Graffitiforscher:

„Es war ein Gemetzel auf den Wiener Wahlplakaten“

Wien
24.04.2025 08:00

In Wien tobt der Wahlkampf – doch nicht nur zwischen den Parteien. Auf den Straßen hat sich eine Parallelwelt etabliert, in der Filzstifte, Spraydosen und Sticker das Wort führen. Plus: Was ein Experte zu den Wahlplakaten der Parteien sagt. 

Kaum waren die ersten Wahlplakate der FPÖ und des Teams HC Strache geklebt, begann das absurde Schauspiel: abreißen, übermalen, bekleben – und das im Rekordtempo. „Ein regelrechtes Gemetzel“, nennt es Graffitiforscher Norbert Siegl, der seit Jahren die kreative Seite der politischen Auseinandersetzung dokumentiert. Laut Siegl war die Zerstörungswut heuer besonders früh und heftig. Kaum eine Woche nach Beginn des Intensivwahlkampfs hingen viele FPÖ-Plakate nur noch in Fetzen oder waren kaum wiederzuerkennen.

Alle Parteien hatten Schaden
Doch nicht nur blaue Wahlwerbung geriet ins Visier der selbsternannten Plakatkünstler. Auch die Volkspartei bekam ihr Fett weg – bevorzugt in Form von Hakenkreuzen, Hitlerbärtchen oder bissigen Kommentaren zu Slogans. Der Spruch „Wien darf nicht Döbling werden“ mutierte rasch zum Sinnbild für die Kreativität der Kritiker.

Grüne (Bild: Institut für Graffitiforschung)
Grüne
SPÖ (Bild: Institut für Graffitiforschung)
SPÖ
FPÖ (Bild: Institut für Graffitiforschung)
FPÖ
ÖVP (Bild: Institut für Graffitiforschung)
ÖVP
Neos (Bild: Institut für Graffitiforschung)
Neos

Zwischen Schmäh und Satire
Die Bandbreite der Eingriffe reicht von plumpen Beschimpfungen bis zu fast schon kunstvollen Parodien. Besonders ein Aktivist in Meidling sorgte für Aufsehen, indem er Strache-Plakate mit maßgeschneiderten Satirebildern überklebte – passgenau und mit feinem Gespür für Provokation.
Die SPÖ blieb zwar weitgehend verschont, doch auch Bürgermeister Ludwig musste sich Spitznamen gefallen lassen. Ein findiger Gegner verteilte gar handgeschriebene Etiketten mit wenig schmeichelhaften Kommentaren rund ums Rathaus.

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Was viele als Schmiererei abtun, ist oft nichts anderes als der Stift des kleinen Mannes – direkt auf dem Wahlplakat.

(Bild: Norbert Siegl)

Graffitiforscher Norbert Siegl

Politik zum Mitmachen – illegal, aber pointiert
Was wie Vandalismus aussieht, ist für Siegl mehr als bloße Sachbeschädigung. Er spricht von „alternativer Geschichtsschreibung“ und einer „Form der Partizipation“. Denn ob es nun um Neutralität, den Ukraine-Krieg oder Pensionsfragen geht – auf Wiens Plakatflächen wird nicht nur Werbung gemacht, sondern auch diskutiert. Mal subtil, mal derb.

Selbst die Grünen blieben nicht ganz verschont, obwohl deren Plakate seltener Ziel von Eingriffen wurden. Auffällig: Das Hitlerbärtchen macht vor keiner Parteifarbe halt. Bei den NEOS hingegen blieb es meist bei vereinzelten Kommentaren zu Themen wie Neoliberalismus oder dem Parteigründer Haselsteiner. Sogar die KPÖ und Links fanden sich in diesem Straßenwahlkampf wieder – teils als Zielscheibe, teils als heimliche Profiteure, indem deren Anhänger fremde Plakate für eigene Botschaften „zweckentfremdeten“.

Kein Kavaliersdelikt
Sicher ist: Ein Plakat zu beschmieren, fällt unter Sachbeschädigung. Es drohen hohe Geld- oder eine Haftstrafe von bis zu zwei Jahren. Eine Freiheitsstrafe von bis zu drei Jahren ist darüber hinaus möglich, wenn die Täter verfassungswidrige Symbole – wie etwa ein Hakenkreuz – auf die Plakate malen. 

Licht und Schatten
Doch wie kommen die Plakate bei den Experten an?

Werbeexperte Rainer Reichl von der Werbeagentur Reichl und Partner hat die Wahlplakate für die „Krone“ ebenfalls nach mehreren Gesichtspunkten analysiert: Aufmerksamkeit, Interesse, Sympathie, Kompetenz, Ansprechen der Bedürfnisse und Aktivierungspotenzial.

Am meisten gelungen sei die Kampagne von Ludwig, er kommuniziere glaubwürdig. Jene der FPÖ sei zielgruppengerecht und am ehesten fähig, die eigene Wählerschaft zu mobilisieren.

Werbeexperte Rainer Reichl (Bild: ReichlundPartner)
Werbeexperte Rainer Reichl

Weniger lobende Worte findet Reichl für die Plakate der ÖVP. „,Mutter, der Mann mit dem Koks ist bald nicht mehr da‘? Einfach peinlich und Geldvernichtung.“ Die Grünen seien zu unverständlich. „,Mutig ist Wien am schönsten.‘ Das holt niemanden ab.“ Und die NEOS? Mit Headlines wie ,Politik für kleine Leute‘ und ,Wien ist Vielfalt, nicht Einfalt‘ würden sie SPÖ und ÖVP attackieren. Reichl: „Ob das für eine kleine Partei klug ist, weiß ich nicht.“

Einen Überblick über Verschandelungen im aktuellen und vergangenen Wahlkämpfen gibt es auf der Homepage der Graffitiforschung.

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