Nach Kündigungen

Demo: Lieferando-Zusteller gingen auf die Straße

Wien
01.04.2025 20:54

Die Zusteller des Essenslieferdienstes Lieferando haben am Dienstagnachmittag in Wien gegen die Kündigung der gesamten Belegschaft bis Ende Juni mit Umstellung auf freie Dienstverträge demonstriert. Zuletzt bestand die Lieferflotte aus rund 850 Fahrern. 

Die heutige Demonstration wurde von der Gewerkschaft vida und dem „Riders Collective“ organisiert. Die Arbeits- und Sozialministerin sagte der Gewerkschaft eine rasche Umsetzung der EU-Plattformarbeitsrichtlinie zu.

Komplette Belegschaft gekündigt
Mitte März hatte Lieferando angekündigt, sein Logistikmodell in den nächsten Monaten „an den österreichischen Branchenstandard anzugleichen“. Anders als Foodora und Wolt stellte der Lieferdienst seine Fahrerinnen und Fahrer in Österreich meist an. „Mit der Beendigung unseres Angestellten-Modells werden wir, unter Ausschöpfung aller Möglichkeiten, rund 600 Fahrerinnen und Fahrer entlassen müssen“, hieß es von Lieferando vor zwei Wochen. „Betroffen sind außerdem weitere rund 65 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter an unseren Standorten in Wien und den Bundesländern.“ Beim AMS-Frühwarnsystem wurden die Kündigungen bereits bekannt gegeben.

(Bild: APA/GEORG HOCHMUTH)
(Bild: APA/GEORG HOCHMUTH)
(Bild: APA/GEORG HOCHMUTH)

Bisher habe man als Fahrer durch die Wahl des Arbeitgebers die Entscheidung gehabt, ob man als Angestellter oder als freier Dienstnehmer arbeiten möchte. „Diese Entscheidungsfreiheit fällt jetzt komplett weg“, da mit Lieferando der letzte Arbeitgeber dieser Branche wegfalle, der die Zusteller in größerem Stil angestellt hat, so die Wien-Geschäftsführerin der Gewerkschaft vida, Susanne Haase, im Rahmen der Demonstration.. „Im Grunde kreiden wir es schon den anderen Firmen noch mehr an“, nicht ihre Mitarbeiter nach dem Kollektivvertrag angestellt zu haben, sagte Haase. Foodora und Wolt hätten gegenüber der Gewerkschaft auch mit Wettbewerbsfähigkeit und Flexibilität argumentiert.

Rasche Umsetzung von EU-Richtlinie gefordert
„Derzeit wissen wir, wie viel wir am Ende des Monats bekommen. Das ist dann nicht mehr so“, sagte ein „Rider“ bei der Demonstration. Eine zentrale Forderung war die zeitnahe Umsetzung der EU-Richtlinie für Plattformarbeit. Diese wurde 2024 beschlossen. „Die EU-Mitgliedsländer haben bis Dezember 2026 Zeit, die Richtlinie umzusetzen: Das muss aber schneller passieren, die Zeit drängt“, so ÖBG-Präsident Wolfgang Katzian. Mit der Umsetzung dieser Richtlinie „müsste die Firma beweisen, dass jemand selbstständig ist und nicht umgekehrt“, sagte Haase. Weiters müssten die Arbeitgeber künftig ihre Algorithmen offenlegen, die den Zustellern die Aufträge zuteilen. Das hätte zur Folge, dass nachgewiesen werden müsse, dass das Ablehnen eines Auftrags keine Nachteile mit sich zieht, sagte Haase.

„Die kürzlich angekündigten Massenkündigungen bei Lieferando bestätigen, wie wichtig der Blick auf die Themen Plattformarbeit und Scheinselbstständigkeit ist“, betonte Arbeits- und Sozialministerin Korinna Schumann (SPÖ) in einer Aussendung nach einem Arbeitsgespräch mit Katzian am Dienstag. Im Regierungsprogramm sei eine ehestmögliche Schaffung des notwendigen Rechtsrahmens vorgesehen, so die ehemalige Stellvertreterin Katzians im Gewerkschaftsbund und nunmehrige Spitzenpolitikerin.

