Album & Tour

Viech: Werwölfe gegen die Leistungsgesellschaft

Musik
18.04.2025 09:00

Sechs Jahre hat die steirisch-wienerische Freundschaftsbande von Viech gebraucht, um wieder ein neues Album vorzulegen. „Vollmund“ ist authentisch, unmittelbar, lebendig und im positiven Sinne imperfekt. Der „Krone“ erzählt die Band, wie wichtig die Ironie-Ebene für System- und Kapitalismuskritik ist.

Frohgemut schreitet das musikalische Quintett auf dem neuen Albumcover des Nächtens auf einer schiefen Ebene gen Vollmond. Was man da schon alles aus dem Artwork herauslesen kann. Sind Viech zu kollektiven Rattenfängern von Hameln geworden? Ist der Vorstoß in galaktische Sphären eine humoristische Allegorie für den Millionärs-Größenwahn der (amerikanischen) Weltraumstürmer? Verwandelt man sich von einer fidelen Musikantentruppe gar in eine Schar blutdürstender Werwölfe? Bei Viech könnte man dazu wohl sagen: Es stimmt alles und nichts gleichzeitig. Das offen zur Schau gestellte Abstrakte hat Bandchef und Gründungsmitglied Paul Plut schon 2011, als er mit Andreas Klinger-Krenn die Band in Graz gründete, etabliert. Seitdem veröffentlichten die in Wien lebenden Steirer (exkl. „Vollmond“) vier Alben, wurden für zwei Amadeus-Awards nominiert, spielten berauschende Konzerte und mischten in den Alternative-Charts vorne mit.

Adaptiertes Viech-Kollektiv
Das letzte Album „Niemand wird sich erinnern, dass wir hier waren“ liegt sechs Jahre zurück und mit jedem Jahr des Wartens ohne neues Ereignis fühlte sich sein Titel selbst prophezeiender an. Dass es von Viech schon so lange nichts zu hören gab, lag vor allem an Plut selbst. Mit seinen Soloalben erwuchs ihm eine eigene Karriere, deren Erfolg zumindest gleichbedeutend mit jener der Band ist. Er wurde zweifacher Vater und reüssierte zudem als Komponist für Theaterproduktionen. Von dort hat er die etablierte Schauspielerin und Sängerin Barca Baxant in das Viech-Kollektiv geholt. Auch mit dabei ist der oberösterreichische Tausendsassa Max Atteneder (u.a. Catastrophe & Cure), der mit seiner künstlerischen Ambivalenz noch jedes Projekt in eine neue Subrichtung geschupft hat. „Vollmond“ lebt und atmet mehr denn je zuvor die Gemeinschaft, und das besonders echt.

Die Songs haben direkte Übergänge, sind im besten Sinne echt und imperfekt und atmen. Man hört es knarzen und knarren und im Studio hat man für die Tonerweiterung Dinge verwendet, die herrenlos herumlagen. Die Musikerinnen lachen und feixen und man hat irgendwie das Gefühl, als Hörer in eine Art folkloristisch, kapitalismuskritische Geisterbeschwörung einzudringen. „Der Großteil des Materials entstand tatsächlich in einer Vollmondnacht, aber es war nicht bewusst geplant, dass wir uns in einer solchen extra zusammensetzen, uns Zeit nehmen und ein ganzes Album einspielen“, so Plut im „Krone“-Interview, „wir haben dieses Mal mit den Texten angefangen. Hunderte Seiten gesammelt und die dann in eine klangliche Form gegossen.“ Von Vorbereitung könne keine Rede sein. „Eigentlich war es extrem chaotisch“, lacht das Band-Mastermind, „uns hat die Frage bewegt, wie wir den Spaß und die Inbrunst von Stimme und Instrumenten aus dem Proberaum auf eine Platte kriegen.“ Mission gelungen: Aus dem schüchternen Tier erwuchs ein furchterregender Werwolf.

