Der Theater- und Filmkönner Simon McBurney inszeniert Modest Mussorgskis „Chowantschina“ bei den Osterfestspielen. Premiere ist am Samstag. Die „Krone“ traf ihn zum Gespräch.
Es war der Versuch, Russlands Vergangenheit in der Gegenwart darzustellen. Der Titel „Chowantschina“, meint die „Sache“ des Fürsten Chowanskij oder treffender dessen Machenschaften oder „Schweinereien“. Es geht um blutige Machtkämpfe, Sektierertum, Intrigen und Mord. Mussorgski starb 1881 vor der Vollendung. Maurice Ravel, Igor Strawinsky und Dimitri Schostakowitsch machten das Werk spielbar.
Der 1957 in England geborene Regisseur, Theatermacher, Schauspieler inszeniert diesen grandiosen, dunklen Abgesang Mussorgskis für die Osterfestspiele Salzburg im Großen Festspielhaus. Die Premiere ist am Samstag.
„Krone“: Was wollte Modest Mussorgski in seiner „Chowantschina“ zeigen?
Simon McBurney: Er beschloss im 19. Jahrhundert, über die Geschichte Russlands zu berichten. Doch er war nicht in der Lage, es zu beenden. Konkret denken wir dabei an das, was wir uns als Russland vorstellen. Das ist natürlich eine Verschmelzung von vielen verschiedenen Dingen. Fürst Golizyn blickt in den Westen, während Chowanskij und Dosifeij (Anführer der Altgläubigen, Anmerkung) in die Vergangenheit schauen. Was für ein Land schaffen sie? Im Wesentlichen ist es auf Leichen und Blut gebaut.
„Chowantschina“ ist ein Werk für Chor und Männer, die alle einen historischen Hintergrund haben. Doch dann gibt es auch noch Marfa. Wie passt sie ins Geschehen?
Was ich an dieser Oper so interessant finde, ist, dass die weibliche Hauptfigur die einzige ist, die keine historische Person ist. Mit Marfa hat Mussorgski eine zentrale Figur geschaffen. Sie prophezeit, was passieren wird, und sie ist in der Lage, verschiedene Figuren miteinander zu verbinden. Das heißt aber nicht, dass sie womöglich die Figur von Mütterchen Russland verkörpert. Aber in gewisser Weise ist sie am vollständigsten. Sie sieht zu, sie nimmt teil, sie steht außerhalb, sie beeinflusst das Geschehen. Die Menschen wissen nicht recht, was sie von ihr halten sollen.
Man fürchtet sich vor ihr, man liebt sie. Und in gewisser Weise ist das der Fall mit der ganzen Nation, mit Russland. Nämlich, dass sie unverständlich ist.
Was zeichnet die Musik aus?
Es ist der Wunsch Mussorgskis, eine moderne musikalische Sprache zu finden, eine russische Sprache. Als Russe im 19. Jahrhundert war er fasziniert von der Musik, die ihn umgab. Besonders die Volksmusik, die die Grammatik fast des ganzen Stücks bildet. Das kann man im Präludium hören und dann in den persischen Tänzen und dem Auftritt von Chowanskij. Mein Bruder Gerard McBurney, der Komponist ist, hat mir gezeigt, wie die Musik miteinander verbunden ist. Wie dieselbe Musik immer wiederkehrt und wiederkehrt und wiederkehrt.
Es gibt aber auch Kirchenmusik?
Ja, genau. Musik der orthodoxen Kirche und Musik, die älter ist als die orthodoxe Kirche. Musik einer bäuerlichen Spiritualität. Es gibt Musik aus verschiedenen Bereichen des Lebens. Aus der Kirche, von den Feldern, von den Arbeitern, aus den Dörfern, aus der Stadt.
Ist es ein nationalistisches Stück?
Ich weiß nicht, ob das als Idee hilfreich ist. Es geht nicht nur um Russland, sondern um den Prozess der Geschichte. Die Trümmer der Geschichte. Und die Art und Weise, wie sie sich in einer Abfolge von Katastrophen abspielt. Ich denke also, es ist viel weiter gefasst als jede Idee von Nationalismus. Die Gewalt, die uns in unserer Welt umgibt und die uns womöglich zu verschlingen droht, wird aktuell in fast jeder Kunst präsent. Durch unsere Telefone sind wir so voll mit Informationen, dass wir zwangsläufig die Bilder von heute darüberlegen.
Wie kam es zur Salzburger „Chowantschina“?
Ursprünglich war es eine Einladung vom Bolschoi Theater in Moskau. Doch dann kam der Einmarsch in die Ukraine und das Projekt war beendet. Dank Nikolaus Bachler und meinem Bruder konnten wir weitermachen.
Wie wichtig war Ihr Bruder Gerard für das Projekt?
Er kennt das Stück sehr gut. Er kennt Mussorgskis Werk. Er hat mit seiner Kollegin Hannah Whitley im Glinka-Museum originale Skizzen für den 5. Akt gefunden. Er hat dann einige der Fragmente rekonstruiert und neu orchestriert.
Wir spielen weitgehend die Instrumentierung von Schostakowitsch. Bis zum 5. Akt und mein Bruder hat dann vor allem die Szene zwischen Marfa und Andrej näher an das zurückgebracht, was Mussorgsky wollte, bevor es ins Finale von Ravel und Strawinsky übergeht.
Wie viele Oper haben Sie bisher gemacht?
„Die Zauberflöte“, die ist gerade in New York zu sehen. Ich habe Bergs „Wozzeck“ vor zwei Jahren für das Festival in Aix-en-Provence inszeniert und 2017 Strawinskys „The Rake‘s Progress“, ebenfalls in Aix. Außerdem habe ich eine neue zeitgenössische Oper von Alexander Raskatov, „A Dog‘s Heart“ gemacht, die auf einer Kurzgeschichte von Bulgakow basiert. Aber ich bin, wie Sie wissen, kein professioneller Opernregisseur.
Wie ist Ihre Beziehung zur Musik?
Musik ist unglaublich wichtig in meinem Leben. Und wenn ich an einer Oper arbeite, gehe ich eher von der Musik aus als von etwas anderem.
Neben der Opernregie sind Sie vor allem Theatermacher, Schauspieler auf der Bühne und vor der Kamera. Wie entscheiden Sie, ob Sie Oper oder Theater, etwa mit ihrer Complicité Company machen, vor der Kamera stehen oder sogar dem Hauself Kreacher in „Harry Potter“ Ihre Stimme leihen?
Ich versuche, die Dinge auf mich zukommen zu lassen. Manchmal mache ich Performances, die fast wie Installationen sind. Wenn man so zwanghaft ist wie ich, muss man Dinge erschaffen und aufführen. Kurz bevor ich hierherkam, habe ich ein Tanzstück kreiert. Es heißt „Figures in Extinction“. Es ist eine Trilogie, eine Koproduktion mit dem Nederlands Danse Theater.
Haben Sie auch selbst choreografiert?
Ich habe Choreografie und die Dramaturgie gemacht. Allerdings in Zusammenarbeit mit Crystal Pite (Kanadische Tänzerin und Choreografin, Anmerkung).
„Nosferatu“ ist Ihr letzter Film gewesen?
Ja. Ich habe zuletzt einige Filme gedreht. „The Actor“ kommt demnächst heraus. Ich habe eine kleine Rolle für einen Freund in einem Thriller gespielt. Das ist Spaß. Man muss auch Spaß haben im Leben.
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