Nach seinem Sieg bei einer Casting-Show ging der Brite James Arthur zuweilen durch die Hölle der Depressionen. Kommerzielle Erfolge duellierten sich mit persönlichen Unzulänglichkeiten – mittlerweile hat sich der 37-Jährige gefangen und veröffentlicht dieser Tage mit „Pisces“ sein intimstes Album, das ihn von einer ganz anderen Seite zeigt. Die „Krone“ besuchte ihn in Berlin, um mit ihm über suizidale Gedanken, Kritik von außen, Nierensteine und die Liebe zur Musik zu sprechen.
„Krone“: James, kommenden Dezember spielst du deine bislang größte Österreich-Show in der Wiener Stadthalle. Mit im Gepäck hast du dein brandneues Album „Pisces“, das musikalisch in vieler Hinsicht überrascht und auf dem du dich so offen und verletzlich wie nie zuvor zeigst. Wie hart war die Arbeit daran, im Vergleich zu deinen anderen Alben?
James Arthur: Es war schwierig und leicht gleichzeitig. Das Schwierige war, mich selbst so ins Zentrum zu rücken. Über persönliche Dinge zu sprechen, mich dermaßen verletzlich zu zeigen und damit so offen rauszugehen. Leicht hingegen war der Kreativprozess. Ich bin niemand, der ständig an Musik schreibt, sondern schreibe eher Gedanken in Tagebuchform auf und wenn ich das Gefühl habe, es ist genug da, fokussiere ich mich auf diese Ideen und komprimiere sie. Ich habe dafür einen perfekten Moment erwischt und war bereit. Es ist ein bittersüßes Gefühl, Songs zu schreiben, die so persönlich und tief sitzend sind, dass es dich beim Schreiben würgt, aber in gewisser Weise war das auch alternativlos. Ich musste nicht lange an den Texten schreiben, weil sie einfach aus mir herausflossen.
Gab es in der Vergangenheit einen speziellen Moment in deinem Leben, wo dir klar war, jetzt kannst du mit diesen intimen und persönlichen Themen rausgehen?
Ich habe schon in jungen Jahren gemerkt, dass ich durch die Musik eine besondere Art und Weise habe, mit Sorgen, Ängsten und Unzulänglichkeiten umzugehen. Wann immer ich eine ungute Emotion verspürte, habe ich meine Gitarre in die Hand genommen und diese Emotion gegen die Wand gespielt. Nur für mich selbst und mit mir allein. Das war für mich wie Therapie und fühlte sich kathartisch an. Irgendwann war ich mir sicher dabei, dass die Menschen meine Gedanken verstehen und auch teilen könnten. Das war der Zeitpunkt, von dem aus die Geschichten aus mir hinausflossen.
Dein letztes Studioalbum „Bitter Sweet Love“ chartete erst vor gut einem Jahr, im Jänner 2024, auf Platz eins in England. Hast du direkt im Anschluss daran an „Pisces“ zu schreiben begonnen?
Ich bin mir noch nicht einmal mehr sicher, ob „Bitter Sweet Love“ überhaupt schon draußen war, als ich an den „Pisces“-Songs zu schreiben begann. Es war aber auf jeden Fall fertig geschrieben und die Pläne für die Tour lagen auch fertig in der Tasche. Im November 2023 hatte ich einen Monat frei – vor einer weltweiten Tournee. Also musste ich mich zwischen einem Urlaub und einer Kreativspanne entscheiden und ihr seht jetzt, was es wurde. Fast das ganze Album ist in drei Wochen konzentriertem Schreiben entstanden. Es hat sich alles wie von selbst zusammengefügt. Die drei Songs „Summer“, „ADHD“ und „Water“ habe ich im Frühling 2024 nachgelegt.
In welcher Stimmung und in welcher Umgebung warst du, als du drei Wochen lang derart konzentriert nicht weniger als neun Songs geschrieben hast?
