Wynton Marsalis

„Es geht nicht um mich, es geht um den Jazz“

Klassik - Jazz
01.04.2025 10:54

Der US-amerikanische Trompetenspieler, Komponist, Bandleader und Lehrer Wynton Marsalis gastiert von 2. bis 4. April wieder einmal im Wiener Konzerthaus, wo er vor 40 Jahren zum ersten Mal auftrat. 

Nicht nur beim Trompetenspiel ist Wynton Marsalis mit diesem unglaublich schönen Ton und den unendlichen Variationsmöglichkeiten außerordentlich und sowohl in der Klassik als auch im Jazz daheim. Auch sein gesellschaftliches und musikalisches Engagement ist beachtlich und sein kreatives Schaffen ist breit und höchst umfangreich. Die Wurzeln und das Erbe sind in Jazz und Klassik der reiche Nährboden, auf dem Marsalis seine musikalische Blütenpracht üppig wachsen lässt. Kritik an einem vermeintlich übertrieben traditionellen Jazzbild nimmt der 1961 in New Orleans geborene Marsalis gelassen: „Es geht nicht um mich, es geht um den Jazz.“

Stoff gibt es genug

Gerade schreibt er ein Cello-Konzert für den Klassiksuperstar auf diesem Instrument Yo-Yo Ma und seine 5. Symphonie, deren Titel „Liberty Symphonie“ bereits feststeht. Vor kurzem wurde sein Konzert für Orchester vom WDR-Orchester uraufgeführt, wie er im online-Gespräch mit der Kronenzeitung erzählt: „Ich arbeite immer an etwas.“ Stoff gibt es genug, denn er bezieht gerne aktuelle Themen ein, nicht zuletzt die Situation der Afroamerikaner, der Rassenkonflikte und der gesellschaftlichen Entwicklung in den USA.

Begnadeter Trompeter: Wynton Marsalis (Bild: Piper Ferguson)
Begnadeter Trompeter: Wynton Marsalis

Soziale Fragen in musikalischen Geschichten

Etwa alle zehn Jahre schreibt er ein Stück über soziale Fragen, die er in fesselnde Geschichten verpackt. Das begann in den 80er Jahren mit „Black Codes for the Underground“ und setzte sich bis in die 2010er Jahre mit dem auch heute noch sehr passenden „The Ever Fonky Laydown“ fort. Das beschäftigt sich mit dem Zwiespalt der USA, mit den Gegensätzen, dem oberflächlichen Materialismus und den Bürgerrechten – und es sprüht ordentlich Funken. „Hier ist die Wiege der Freiheit, aber sie wurde durch Rassismus und Ungerechtigkeit zerstört“, stellt Marsalis fest: „Wir brauchen eine andere Vision!“ Und dafür sollte sich jeder, der in einer gerechten und humanistischen Welt und nicht in einer Autokratie leben möchte, selbst einsetzen und etwas tun. Nicht nur reden. Die aktuelle politische Situation habe sich in den vergangenen 50 bis 60 Jahren aufgebaut, daher verfalle er jetzt nicht in Panik: „Wenn Dir das nicht gefällt, was passiert – ändere deine Art zu leben!“

In Klassik und Jazz der Beste

Mit Österreich verbinden Marsalis gleich mehrere Anknüpfungspunkte. So waren es unter anderem Trompetenkonzerte von Haydn und Mozart, mit denen er in jungen Jahren seinen ersten Klassik-Grammy für eine CD-Aufnahme gewann – und im selben Jahr auch gleich einen Grammy für die beste Solo-Jazz-Aufnahme. Ein zuvor noch nie da gewesener Erfolg in dieser Auszeichnung, der sich schon im nächsten Jahr mit zwei neuen CDs wiederholen sollte. Und auch hier war im Klassikbereich mit Johann Josef Faschs Trompetenkonzert ein Österreicher dabei.

