Nicht schuldig lautete das Urteil gegen Roman M. (61) am vierten Tag des Prozesses rund um den Suizid der Seewalchener Ärztin Lisa-Maria Kellermayr. Sie hatte sich nach Drohmails, darunter welche des Angeklagten, das Leben genommen. Grund für den Freispruch im Zweifel: Der Bayer habe nicht vorhersehen können, dass der Suizid eintritt.
28 Zeugen und zwei Sachverständige füllten drei lange Prozesstage im Schwurgerichtssaal des Welser Landesgerichts, um den tragischen Fall rund um die Ärztin Lisa-Maria Kellermayr, der mit ihrem Suizid endete, zu verhandeln. Der 61-jährige Angeklagte Roman M., der Drohmails an Kellermayr geschrieben hatte, gab während der gesamten Zeit keine Erklärungen ab, überließ das seinem dreiköpfigen Verteidigerteam, das zwei Staatsanwälten gegenübersitzt.
Der vierte und letzte Prozesstag ist vor den Plädoyers von Verlesungen, darunter dem sechsseitigen Abschiedsbrief von Lisa-Maria Kellermayr, geprägt. Es gibt auch noch viele Formalitäten abzuarbeiten, ehe das Beweisverfahren abgeschlossen wird.
„Sie hatte wirklich Angst“
Es steht außer Streit, dass Roman M. mehrere Mails und Postings an Lisa-Maria Kellermayr schickte, ihr mitteilte, dass sie „beobachtet werde“ und mit einem „Volkstribunal“ drohte. Der psychiatrische Sachverständige bestätigte, dass der Bayer sein „Schäuferl“ dazu beigetragen hatte, dass die 36-jährige Ärztin in Angst und Schrecken lebte, ihre Ordination in Seewalchen am Attersee in eine Festung verwandelte, sich durch diese Investitionen finanziell ruinierte und sich von Polizei und Ärztekammer im Stich gelassen fühlte.
Mitarbeiterinnen und eine gute Freundin bestätigten, dass die Angst der Medizinerin real war und ihr Leben prägte, Lisa-Maria Kellermayr sich aber nicht davon abbringen ließ, weiter öffentlich als Impfbefürworterin aufzutreten und sich mit Corona-Maßnahmengegnern im Internet abzugeben. Darunter auch der Angeklagte.
Strategie der Anwälte
Alles entscheidend wird sein, ob „das Schäuflein“ von Roman M. reichte, um ihn wegen gefährlicher Drohung mit Todesfolge zu verurteilen. Oder ob sein Beitrag zu gering war, beziehungsweise er nicht wissen konnte, was er mit seinen Postings auslösen würde. Die Strategie der Verteidigung war klar: Ein Bild von Lisa-Maria Kellermayr zeichnen, in dem sie als von Jugend an psychisch beeinträchtigt gesehen wird, die schon vor der Corona-Zeit und den Drohungen „lebensüberdrüssig war“ und dass der Suizid „das Ende dieser Entwicklung“ gewesen sei.
Die Staatsanwälte sind dagegen sicher: Ohne die Hasspostings, darunter jene des Angeklagten, wäre die Entwicklung anders verlaufen, da etwa die sündteuren Sicherheitsmaßnahmen in der Ordination nicht nötig gewesen wären.
Vater bezweifelt Suizid
Der Vater von Lisa-Maria Kellermayr kämpfte drei Tage lang, das Bild seiner Tochter zurechtzurücken, außerdem bezweifelt er die Suizid-Version, glaubt an einen Mord – steht damit aber allein da. „Ich kann nichts mehr beitragen“, ließ er also am vierten Prozesstag ausrichten und wollte das Urteil von der Ferne abwarten.