Immer, wenn ich krank bin oder gerade an Depressionen leide, verspüre ich den Drang zu schreiben. Zu dieser Zeit musste ich mir Nierensteine herausoperieren lassen – das war mitunter die schmerzhafteste Erfahrung meines gesamten Lebens. Davor habe ich schon das Studio mit meinem Songwriting-Partner Steve Solomon gebucht und wollte die Zeit nicht verfallen lassen. Ich hatte einen Tag nach der OP die erste gemeinsame Session mit Steve. Ich erinnere mich noch gut an die Heimfahrt vom Krankenhaus. Ich war voller Schmerzmittel und total am Boden, aber auch glücklich, dass dieser größte Schmerz meines Lebens vorbei war – so schrieb ich eine besonders sensible Nummer. Aus diesem Moment heraus entfaltete sich das Konzept, das ich vorher gar nicht im Kopf hatte. „Pisces“ spielt auf mein Sternzeichen Fische an und ich wollte immer ein Album schreiben, das diesem Sternzeichen gerecht wird. Sensibel, kreativ, träumerisch und verletzlich. All das hat sich dann wie ein Sturm im Wasserglas entwickelt.
Du hast das ganze Projekt wortwörtlich im Schmerz geboren?
Wortwörtlich. Und diesen Schmerz habe ich dann wie eine therapeutische Hilfe fürs Songwriting genützt.
Zum Thema Sternzeichen – bist du astrologisch interessiert?
Eher meine Mutter. Sie ist sehr spirituell und hat mir Sternzeichen schon früh nähergebracht. Ich habe mich aber nie so tief in diese Welt hineinziehen lassen, auch wenn sie das gerne so gesehen hätte. Sagen wir so: Ich würde nicht bei einem Podcast über Astrologie mitmachen, das ginge dann doch zu weit. Ich habe mich aber mit meinem Sternzeichen und seinem Aszendenten befasst. Ich habe immer ein bisschen daran geglaubt, weil all die Dinge, die mit dem Sternzeichen Fische verbunden sind, auf mich zutreffen. Das ist aber auch schon alles.
Du gehst schon seit vielen Jahren sehr offen mit dem Thema Depressionen um und hast jetzt auch wieder bekräftigt, in diesen Phasen besonders kreativ zu sein. Damit hast du auch eine Welt des Verständnisses für deine Hörer eröffnet, die sich gut damit identifizieren können. Siehst du dich auch in gewisser Weise als Vorbild für jene, denen es ähnlich geht wie dir?
Ein Vorbild oder ein Botschafter für derartige Themen zu sein, war sicher nie mein Ziel. Ich habe früh meine eigenen Tiefen ausgelotet und war am Boden angelangt, was mir wiederum die Augen dafür öffnete, dass man aktiv dagegen ankämpfen muss. Über meine eigene mentale Gesundheit zu sprechen hat mir am meisten geholfen. Als ich dann sah, dass sich andere damit identifizieren konnten und mit dem Thema verbunden haben, habe ich den Wert dieses offenen Sprechens darüber noch intensiver kennengelernt. Dieser Mechanismus hat es geschafft, mich von suizidalen Gedanken weg zu einem halbwegs gesunden Umgang damit zu bringen. Es ist nicht falsch, offen darüber zu sprechen und wenn ich nur einem Menschen dadurch helfen kann, war es das wert. Ich sehe mich nicht als Vorbild, verspüre aber eine Verantwortung, offen damit umzugehen.
Es ist die eine Sache, über Alkoholmissbrauch, Drogen und Selbstmordgedanken zu sprechen, aber eine andere, aus diesem furchtbaren Zirkel rauszukommen und wirklich etwas zu verändern. Was hat dich denn auf den besseren Weg gebracht?