Sozialplan wird verhandelt
Gewerkschaft und Lieferando verhandeln derzeit über einen Sozialplan. „Es gibt noch kein Ergebnis. Die Verhandlungen gehen diese Woche weiter“, hieß es von der Gewerkschaft vida auf APA-Anfrage. Es gehe dabei um Abfertigungen, bezahlte Postensuchtage sowie Aus- und Weiterbildungsmöglichkeiten für die Beschäftigten. Insbesondere auf die Weiterbildungen will die Gewerkschaft laut Haase einen Fokus in den Verhandlungen setzen. „Es wird voraussichtlich Kündigungsfristen geben, die über die gesetzlichen sechs Wochen hinausreichen, damit Lieferando den Betrieb bis zur Liquidierung ihrer aktuellen Logistikfirma aufrechterhalten kann“, so die Gewerkschaft.

Seitens Lieferando hieß es, es werde „intensiv“ mit dem Betriebsrat verhandelt. Man sei um einen „offenen, lösungsorientierten und vertrauensvollen Austausch“ bemüht, weshalb dieser unter Ausschluss der Öffentlichkeit stattfinden würde.

Kollektivvertrag „quasi ohne Arbeitnehmer“
Die Beschäftigten bei Lieferando profitierten bald nicht mehr vom hart erkämpften Kollektivvertrag, weil die Konkurrenz dem Beispiel nicht folgen wollte, bedauerte Katzian in einer Aussendung. „Werden die als Selbstständige weiter beschäftigt, arbeiten sie vermutlich in Scheinselbstständigkeit, also ohne Mindestlöhne, ohne Anspruch auf bezahlte Freistellung bei Krankheit oder Urlaubsanspruch, ohne Kündigungsschutz und ohne Urlaubsanspruch.“

In Österreich gibt es seit Anfang 2020 einen Kollektivvertrag (KV) für Fahrradzusteller. Seit Anfang 2023 liegt das monatliche kollektivvertragliche Vollzeit-Bruttoeinkommen für Fahrradboten bei 1730 Euro (netto 1.440 Euro). Zum Vergleich: Die Armutsgefährdungsschwelle lag laut Statistik Austria im Jahr 2023 bei 1572 Euro für einen Einpersonenhaushalt pro Monat. Aktuellere Zahlen liegen noch nicht vor. Dieser Kollektivvertrag sei jetzt „quasi zu Grabe getragen“. Man habe „quasi keine Arbeitnehmer mehr in diesem KV“, beklagte Haase.

Im Vorjahr fanden mehrere Essenszusteller-Warnstreiks statt, um höhere Löhne und bessere Arbeitsbedingungen zu erreichen. Laut Gewerkschaftsschätzungen waren zuletzt österreichweit etwa 2000 von 5000 Fahrradboten („Ridern“) angestellt, der Rest war als freie Dienstnehmer unterwegs.

Plattformarbeit auch Thema im Parlament
Die Grünen haben Ende März angesichts der angekündigten Kündigungen bei Lieferando einen Entschließungsantrag im Sozialausschuss des Nationalrats eingebracht, um die Bundesregierung und zuständige Minister auf eine rasche Umsetzung der EU-Richtlinie für Plattformarbeit zu drängen. Eine möglichst schnelle Umsetzung würde die Voraussetzungen für die korrekte rechtliche Einstufung der Beschäftigten und damit verbundener Arbeitsrechte schaffen, so die Grünen. Die Regierung solle bis Ende September 2025 einen Gesetzesvorschlag zur Umsetzung der Richtlinie vorlegen, damit die notwendigen Änderungen bis Anfang 2026 in Kraft treten können.

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