Fünf Jahre nach ihrem Auftritt im Vorprogramm von Genesis machten Mike Rutherfords Mike + The Mechanics Dienstagabend im ausverkauften Wiener Gasometer Station. Neben zwei neuen Songs und einer ganzen Wagenladung an Top-Hits aus 40 Jahren Karriere dauert es aber, bis der Abend in Schwung kam. Am Ende waren aber alle glücklich.
Es ist nicht so, dass die 80er-Jahre-Kult-Popband Mike + The Mechanics regelmäßig auf Tour wäre, um die Fans mit ihren zahlreichen Kultklassikern zu erfreuen. Umso bitterer mutet es an, wenn man dann ausgerechnet vor einer der seltenen ausgedehnten Live-Rutschen ungeschickt ist und sich als Bandleader die Hüfte bricht. Wo andere Musiker im doch schon gesetzteren Alter von 74 Jahren aber verzweifeln und alles absagen würden, sah Gitarrist Mike Rutherford eine Chance, sich unter adaptierten Umständen auf die Reise zu machen. Die mit rund 1500 Fans auf Sitzplätzen aufgeteilte, restlos ausverkaufte Show Dienstagabend im Wiener Gasometer gehört bereits zum Finish der Anfang März in Großbritannien gestarteten Hit-Beschau, weshalb der im hellblauen Anzug gewohnt galant auftretende Bandboss sich nur noch selten anlehnen muss. Ganz im Gegenteil - beim Cover des Genesis-Top-Hits „I Can Dance“ wagt er sogar den via Phil Collins bekannt gewordenen mechanischen Schritttanz – da stockte so manchem Fan kurz der Atem.
Anfängliche Hüftsteifheit
Ob es an der bereits viele Wochen andauernden Tour samt einstellender Routine liegt oder schlichtweg an der Tagesverfassung – das All-Star-Ensemble aus England braucht an diesem Abend ziemlich lange, um richtig in Fahrt zu kommen. An den Songs liegt das freilich nicht. Nach dem einleitenden „A Beggar On A Beach Of Gold“ folgen mit „Another Cup Of Coffee“ und „Get Up“ schon früh die ersten Hits der prestigeträchtigen „Living Years“-Tournee. Mit „Song For You Song For Me“ und „East And West Of The Sun“ probieren sich die Klangmechaniker dazwischen auch an ein paar neuen Songs, die auf ein weiteres Studioalbum hoffen lassen. Das letzte datiert immerhin auch schon aus 2019 und das ist ein halbes Dutzend Jahre her. Während sich die sechsköpfige Band langsam warmspielt, fehlt es leider an Interaktion. Rutherfords Hüftsteifheit ist erklärbar, aber auch Stimmwunder Andrew Roachford ist besser am Mikro als am Keyboard aufgehoben, wo seine zappelige und mitreißende Attitüde viel zu wenig zur Geltung kommt.
Die lässige Nonchalance des irischen Rhythmusgitarristen Anthony Drennan hingegen erinnert zuweilen fast schon an Arbeitsverweigerung. Beim Top-Hit „The Living Years“ verpasst er sogar seinen Einsatz, weil er sich von der Bühne entfernt und erst im Laufe des Songs wieder ans Stromruder zurückkehrt. Für ein kurzes Jubeln sorgt in der zähflüssigen ersten Konzerthälfte nur eine lustvolle Performance beim Genesis-Klassiker „Land Of Confusion“, dessen Video dem einstigen US-Präsidenten Ronald Reagan auf den Leib geschrieben wurde. „Jetzt haben wir quasi dasselbe im Weißen Haus sitzen“, erläutert Rutherford, ohne Donald Trump beim Namen zu nennen. Auf politische Botschaften verzichtet man abseits der Songs aber bewusst – die Nostalgiebeschau soll schließlich ein wohlig-warmes Gefühl heraufbeschwören und nicht noch einen weiteren Keil in die Gesellschaft treiben.
Notwendige Wiederauferstehung
Historie und auch Magie von Mike + The Mechanics sind etwas ganz Besonderes. Rutherford hat die Band einst 1985 während eines temporären Genesis-Aus gegründet, um einerseits musikalisch beschäftigt zu bleiben und andererseits auch etwas außerhalb der gängigen Bandnormen zu experimentieren. Mit den Sängern Paul Carrack und Paul Young und einem ausgefeilten Songwriting wurde die Spielwiese plötzlich selbst zur Hit-Band. Zwar nicht in den aufgedunsenen Stadion-Dimensionen, wie man sie von Genesis kennt, aber durchaus Arenen-füllend. Youngs Tod bremste die Band 2000 aus, vier Jahre später hatte auch Carrack keine Lust mehr. Die Wiederauferstehung gab es 2010 mit zwei neuen Sängern, die sich ihre Parts live so brüderlich teilen wie die zwei Originale. Andrew Roachford ist für die souligeren und intimen Momente zuständig, der mit einer üppigen Musical-Stimme ausgestattete Kanadier Tim Howar sorgt für die offensiven Mitklatschmomente und ist mit seiner unstoppbaren Energie auch der andauernde Fan-Motivator.
Die Bestuhlung im Gasometer und das respektierende, aber auch sehr zurückhaltende Publikum machen es der Combo jedenfalls nicht leicht, richtig in die Spur zu finden. Das mit einem Roachford-Keyboard-Solo ausgebaute „Silent Running“ ist ein erstes Highlight und auch der Akustik-Block mit herzerfrischend puren Versionen von „Invisible Touch“, „Everybody Gets A Second Chance“ und „Follow You Follow Me“, allesamt Klassiker aus Rutherfords magischer Songwriting-Feder, bringen die Energie auf, auf die alle Anwesenden (viel zu) lange gewartet haben. Dann geht es dafür Schlag auf Schlag. „The Living Years“ wird mit tosendem Jubel quittiert, „I Can’t Dance“ erweist sich als eruptiver Rock-Moment, bei Roachfords „Cuddly Toy“ driftet der Sänger in klerikale Gospel-Gefilde ab und „All I Need Is A Miracle“ reißt dann auch endlich die reservierten Wiener von den gut aufgewärmten Holzsitzen.
Niemand bleibt emotionslos
Dazwischen bleibt in der gut zweistündigen Show genug Raum für allerlei Traditionelles wie eine ausufernde und humoristisch verstärkte Bandmitgliedervorstellung, Solo-Einlagen sämtlicher Mitglieder und dem unvermeidlichen Tanzstadl-Gassenhauer „Word Of Mouth“, bei dem am Ende doch noch all die Dämme brechen, die mehr als eine Stunde lang ziemlich unberührt als unsichtbarer Schutzwall zwischen Band und Publikum aufgebaut schienen. Mike + The Mechanics haben auf ihrer Legenden-Tournee wahrscheinlich schon feurigere Abende erwischt, doch die 40-jährige Rückschau auf unsterbliche Pop-Klassiker hinterlässt auch im schaumgebremsten Zustand niemanden emotionslos. Besonderes Highlight am Rande: Am Schlagzeug überzeugte wieder Nic Collins, Sohn des großen Phil, der zuletzt 2019 im Wiener Happel-Stadion ans Schlagzeug durfte. Damals übrigens bei Genesis mit dem gebrechlichen Vater am Mikrofon. Als Support-Act mit dabei: Mike + The Mechanics. So schließt sich also der Kreis und hinterlässt am Ende zufriedene Gesichter auf allen Ebenen.
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