Dass andere Menschen so freundlich zu mir waren, war die eine Sache. Außerdem bin ich ein Kämpfer und entschied mich, aktiv für ein besseres Leben zu kämpfen. Ich habe erkannt, wie schön das Leben sein kann und wollte die Dinge richtig machen. Als Musiker habe ich viele Leute, die zu mir aufschauen, mir zuhören und meine Texte analysieren - ich kenne die heilende Kraft der Musik als Fan und habe beschlossen, dass ich meine Musik für andere auch so gestalten möchte. Es ist wirklich schön, wenn man einen so positiven Einfluss auf andere Menschen haben kann.
Vor knapp 13 Jahren bist du als Sieger der populären britischen Casting-Show „The X Factor“ vorgegangen und hast deine Karriere ins Rollen gebracht. Hast du schnell gelernt, dass von außen Erwartungen auf dich zukommen und immer jemand etwas von dir erwartet, wenn du im Rampenlicht stehst?
Diese Erwartungen richtig wahrzunehmen gehört auf jeden Fall zu einem Prozess, der noch immer andauert und nicht abgeschlossen ist. Ich habe die Erwartungen und die Drucksituation am Anfang meiner Karriere viel intensiver wahrgenommen als es jetzt der Fall ist, weil der Ruhm durch eine Fernsehshow ins Rollen kam und die Menschen für mich gevotet haben. Ich fühlte mich ein bisschen wie öffentlicher Besitz, der auf einem Podest steht und all diesen Menschen etwas schuldet. Wie die Geschichte zeigt, haben auch nicht viele Menschen, die solche Shows gewinnen, danach eine Karriere – das war wirklich enormer Druck. Ich habe mich schon immer als krediblen Künstler gesehen, der genau wusste, wohin er möchte und musste damit kämpfen, dass die Menschen mich anders sahen als ich selbst mich sah. Es fühlt sich noch immer so an, als müsste ich mir diese Identität zurück erkämpfen. Dabei ist es gar nicht so schwer. Man muss einfach authentisch sein. Der Lärm und die Störfeuer von außen, die blende ich aus. Ich bin ich selbst und mit jedem Album fällt mir das leichter.
Speziell auf „Pisces“ gibst du so viel wie nie zuvor. Hast du dir beim Songschreiben auch Grenzen gesetzt, die du nicht übertreten möchtest?
Durchaus, aber trotzdem lote ich sie auch aus. Ich bin sehr ambitioniert und fordere mich selbst extrem, was sich wahrscheinlich dann auch auf mein Arbeitsumfeld überträgt. Manchmal kann das für alle Beteiligten etwas ungemütlich werden, aber ohne sich selbst zu pushen, gibt es keine Progression und kein Wachsen. Selbst dann, wenn die Dinge manchmal smooth und gut dahingehen, ist mir das zu wenig, weil ich weiß, dass da noch mehr möglich ist. Ich liebe es, mich herauszufordern und die Grenzen des Machbaren zu verschieben. Das ist meine Attitüde. Ich feiere auch keine Erfolge, sondern frage mich bei Erreichen eines Ziels immer, was als Nächstes kommt. Das ist nicht immer einfach, aber in meinem Naturell verankert.
Es gibt auf dem Album einen Song namens „Celebrate“ – hast du also doch gelernt, auch mal zufrieden zu sein und den Moment zu feiern?
Ich lerne dazu und versuche mich dahingehend zu verbessern, aber ich bin, was das angeht, noch immer ziemlich schlecht darin.
Vertraust du dir selbst heute mehr als es früher der Fall war?
Zu 100 Prozent. Wer meine Musik 2025 hört, der hört jemanden, der sich vertraut und total bei sich ist. Jede Entscheidung und jede einzelne Faser dieses Albums liefen über mich und wurden von mir für gut empfunden. Nicht, dass das nicht früher auch schon der Fall gewesen wäre, aber ich bin mir heute wesentlich sicherer mit meinen Entscheidungen. Würde ich Rick Rubin als Produzenten haben und er würde gerne den Refrain verändern wollen, der mir gefällt, würde ich mich mit Leib und Seele dagegenstemmen. Das ist die Gegenwart von James Arthur.