Seit seinem ersten Auftritt 1985 im Konzerthaus ist Wynton Marsalis ein regelmäßiger Gast in Wien und auch hier war es zunächst ein klassisches Werk, in dem der junge Trompeter mit dem Consortium Musicum Alte Universität den Solopart im Haydn-Konzert für Trompete und Orchester in Es-Dur übernahm. Seit den späten 1990er Jahren kommt er jedenfalls mit seinem Lincoln Center Jazz Orchestra – JLCO und wurde 2021 auch zum Ehrenmitglied der Wiener Konzerthausgesellschaft gekürt.

Drei Tage Gastspiel in Wien

Nun bringt der vielseitige Musiker an den drei intensiven und abwechslungsreichen Konzerttagen in Wien drei ganz unterschiedliche Projekte mit wechselnden Partnern: Mit der Septet-Abordnung des JLCO wird Marsalis‘ Komposition „The Democracy! Suite“ zum ersten Mal in Österreich zu hören sein. Geschrieben hat er sie während der Pandemie. „Sie soll die Menschen fröhlich stimmen und ihnen Zuversicht geben“, beschreibt Marsalis. Mit dem Radio-Symphonieorchester Wien unter deren Leiterin Marin Alsop und mit der jungen österreichischen Trompeterin Selina Ott spielt das JLCO noch zwei von Marsalis‘ Werken zum ersten Mal in Österreich auf, wobei das Konzert für Trompete und Orchester seine Weltpremiere ebenfalls unter Mitwirkung eines Österreichers erlebte: Franz Welser Möst dirigierte dabei 2023 das Cleveland Orchestra.

Partner von Wynton Marsalis in Wien: Das RSO mit Marin Alsop (Bild: Carlos Suarez)
Partner von Wynton Marsalis in Wien: Das RSO mit Marin Alsop

Wertschätzung für Thomas Gansch

Die 4. Symphonie widmet sich unter dem Titel „The Jungle“ dem Großstadtgetriebe New Yorks. Und eine ganz besonders persönliche Freude bereitet Marsalis das dritte Projekt, wenn das JLCO mit dem österreichischen Trompetenkünstler Thomas Gansch einen beschwingt-virtuosen Streifzug durch das eigene Songbook unternimmt. Immer wieder trifft das Orchester großartige Musiker auf seinen Tourneen und gemeinsam Musik zu machen, sei jedes Mal eine Art spirituelles Erlebnis, „aber mit Thomas ist es mehr - symbiotisch“ betont Marsalis: „Er ist ein großartiger Musiker, ein phänomenaler Trompetenspieler und auch ein großartiger Mensch.“

Jazz als Metapher für Demokratie

Wynton Marsalis ist ein Botschafter der Toleranz und der Menschlichkeit und der Jazz und die Musik insgesamt sind dafür das ideale Trägermedium. Seine Mission führt ihn auf Konzert- und Vortragsreisen in die ganze Welt, so verbrachte er im vergangenen Jahr auch etwa vier Wochen in China. Er hält Vorlesungen, Festvorträge und Meisterklassen an zahlreichen Universitäten in den USA und natürlich beschäftigt er sich aktiv mit dem Schulungsprogramm „seiner“ Abteilung „Jazz at Lincoln Center“ in New York, dessen künstlerischer Leiter er seit vielen Jahren ebenso ist, wie des eigenen Jazz at Lincoln Center Orchestra. Das, laut Marsalis, wahrscheinlich das einzige Jazzorchester in den USA ist, bei dem die Musiker hauptberuflich mit Bezahlung und Sozialleistungen tätig sind. Deshalb sein Appell: „Wir brauchen mehr Stellen für Jazzmusiker und mehr Jazzorchester – auf der ganzen Welt!“ Denn Jazz ist eine musikalische Metapher für Demokratie – und Wynton Marsalis ist dafür ein charismatischer, kritisch-konstruktiver Botschafter.

Zum Nachhören und Nachschauen: wyntonmarsalis.org


Verena Kienast

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