Im Jahr 2024 hat die Antisemitismus-Meldestelle der Israelitischen Kultusgemeinde Wien (IKG) mit 1520 Meldungen erneut einen Anstieg antisemitischer Vorfälle um 32,5 Prozent gegenüber dem Rekordjahr 2023 verzeichnet. Politiker fordern nun eine Überarbeitung des Nationalen Aktionsplans gegen Antisemitismus.
Laut dem am Mittwoch veröffentlichten Jahresbericht wurden im Vorjahr 1.520 antisemitische Vorfälle in Österreich registriert. Gegenüber 2023, das bisher das Rekordjahr markierte (1147 Meldungen), bedeutet das eine Zunahme um 32,5 Prozent.
Betrachtet man den ideologischen Hintergrund der Angriffe, so waren 30,8 Prozent (468 Fälle) nicht zuordenbar. 29,8 Prozent (453 Fälle) hatten einen muslimischen Hintergrund, 24,7 Prozent (376) einen linken und 14,7 Prozent (223) einen rechten Hintergrund.
Deutsch: „Krebsgeschwür Antisemitismus“
Nach dem Massaker der Hamas am 7. Oktober 2023 in Israel sei eine „regelrechte Welle an Antisemitismus hereingebrochen“, sagte IKG-Präsident Oskar Deutsch bei der Vorstellung des Berichtes. Es sei eine „neue Realität“, die aus „Sorgen und Angst, Polizeipräsenz und massiven Sicherheitsbedenken besteht“. Zu den 1520 Meldungen im Jahr 2024 sagte der Präsident, er wolle nicht wissen, welche antisemitischen Vorfälle nicht gemeldet wurden – „da ist noch eine sehr viel höhere Zahl sicher“.
Es ist unser aller Aufgabe, gegen dieses Krebsgeschwür Antisemitismus anzukämpfen. Es geht nicht um die Zahlen, es geht um die Menschen.
IKG-Präsident Oskar Deutsch
Bild: APA/GEORG HOCHMUTH
„Es ist unser aller Aufgabe, gegen dieses Krebsgeschwür Antisemitismus anzukämpfen. Es geht nicht um die Zahlen, es geht um die Menschen“, sagte Deutsch. Als Beispiel brachte er etwa Kinder, die aufgrund ihrer Kleidung als Juden erkannt und von Jugendlichen körperlich attackiert wurden – oder Attacken auf einen Vater mit zwei Kindern nach dem Verlassen der Synagoge in Wien nach dem Abendgebet. Auch berichtete Deutsch von einem Kind, das wegen Anpöbelungen am Schulweg nicht mehr in die Schule gehen will. „Wir werden uns nie daran gewöhnen“, sagte er zu derartigen Vorfällen.
IKG-Präsident sieht alle Seiten gefordert
Den Opfern sei es „völlig egal, ob der Angreifer ein Nazi oder ein Islamist ist. Ob das mehr von der einen oder der anderen Seite kommt, ist völlig egal“, sah Präsident Deutsch alle Seiten gefordert, gegen derartige Vorfälle vorzugehen. Er gehe nicht mehr davon aus, dass man Antisemitismus komplett beseitigen könne, sagte er. „Aber wir müssen ihn auf ein bisschen erträgliches Maß reduzieren.“
Jüdisches Leben werde aber nicht aus der Öffentlichkeit verschwinden, „im Gegenteil“, gab sich Deutsch kämpferisch. Es sei die Aufgabe, „gerade in einer herausfordernden Zeit, noch mehr Präsenz zu zeigen“. „Wir werden uns nicht von Antisemiten, egal von welcher Seite, unser jüdisches Leben in Wien bzw. in Österreich irgendwie vergraulen lassen. Wir sind Österreicher, wir leben gerne hier, wir wollen auch voll unser jüdisches Leben hier ausleben.“ Die Schulen und Synagogen müssten gesichert werden, das koste auch viel Geld, betonte er, seitens der Exekutive würden an Orten, wo es viele Gemeindemitglieder gibt, vermehrt Streifendienst gefahren. „Wir lassen uns von niemandem einschüchtern.“
Regierung kündigt Maßnahmenplan an
IKG-Generalsekretär Benjamin Nägele sagte, erschreckend sei vor allem die „Verrohung“ und die physischen Übergriffe, „die immer mehr werden“ – und aus dem Kontext, „dass Täter und Täterinnen immer jünger werden und dass die Opfer immer jünger werden.
Der für den Kampf gegen Antisemitismus zuständige Staatssekretär im Bundeskanzleramt, Alexander Pröll (ÖVP), kündigte angesichts aktueller Zahlen einen neuen Maßnahmenplan an. Pröll sprach in einem Statement von einem „dringenden Weckruf“ und bezeichnete besonders den Anstieg antisemitischer Vorfälle im Zusammenhang mit Israel als „alarmierend“.
Es sei „inakzeptabel, dass sich immer mehr Menschen durch die Politik Israels zu Antisemitismus legitimiert fühlen“, betonte Pröll, und kündigte einen neuen Maßnahmenplan an. Die Position der Bundesregierung sei klar: „Die jüdischen Gemeinden haben in uns einen verlässlichen Partner“, so Pröll.
Ich erwarte mir an dieser Stelle nicht nur ein klares Bekenntnis von allen Parteien, sondern auch ein Bekenntnis von den Musliminnen und Muslimen, von den Glaubensgemeinschaften, von linken und rechten Vereinen und Organisationen, dass Antisemitismus in diesem Land keinen Platz hat.
Integrationsministerin Claudia Plakolm (ÖVP)
Bild: SEPA Media
Muslimischer Antisemitismus nun häufigste Form
Integrationsministerin Claudia Plakolm (ÖVP) hob hervor, dass muslimischer Antisemitismus den rechten Antisemitismus überholt habe – dieser stelle inzwischen mit 30 Prozent die häufigste Form dar. Sie fordert klare Bekenntnisse von allen Parteien und Musliminnen und Muslimen, von Glaubensgemeinschaften, von linken und rechten Vereinen sowie entsprechenden Organisationen, dass Antisemitismus in diesem Land „keinen Platz“ habe. Sie erwarte sich auch „entsprechende Taten“.
Die SPÖ-Sprecherin für Erinnerungskultur, Sabine Schatz, zeigte sich angesichts der Zahlen „tief betroffen“ und sehe darin einen „klaren Handlungsauftrag“. Sie sprach sich für verstärkte Maßnahmen zum Schutz jüdischer Einrichtungen sowie für die Weiterentwicklung der Nationalen Strategie gegen Antisemitismus aus.
Der Grüne Rechtsextremismus-Sprecher Lukas Hammer forderte ebenfalls, den Nationalen Aktionsplan gegen Antisemitismus umfassend zu novellieren und gezielt Maßnahmen in Bildung, Prävention und Deradikalisierung zu setzen, da antisemitische Einstellungen „alle gesellschaftlichen Bereiche“ beträfen.
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