‘Hast du beim Schreiben und Produzieren von „Pisces“ neue Facetten an dir selbst entdeckt?
Definitiv. Das fing schon damit an, dass dieses Album komplett anders klingt als die fünf Alben davor. Das war keine bewusste, aber instinktive Entscheidung, die ich getroffen habe. Es hat sich schon nach den ersten paar Songs herauskristallisiert aus der Art, wie ich singe, wie ich die Refrains umgesetzt habe und mich allgemein aus der Komfortzone bewegte. Die Leute sind von mir eine leicht ängstliche, raue Stimme gewohnt, aber ich habe viele Refrains im Falsett gesungen und mich weit hinausgelehnt. Die Songs sind zuweilen träumerischer oder üppiger ausgefallen – zuweilen auch zarter.
Das Album dreht sich inhaltlich sehr stark um die Zwischenwelt zwischen Traum und Realität. Bist du ein Tagträumer und ist das eine Welt, in der du dich als Mensch oft und gerne bewegst?
Das liegt auch an dem Zustand, den ich beim Songwriting verspürte. Ich hatte all diese Schmerzen und wollte mich anders ausdrücken, außerdem habe ich sehr viel träumerische und ruhige Musik gehört. Der Song „Hey, Ma“ von Bon Iver war einer der wichtigsten Inspirationsquellen für das Album. Da ich so starke Schmerzen hatte, wollte ich nicht so wie immer singen – mich aus dem klassischen James-Arthur-Schema hinausbewegen und neu präsentieren. Ich habe die Demos also großteils im Falsett eingesungen und wollte dann nochmal drübergehen – aber das war gar nicht mehr nötig. Es hätte sich falsch angefühlt, in alte Muster zurückzufallen. Diese Zwischenwelt herrschte auch beim Gesang und in der Tatsache, dass ich das Grundthema des Fische-Sternzeichens genauer analysierte. Auch die Lyrics sind abstrakter als üblich.
Metaphorisch zu schreiben, gibt dir zumindest die Möglichkeit, dich bei all der Direktheit in den Texten noch etwas zu verstecken oder zu schützen.
Die meisten meiner erfolgreichen Songs sind sehr wörtlich zu nehmen und Tatsachen beschreibend. Allgemein gibt es in der englischsprachigen Pop-Welt seit etwa zehn Jahren den Trend, alles möglichst genau und exakt zu beschreiben und wenig eigenen Interpretationsspielraum zu hinterlassen. Ich habe darüber mit Billie Eilishs Bruder Finneas gesprochen und er ist – genauso wie ich – ziemlich genervt von diesem Trend. Metaphorischer oder poetischer an die Sache ranzugehen hat etwas Magisches und Spannendes. Es macht mehr Spaß, mit den Bedeutungsebenen zu spielen und nicht alles deutlich aufzuklären.
Versuchst du in deiner Rolle als Popmusiker bewusst gängige Trends zu umschiffen oder gar neue Trends zu setzen?
Ohne jetzt hochnäsig zu klingen, aber den Trend, Songs klar und deutlich zu beschreiben, habe ich zu einem hohen Anteil sicher mitgetragen. Wenn du aber damit anfängst und in dieser Richtung bleibst, dann erwarten sich die Menschen das andauert von dir und das wird zu einer gefährlichen Angelegenheit. Ich weiß, dass ich das kann, aber es fühlt sich mittlerweile so ans, als würde ich mich mit dieser Art des Songschreibens billig selbst imitieren. Das Schreiben an den „Pisces“-Songs hat auch deshalb so viel Spaß gemacht, weil ich das imaginäre Regelbuch aus dem Fenster geworfen habe und mich auf diese Fantasiewelt zwischen Traum und Realität einließ – und zwar mit allen Poren. Es war nicht so wichtig, worum sich die Texte drehen – Hauptsache sie bewegen und geben ein gutes Gefühl. Das hat mir großen Spaß gemacht.
