Filmfestival in Graz

Diagonale: Politisch, menschlich, glänzend

Steiermark
30.03.2025 17:00

Großes Kino über Flucht, Heimat, Religion, Identität: Auf der Diagonale in Graz finden die Spielfilme „Perla“ und „Happy“ neue erzählerische Zugänge, die Dokumentarfilme „Girls and Gods“ und „Unsere Zeit wird kommen“ sind so politisch wie sie persönlich sind. Alle feierten Österreich-Premiere.

„Perla“ trifft einen mit voller Wucht. Zu sehr hat man das Schulwissen über den Prager Frühling und die Folgen verdrängt. Doch die streitbare, komplexe Frau, die Regisseurin Alexandra Makarová in die Mitte dieses Films stellt, zwingt uns, hinzuschauen. Die Dissidentin Perla, kompromisslos gespielt von Rebeka Poláková, treffen wir nicht etwa auf der Flucht nach Wien, sondern Jahre später bei ihrer Rückkehr in die Tschechoslowakei der 80er-Jahre. Ein ganz neuer Blick auf das Trauma von Geflüchteten offenbart sich.

Der Film fragt nach der Definition von Heimat und zeigt uns auf höchst emotionale Weise, wie es Menschen zerreißt, wenn sie ihrer Wurzeln beraubt werden. Grandiose Schauspielleistungen nicht nur von Poláková, sondern auch von Simon Schwarz, der Perlas österreichischen Mann spielt, und von Carmen Diego, die als Perlas Tochter Julia oft genug die Mutter-Kind-Dynamik auf den Kopf stellt.

„Happy“: Mit Hoffnung gegen das System
Zwölf Jahre lang hat Sandeep Kumar an seinem Spielfilm „Happy“ gearbeitet. Seit zehn Jahren versucht der Inder Happy (Sahidur Rahaman) sich in Wien zu etablieren, doch er scheitert – an Asylbeamten, an der Bürokratie, an sich selbst. Nun drohen Schubhaft und Abschiebung. Happy setzt nach dem Prinzip Hoffnung alles auf eine Karte, um die womöglich letzten Wochen mit seiner Tochter zu genießen.

Stilistisch ist „Happy“ ein Tränendrüsen-Fernsehfilm, gerade in den Passagen zwischen Vater und Tochter gleitet er ins Pathetische ab. Prominent besetzte Nebenrollen (Lilian Klebow und Roland Düringer) lockern auf.

„Unsere Zeit wird kommen“: Victoria und Siaka (Bild: Ivette Löcker)
„Unsere Zeit wird kommen“: Victoria und Siaka

„Unsere Zeit wird kommen“: Beeindruckende Menschlichkeit
Der Dokumentarfilmerin Ivette Löcker ist auf der Diagonale ein Schwerpunkt gewidmet, ihr neuester Film „Unsere Zeit wird kommen“ feierte Österreich-Premiere. Darin begleitet sie Victoria und Siaka, ein Paar, in dessen Beziehung Welten aufeinanderprallen: Er, geflüchtet aus Gambia, sie, vom Land nach Wien gezogen. Er gräbt im Dorf den Garten der Oma um, backt Kekse mit ihren Nichten; sie schenkt den gambischen Dorfbewohnern Tablets und Schuhe, wird für die traditionelle Hochzeitsfeier bunt geschmückt.

Dort, wo es wehtut, bleibt Ivette Löcker drauf. Auf den Konflikten, die entstehen, wenn ein muslimischer Gambier aus einer polygamen Familie auf eine Österreicherin trifft, die mit Religion nicht viel anfangen kann. Auf dem Schmerz und dem Leid, das eine Fluchtgeschichte und eine Familie, die in Armut lebt, verursachen. Auf dem Rassismus, auch, wenn dieses Thema nicht im Vordergrund steht. Am Ende ist „Unsere Zeit wird kommen“ ein Plädoyer, einander kennenzulernen. Ein Film von beeindruckender Menschlichkeit.

„Girls & Gods“: Inna Schewtschenko (rechts) mit katholischen Priesterinnen am Donauufer (Bild: Golden Girls Film)
„Girls & Gods“: Inna Schewtschenko (rechts) mit katholischen Priesterinnen am Donauufer

„Girls & Gods“: Mit Feminismus gegen Gott?
Lange, bevor die Welt begriff, wozu Wladimir Putin fähig ist, wusste Inna Schewtschenko genau, woran sie war. Aus Solidarität mit Pussy Riot zersägte sie 2012 in Kiew ein Kreuz, oberkörperfrei. Mit nackten Brüsten und Blumenkränzen wurde „Femen“ als Protestbewegung weltberühmt. 

Heute, so die Prämisse der Feministin, scheuen Liberale die Kritik an Religionen, allen voran dem Islam, aus Angst, Minderheiten zu diskriminieren. Doch damit spiele man nur den Rechten in die Hände, sagt Schewtschenko beim Screening in Graz.

Arash T. Riahi und Verena Soltiz dokumentieren in „Girls & Gods“ ihre Suche nach Antworten: Schewtschenko trifft eine Gruppe katholischer Priesterinnen am Donauufer in Linz, eine chassidische Jüdin aus Williamsburg, die zur Transgender-Rabbinerin wurde, eine Karikaturistin von Charlie Hebdo und muslimische Feministinnen mit und ohne Kopftuch. Ihre eigene Haltung bleibt eindeutig antiklerikal, aber ruft etwas Vergessen geglaubtes in Erinnerung: die Lust am Konflikt, die gepflegte Diskussion, das unnachgiebige Widersprechen. Haltung geht auch ohne Echokammer. 

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