Lieder gegen die Feindbilder
Das Animalische hat überhaupt einen großen Wert. Wer sich Viech nennt, der darf ein Lied schon auch mal „Von allen Tieren ist der Mensch das traurigste“ nennen. Nicht der einzige Moment, der bei all der ungezwungenen und zutiefst leichtfüßigen Instrumentierung zum Nachdenken bringt. Das Album beginnt mit dem Song „Hasenfuß“ und es lassen sich immer wieder tierische Metaphern finden. „Auch das ist zufällig entstanden“, schwächt die Band ab, „es ist ein bisschen unsere Anti-Büro-Alltagshymne, weil wir Menschen so viel Zeit darin verbringen, anstatt in die Welt zu gehen.“ Turbokapitalismus und Neoliberalismus sind die größten Feindbilder für Viech. Einen Song direkt „Schiebt euch eure Wettbewerbsfähigkeit in den Arsch“ zu nennen, erfordert auch eine gewisse Chuzpe. Wenn es aber um Leistungsdruck und das so populäre „Höher, schneller, weiter“-Prinzip geht, kennt die fünf Vollblutkünstler keinen Spaß.

„Als Künstler entkommt man dem System leider nicht, wir alle haben verloren“, wird Plut dabei zuweilen nihilistisch, „aber die Wettbewerbsfähigkeit wird immer als Totschlagargument verwendet. Denk an die Dienstvertragsgeschichte mit Lieferando unlängst, oder die Tatsache, dass der CEO von Spotify mit seiner Plattform mehr verdient als all die Künstler, ohne die es ihn gar nicht geben würde.“ Auch in puncto Social Media pocht Plut auf die Unabhängigkeit, weil die zunehmende Monopolisierung durch Player wie Musk und Zuckerberg die Vielseitigkeit und Meinungsfreiheit bedrohen. „Warum gibt es eigentlich kein EU-Projekt, das in diese Richtung geht? Eine gute und faire Plattform, auf der man Sachen teilen kann und nicht in Hasstiraden umschwingt. Könnte man nicht gleich die Seite des, Kaufhaus Österreich‘ dafür heranziehen?“ So viel Humor und Sarkasmus auch mitschwingt, Viech sind sich der Ernsthaftigkeit vieler Probleme und Unzulänglichkeiten vollinhaltlich bewusst.

Ironie als Motor
„Vollmond“ ist ein Album, das aus vollem Herzen, mit herzhaften Liedern entstanden ist. Man geht mit der Band ins „Freibad“, erlebt schicksalshafte Begegnungen, während man in Wien auf den „13A“ wartet und kriegt in Songs wie „Ritter Lancelot“ sogar humorige „Monty Python“-Zitate frei Haus geliefert – in Form des berühmten Kokosnussklapperns. „Das ist eine Hommage, ohne dass es als Hommage geplant war“, lacht Plut. Überhaupt scheint bei Viech in den letzten Jahren wenig einem geplanten Schema gefolgt zu sein. „Ironie ist immer ein guter Motor, man kann mit ihr im Leben oft viel bewegen“, erklärt Plut den Zugang, die systemkritischen Lieder mit möglichst wenig Verbissenheit darzustellen, „man muss schon auch aufpassen, nicht in den Zynismus zu geraten und sich zu viel zu ärgern. Das klingt im Ergebnis dann meistens nicht gut. Ich habe zwar keine zynischen Parzellen in mir, aber manchmal muss man sich dessen verwehren, dass man in diese Welt hineinrutscht.“

Live in ganz Österreich
Völlig ohne Zynismus, aber mit viel Liebe zur Musik und auch zur spontanen Improvisation zeigen sich Viech bei ihren Livekonzerten. In Graz haben sie „Vollmond“ bereits vorgestellt, jetzt geht es weiter im Takt. Am 18. April gibt’s die Album-Release-Party im Wiener Rhiz, am 24. April spielt man in der ARGE Salzburg, am 25. April beim Noppen Air Festival in Neußerling, am 9. Mai in Öblarn, am 23. Mai im Röda in Steyr, am 24. Mai beim Bogenfest in Innsbruck und am 12. Juli beim Streetfood & Sound Festival in Guntramsdorf. Unter www.viech.org gibt es alle Termine und weitere Informationen zu den Live-Gigs.

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