Fühlt sich auch die harsche Musikindustrie zuweilen wie eine Zwischenwelt zwischen Traum und Realität an? All das, was abseits des Songschreibens und Konzertespielens notwendig ist, um ein Teil davon zu sein?
Das ist der Inbegriff der Musikindustrie. Es gibt absolut keine Struktur und ich kenne kein Business, das so stark auf Zufällen und Glück aufgebaut ist wie das Musikbusiness. Man sollte formbar sein und immer mit dem jeweiligen Flow gehen – so fühlt es sich zumindest oft an. Gerade deshalb liebe ich „Pisces“ so, weil es sich anfühlt, als hätten sich die Sterne richtig angeordnet und als wäre alles ungezwungen und natürlich entstanden. Das ist ein Gefühl, dass ich in der Art und Weise noch nie zuvor verspürte.
Dem Album ist auch eine Art Film beigesteuert, wo die Videos zu den einzelnen Songs eine Storyline ergeben. Hast du von Anfang an gewusst, dass du das persönliche „Pisces“-Konzept unbedingt visualisieren wolltest?
Ich wusste, dass das Konzept Visuals braucht, aber jetzt zu behaupten, ich hätte den zusammenhängenden Film von Anfang an vor meinen Augen gehabt, würde nicht der Wahrheit entsprechen. Mich machen als Sänger und Musiker Emotionen aus. Dieses Album ist emotional, dramatisch und auch cinematisch. Mit diesem Gedanken habe ich mir vorgestellt, aus zwei bis drei Songs eine zusammenhängende visuelle Story zu kreieren und dann kam mir, dass ich aus jedem Kapitel einen Traum erschaffen könnte, der visuell umgesetzt wird. Ich habe auch das erste Mal überhaupt in meiner Karriere Verbindungen zwischen allen Songs erschaffen – das hat dann den Gedanken, das ganze Album auch filmisch umzusetzen, natürlich verstärkt.
Damit gehst du bewusst gegen alle Trends, wo man heutzutage ein bis drei flotte Singles veröffentlicht und das restliche Album möglichst schnell füllt, damit man einfach wieder auf Tour gehen kann. „Pisces“ ist das genaue Gegenteil von dieser Vorgehensweise …
Es ist offensichtlich, dass die alte Art und Weise des Albummachens immer mehr ins Aus gerät. Eine Erfolgssingle lässt sich auch nicht mehr am Reißbrett konzipieren. Ich habe das Gefühl, dass zwei meiner fünf erfolgreichsten Songs in meinen Augen eher obskure Albumtracks waren, die kein Radio-Airplay hatten und denen keine Videos beigestellt wurden. Ich schere mich nicht mehr um den konventionellen Weg, der mir eingeredet wird und ich hatte auch keine Lust, mich um eine spezielle Single zu kümmern. Wer sagt denn, welche Nummer eine Single soll und warum? Zur Hölle damit – ich will, dass „Pisces“ als Gesamtprodukt gehört und erlebt wird.
Wenn man sich das Album durchhört, dann ist man mit extrem viel Nostalgie konfrontiert. Du verlierst zwar niemals den Anschluss an die Gegenwart, gehst aber in den Liedern extrem oft zurück und erinnerst dich an Vergangenes. Ein bewusster Zugang?
Ein elementarer Teil des Künstlers, der ich heute bin, liegt in meiner Kindheit verortet. Ich war immer ein Künstler für die gebrochenen Außenseitertypen oder für jene Menschen, die schon vieles erlebt haben, das nicht immer nur schön geendet hat. Um ein Album wie „Pisces“ zu fertigen, war es zwingend notwendig, in die Vergangenheit zurückzugehen – es war alternativlos.
Im Song „Water“ erwähnst du nicht nur deine Tochter, du singst darin auch, die Welt durch ihre Augen zu sehen. Welche Grundidee steckt dahinter?
