiner Notwendigkeit folgt.
Marie-Luise Stockinger, Felix Rech, Annamária Láng, Tilman Tuppy, Justus Maier und Lola Klamroth outrieren sich die Seelen aus dem Leib – virtuos, aber leider vergebens. Wer sich nach Brecht sehnt, weicht besser zur „Dreigroschenoper“ in die Josefstadt aus.
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