Im Abschlussplädoyer fordern die Staatsanwälte die Verurteilung des vorbestraften Angeklagten. Sie sind sicher, dass die Drohungen des Angeklagten zur „suizidalen Einengung“ und auch zum „Suizid“ geführt haben. Und der Suizid sei „keine Inszenierung“ gewesen - im Abschiedsbrief wurde der 61-Jährige und seine Drohungen mehrmals namentlich genannt. „Ihre Ordination war ihr Fort Knox, ihre Hochsicherheitszone. Diese drohte sie zu verlieren“, so die Staatsanwälte, und sie führten aus, dass der Angeklagte durch die Berichterstattung über Lisa-Maria Kellermayrs schlechten psychischen Zustand informiert gewesen sei. „Und dann verstärkte er in einem Antwort-Posting auf einen Beitrag von Frau Dr. Kellermayr seine Drohung, dass ein Volkstribunal eingerichtet wird.“ Und weiter: „Er gab noch eines drauf!“, „Es war für ihn absehbar.“
Verteidigung forderte Freispruch
Verteidiger Martin Feigl reagiert prompt: „Wie hätte ein Laie die suizidale Gefährdung erkennen können? Diese haben nicht einmal Experten, mit denen Dr. Kellermayr kurz vor ihrem Tod Kontakt hatte, erkannt.“ Und er stellt den Kontakt zwischen seinem Mandanten und der Ärztin anders dar: „Es gab fünf Wochen Kontakt, das letzte Mail am 30. März 2022 stammte von ihr.“
Dann seien drei Monate vergangen, ehe die Ärztin die private Korrespondenz öffentlich machte und „mein Mandant nur darauf reagierte und klarstellte, dass er nicht jener Claas ist, der Dr. Kellermayr massiv bedroht hatte. Sonst hätte er sie nicht mehr kontaktiert“. Außerdem habe der Sachverständige nur von „einem möglichen Zusammenhang“ gesprochen und die Hauptursachen vom Suizid seien in der Erkrankungen und den finanziellen Problemen der Medizinerin zu sehen. Anwältin Sonja Fasthuber meinte abschließend: „Nicht jede Tragödie ist ein Verbrechen. Nicht jedes Opfer braucht einen Täter. Und ein gerechtes Urteil erkennt man daran, dass es standhält, wenn der Applaus ausbleibt.“ Und meinte damit, dass der geforderte Freispruch Kritik auslösen würde.
Anwältin stoppte Redeschwall des Angeklagten
Überraschend meldete sich für das „letzte Wort“ doch der Angeklagte selbst und setzte sich vor die Richterin. Er meinte, dass der Tod von Lisa-Maria Kellermayr „mich tief erschütterte, aber ich andere Motive als meine Kommunikation mit ihr vermutete“. Er sehe auch weiterhin „keine anteilsmäßige Mitschuld daran, dass sie sich das Leben genommen hat“ und verteidigte sein Schreiben so, dass er in der Corona-Zeit gegen die Impfpflicht war, Angst hatte und mit Mails an Leute, die offen für die Impfung auftraten, „dagegenhalten wollte“: „Meine Ohnmacht habe ich durch Aktivismus kompensiert.“ Er wollte „Dr. Kellermayr nicht diskreditieren“, meinte aber „Realitätsbezug war nicht ihre Stärke“. Am Ende war der Redeschwall selbst der Verteidigung zu groß und eine Anwältin stoppte ihn, ehe sich das Schöffengericht zur Beratung zurückzog.
Eineinhalb Stunden Beratung
Nach eineinhalb Stunden kamen die Richterin und die beiden Schöffen zurück und verkündeten das Urteil: Freispruch! Die Begründung: Bei den ersten Nachrichten, in denen auch die Drohung mit dem Volkstribunal standen, war für den Verfasser nicht erkennbar, dass es weitere Drohungen gab und dass Lisa-Maria Kellermayr unter solchem Druck stand, dass sie Suizid begehen würde. Und bei den Nachrichten kurz vor ihrem Tod konnte der Senat nicht „mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit“ feststellen, ob diese zu Suizid-Entschluss noch etwas beigetreagen haben. Daher der Freispruch im Zweifel. Die Staatsanwaltschaft gab keine Erklärung ab, daher ist das Urteil noch nicht rechtskräftig.
Wenn Sie oder eine Ihnen nahestehende Person sich in einer psychischen Ausnahmesituation befinden oder von Suizidgedanken betroffen sind, wenden Sie sich bitte an die Telefonseelsorge unter der Telefonnummer 142. Weitere Krisentelefone und Notrufnummern finden Sie HIER.
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