Nachdem Fische im Wasser leben und es das gesamte Konzept so hergegeben hat, war für mich klar, dass ich einen Song über Wasser machen möchte. Dieser Song sollte auch direkt mit mir und meinem Leben zu tun haben – das war der kalkulierte Teil davon. Wenn man den Text auf die Essenz herunterbricht, dreht er sich um die Angst vor der schieren Weite des Ozeans, neben dem ich in Middlesbrough aufgewachsen bin. Der Ozean hat mich und meine Emotionen schon immer gespiegelt. Seine Unberechenbarkeit und die Möglichkeit, einen zu verletzen – all das bin auch ich. Im Refrain singe ich, wie ich wie Wasser fließe und damit mit dem Flow des Lebens gehe. Das tue ich, weil ich für meine kleine Tochter so sein muss. Solange ich in ihren Augen schön und toll bin, ist im Leben alles okay. Das ist alles, was mir wichtig ist. Mitunter ist das mein Lieblingstext am Album, weil er das ganze Projekt sehr gut definiert.
Deine Tochter wird irgendwann all deine Texte lesen und vielleicht auch analysieren. Hat diese Tatsache einen Einfluss darauf, wie du Songs schreibst?
Mit Sicherheit. Bei allem, was ich tue, denke ich an sie. Wenn ich an Emily denke, fallen mir sehr viele meiner alten Songs ein, die ich am liebsten streichen oder von allen gängigen Plattformen nehmen würde. Ich möchte nichts mehr, als dass sie einmal stolz auf ihren alten Herren ist und versuche vor allem Peinlichkeiten und Plattitüden zu umschiffen. Ich möchte das Allerbeste aus mir herausholen.
Weißt du, wann du einen Song fertig geschrieben hast und er bereit ist, mit der Öffentlichkeit geteilt zu werden? Gibt es diesen Moment des Wahrnehmens in deiner kreativen Phase?
Das fällt mir sogar ziemlich leicht. Wenn die Texte und auch der Gesang perfekt sind, dann ist es erledigt. Die Gesangsstimme ist trotz allem immer unvorhersehbar und muss zum jeweiligen Song und Moment passen. Manchmal ist die allererste Demo-Spur in ihrer puren Reinheit so gut, dass man nichts mehr daran verändern möchte und den Inhalt des Songs damit schon auf den Kopf getroffen hat. Das Schreiben des Liedtextes verursacht für mich immer am meisten Zeit. Manchmal sitze ich bis zu zehn Stunden am Tag daran und verschiebe Worte und Bedeutungen so lange, bis es sitzt. Wenn man mit vertrauenswürdigen und kundigen Menschen zusammenarbeitet, dann ist aber auch das etwas, was Spaß macht und sich in Wohlgefallen auflöst.
Die Musik ist für dich ein Ventil, um all deine vielen Emotionen zu kanalisieren und nach außen zu tragen. Wie würdest du mit diesen Emotionen umgehen, wenn es die Musik nicht gäbe?
Das ist eine gute Frage und ich habe darauf nur langweilige Antworten. Ich würde viel reden und mich körperlich verausgaben. Bewegung ist immer die beste Medizin. Ich habe schon einen ziemlichen Bierbauch und esse furchtbar gerne – man sieht es und ich muss immer wieder meinen inneren Schweinehund überwinden. Am wichtigsten ist es, sein Leben mit Sinn zu füllen und mit Menschen, Dingen und Tätigkeiten, die man liebt. Klingt einfach, ist es aber nicht.
Auf „Pisces“ befinden sich auch ein paar flotte Up-Tempo-Songs, mit denen angesichts deiner großen Erfolge nicht unbedingt zu rechnen war. War es dir aufgrund der thematischen Schwere besonders wichtig, solche Momente zu kreieren?
