Sie war 16 Jahre alt, als sie sich von dem Versprechen eines perfekten Lebens in Syrien unter der Herrschaft des Islamischen Staats locken ließ. 2017 dort angekommen: „Es war wie im Gefängnis.“ Im Wiener Landl schildert IS-Rückkehrerin Evelyn T., wie sie ins Kriegsgebiet reiste, ihren Sohn dort zur Welt brachte und schließlich jahrelang als Gefangene lebte.
Fast zwei Stunden redet die Angeklagte im Landesgericht Wien. Die Schöffen hören gespannt zu, im Zuschauerraum hört man nur das Tippen der Medienvertreter. Während Evelyn T. über das letzte Jahrzehnt ihres Lebens erzählt. Sie ist einer jener Jugendlichen, die nach Syrien reiste und sich dem Islamischen Staat angeschlossen hatte.
Mit 14 Jahren radikalisiert
„Wir müssen uns heute auf eine Zeitreise begeben“, beginnt Verteidigerin Anna Mair. „Vor uns sitzt nämlich eigentlich nicht eine 26-jährige Frau, sondern eine 15-jährige Jugendliche.“ In diesem Alter hatte sie durch ihre Cousine das erste Mal Kontakt mit dem IS. „Ich habe keine Zukunftsvorstellungen gehabt. Sie haben für alle Fragen eine Antwort geliefert“, so die Angeklagte. Sie begann, sich zu bedecken, die Religion sehr streng auszuleben. „Es war komisch am Anfang, aber ich war so drinnen, dass ich das alles geglaubt habe. Meine Mutter war sehr schockiert.“ Sie erzog ihre Tochter nach den westlichen Werten.
Zehn Jahre älteren IS-Kämpfer geheiratet
Der Freundeskreis stellte ihr auch ihren späteren Mann nach islamischem Recht vor – ein in der radikalen Szene bekannter, zehn Jahre älterer Mann. „Er hat mir ein perfektes Leben versprochen. Ich hab‘ ihm sehr vertraut.“ Im April 2015 reiste er in den Irak: „Das war einer dieser wirklich aktiven IS-Kämpfer, der mitten im Geschehen drinnen war“, verdeutlicht der Staatsanwalt.
Im September 2015 probierte Evelyn T. das erste Mal ins Kriegsgebiet zu reisen. Erfolglos. Sie wurde festgenommen, saß in Wien zwei Wochen in Untersuchungshaft. Im Zweifel wurde das Verfahren aber eingestellt. „Ich war dann sehr wütend auf meinen Mann, weil ich ihm die Schuld gegeben habe“, erinnert sich die nun 26-Jährige. Wieder habe er sie gedrängt, zu ihm zu kommen: „Er hat gesagt, du kommst jetzt. Ich bin dein Mann. Was willst du in Österreich, wenn ich dort bin.“
In Syrien angekommen: „War wie Gefängnis“
Also reiste sie mit dem Pass ihrer großen Schwester im Jahr 2016 noch einmal in die Türkei, dann bis zur syrischen Grenze und schließlich ins Kriegsgebiet – der Mut hätte sie da längst verlassen. „Alle anderen haben geweint, als wir angekommen sind. Aber vor Freunde. Ich hab‘ das nicht gespürt.“ Ihr Mann holte sie schließlich ab. „Von da an war‘s eigentlich wie im Gefängnis.“ Die Wohnung hätte sie nie verlassen dürfen, ihre Meinung musste sie für sich behalten. „Ich hab‘ aber diesen Hass nie gefühlt“, spricht sie von der Ideologie des Islamischen Staats.
Das war für mich wie ein Wecker. Da ist die ganze Blase, in der ich war, geplatzt. Ich wollte nicht, dass mein Kind so aufwächst. Mein Sohn war wirklich eine Rettung für mich.
Evelyn T. über ihre Schwangerschaft
Im Sommer 2017 änderte sich dann alles, die damals 17-Jährige wurde schwanger. Unter Tränen schildert sie: „Das war für mich wie ein Wecker. Da ist die ganze Blase, in der ich war, geplatzt. Ich wollte nicht, dass mein Kind so aufwächst. Mein Sohn war wirklich eine Rettung für mich.“ Sie erinnert sich, wie sie ihren Mann – den überzeugten IS-Kämpfer – monatelang bearbeitete. Nach der Geburt stimmte er zu, sich den Befreiungskräften zu ergeben. Das taten sie am 1. November 2017. „Es war der erste Schritt zum Erfolg.“
Acht Jahre Gefangenenlager
Ab dem Zeitpunkt wurde sie von ihrem Mann getrennt, lebte als Gefangene in dem bekannten Camp Roj in Syrien. Man versprach ihr eine möglichst schnelle Rückführung in ihre Heimat. Ihr kleiner Sohn war damals gerade einmal einige Monate alt. „Jede Woche habe ich mir gedacht, halte noch kurz durch, Österreich kommt dich bald holen. Aus Wochen wurden aber Monate und die Monate wurden zu Jahren. In einem Gefangenencamp zu sein, mit seinem Kind ist eine Sache, die ich keinem wünsche.“
Acht Jahre verbrachte sie letztlich in dem Lager – am 1. März landete schließlich ihr Flieger in Wien. Seitdem sitzt sie in Untersuchungshaft in der Justizanstalt Josefstadt. „Ich bin Jahre im Gefängnis gesessen. Das ist schon normal für mich“, erklärt sie dem Schöffensenat.
Nach Prozess enthaftet
Von dem sie nun nach fast einem Jahrzehnt wegen der Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung und kriminellen Organisation zu zwei Jahren bedingter Haft verurteilt wird – nicht rechtskräftig. Nach der Verhandlung wird Evelyn T. also enthaftet. Was sie jetzt das erste Mal seit langer Zeit in Freiheit vorhat? „Einfach das, was andere Menschen als langweilig empfinden. Das ist gerade mein Wunschleben.“
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