Ein 25-Jähriger hatte als „Wissender aus Wien“ im Jahr 2020 in der Birkengasse in St. Pölten Gelehrtenmeinungen vorgetragen. Seinen Worten lauschte dabei auch der spätere Wien-Amokschütze.
Es waren Treffen, bei denen Gläubige zum Austausch und zum Lernen zusammengekommen sind. Zumindest, wenn es nach den Aussagen der Zeugen am Landesgericht St. Pölten geht. Dass beim „IS-Studienzirkel“ in der Birkengasse neben dem Angeklagten auch der spätere Wien-Attentäter sowie bereits wegen terroristischer Vereinigung Verurteilte und ein IS-Prediger anwesend waren, will der Großteil der Befragten nicht gewusst oder mittlerweile vergessen haben. Bis zu 15 Personen kamen bei diesen sonntäglichen Treffen in der Landeshauptstadt zusammen.
„Wir haben über die Auslöscher des Islam, Religion und auch schwarze Magie gesprochen“, erklären mehrere Zeugen. Nur einem fiel der „Propheten-Ring“ (eindeutiges Zeichen für den IS) am Finger des Wien-Attentäters auf. Kurz darauf tötete dieser bei einem Terroranschlag am 2. November 2020 in Wien vier Menschen. „Er war ein sehr zurückgezogener, introvertierter Mensch“, zeigt sich ein Ermittler erstaunt über dessen Fahrten nach St. Pölten. Der Bruder des Angeklagten wurde wegen Mittäterschaft am Attentat zu einer lebenslangen Haftstrafe verurteilt.
„Stimmen auf den Mitschnitten stimmen überein“
Am zweiten Verhandlungstag im Prozess gegen den mittlerweile 25-Jährigen, der in besagter Wohnung im Jahr 2020 als „Wissender“ Vorträge gehalten und Gelehrtenmeinungen gegenübergestellt haben will, folgte nun der nächste Paukenschlag. Nachdem ein deutscher Terrorexperte zuletzt, wie berichtet, sichergestellte Tonmitschnitte von „Nasheeds“ (Sprechgesängen) als dschihadistisch eingestuft hatte, soll es sich laut einem weiteren (Ton-)Gutachten auf ebendiesen Aufnahmen zu 81 Prozent („Ein sehr hoher Ergebniswert“) um die Stimme des Angeklagten handeln. Was dieser weiterhin vehement bestreitet. „Die Stimmen auf den Mitschnitten stimmen überein“, so der Sachverständige.
Von der Verteidigung geladene Schulkollegen zeichnen vor Gericht ein weltoffenes, freundliches Bild des Angeklagten. Einer von ihnen war gar am Tag des Anschlags nur unweit des Schwedenplatzes in Wien mit ihm unterwegs. Fotos und auch ein Video belegen dies. Für die Staatsanwältin ein sehr eigenartiger Zufall. „Er hat mir erst Monate später vom Attentäter und seinem Bruder erzählt“, so einer der Schulfreunde.
Urteil ist noch nicht rechtskräftig
Der 25-Jährige fasste nun wegen des Verbrechens der terroristischen Vereinigung und der kriminellen Organisation durch Abhalten von Vorträgen 18 Monate bedingte Haft samt Deradikalisierungstraining und Bewährungshilfe aus. Das Urteil ist nicht rechtskräftig.
Kommentare
Willkommen in unserer Community! Eingehende Beiträge werden geprüft und anschließend veröffentlicht. Bitte achten Sie auf Einhaltung unserer Netiquette und AGB. Für ausführliche Diskussionen steht Ihnen ebenso das krone.at-Forum zur Verfügung. Hier können Sie das Community-Team via unserer Melde- und Abhilfestelle kontaktieren.
User-Beiträge geben nicht notwendigerweise die Meinung des Betreibers/der Redaktion bzw. von Krone Multimedia (KMM) wieder. In diesem Sinne distanziert sich die Redaktion/der Betreiber von den Inhalten in diesem Diskussionsforum. KMM behält sich insbesondere vor, gegen geltendes Recht verstoßende, den guten Sitten oder der Netiquette widersprechende bzw. dem Ansehen von KMM zuwiderlaufende Beiträge zu löschen, diesbezüglichen Schadenersatz gegenüber dem betreffenden User geltend zu machen, die Nutzer-Daten zu Zwecken der Rechtsverfolgung zu verwenden und strafrechtlich relevante Beiträge zur Anzeige zu bringen (siehe auch AGB). Hier können Sie das Community-Team via unserer Melde- und Abhilfestelle kontaktieren.