Wenn man sich nur um meine Singles und Erfolge schert, hat man sicher das Gefühl, ich würde nur schwermütige Songs oder Balladen schreiben, aber ich liebe es, wenn es flott wird und nach vorne geht. All meine Alben haben diese aufbrechenden Momente, aber leider gehen die Songs im Direktvergleich zu den langsamen immer etwas unter. Ich finde sogar, zu meinen allerbesten Songs gehören flotte und energiereiche. Ich mag den Vibe solcher Songs.
Fällt es dir heute noch immer leicht, dich mit all deinen Songs von früher zu identifizieren oder gibt es da welche, die du in der Form nicht mehr so schreiben würdest?
Es gibt sogar ziemlich viele Songs, zu denen ich heute keine Verbindung mehr verspüre. Das liegt hauptsächlich an meiner Stimme, die früher anders war und mir manch großen Hit von früher vermiest, weil ich mich so nicht mehr hören möchte. „Train Wreck“ ist so eine Nummer, wo ich klinge wie ein naiver kleiner Junge, der ich damals vielleicht auch war. Ich bevorzuge den heutigen Klang meiner Stimme. Die Reife, die Einzug gehalten hat.
Geht es dir auch bei manchen Texten so? Dass du sie am liebsten verändern oder ganz streichen möchtest?
Es gibt so einige Texte, in denen ich mich selbst am liebsten gar nicht mehr finden würde. Das sind vor allem jene Songs, wo Co-Songwriter damals „gute Ideen“ hatten und ich zu wenig hart war, um meine wahre Intention durchzusetzen und auch einmal nein zu sagen. Vieles würde ich heute anders ausdrücken. Heute bin ich der Gatekeeper und entscheide ganz klar, was gut ist und was nicht. Damals habe ich diese Entscheidung Menschen überlassen, die älter waren oder mehr Erfahrung aufwiesen als ich. Das heißt aber nicht automatisch, dass es für mich deshalb besser war. Ich stand immer zu all meinen Texten und tue das heute noch, aber manche Entscheidungen würde ich sicher anders treffen.
Wirst du „Pisces“ irgendwann auch zur Gänze live spielen oder wird es auf Tour doch eine große Mischung aus Vergangenheit und Gegenwart geben?
Von all meinen Alben ist „Pisces“ dasjenige, das sich am ehesten dafür eignet und ich hätte im passenden Rahmen schon große Lust darauf, es von vorne bis hinten durchzuspielen. Ich muss nur noch die Zeit dafür finden. In England habe ich vor der großen Europa-Tour eine Rutsche mit Akustikshows – vielleicht passt es da gut rein.
Hast du eigentlich eine Vision davon, wo du dich und deine Musik in der näheren Zukunft siehst? Visualisierst du dir deine Ziele vorab?
Am liebsten wäre ich einer jener Singer/Songwriter, deren Werk über die Jahre an Qualität zunimmt und der dafür respektiert wird, dass er ehrlich und authentisch komponiert. Niemand kann leugnen, dass ich mich und mein ganzes Leben seit 15 Jahren mit Feuereifer in die Welt der Musik werfe und alles gebe, um in dieser Welt zu reüssieren und mich selbst so ehrlich und authentisch wie möglich zu präsentieren. Seit ich einen Plattenvertrag habe, gibt es rund alle zwei Jahre eine neue Platte von mir und ich habe mich nie eingebremst. Manchmal habe ich das Gefühl, dass mein Weg und all die Umstände auf diesem Weg ein bisschen wegignoriert werden und man mich immer noch unterschätzt, weil ich in einer Casting-Show gewonnen habe. Aber selbst, wenn ich diese Anerkennung von außen nicht erhalte, wird mich das auf meinem Weg nicht stoppen.
Live in Wien
Bis zum Wien-Konzert von James Arthur mit „Pisces“ dauert es zwar noch ein bisschen, aber man kann nie schnell genug sein. Am 12. Dezember wird er sein neues Album und all seine großen Hits in der Wiener Stadthalle zum Besten geben. Unter www.oeticket.com gibt es noch Karten und weiter Informationen zum Konzerthighlight.
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