Am Sonntag wählt Wien. Es ist das (vorläufige) Ende der Punschkrapfen-Koalition. Die beiden Klubobleute Josef Taucher (SPÖ) und Selma Arapović (NEOS) ziehen Bilanz. Was ist gut gelaufen? Welches Ressort ist das größte Sorgenkind? Und welche Bilanz ziehen die Oppositionsparteien?
Die eine Partei regiert Wien seit Jahrzehnten, die andere trat an, um Politik neu zu denken. Was vor viereinhalb Jahren als Arbeitsgemeinschaft begann, endet nun als Zweckbündnis mit Lerneffekt. SPÖ-Klubobmann Josef Taucher und NEOS-Klubobfrau Selma Arapović präsentieren im Schulterschluss eine erfolgreiche Bilanz – zumindest auf dem Papier. Doch hinter den Zahlen verstecken sich auch Baustellen, die sich nicht so einfach weglächeln lassen.
Großteil der Projekte abgearbeitet
„97 Prozent unserer Projekte sind umgesetzt oder in Arbeit“, betont Taucher mehrfach. Arapović ergänzt stolz: „Wir haben von Anfang an Transparenz gelebt. Der Regierungsmonitor war unser Versprechen an die Bürger, dass wir uns auf die Finger schauen lassen.“ 800 Projekte standen am Beginn der Koalition – mitten in der Pandemie, als Maskenpflicht und Unsicherheit den politischen Alltag bestimmten. Und noch etwas: „Am Anfang war es eine reine Arbeitskoalition, wir haben ideologisch gefremdelt“, gibt Taucher offen zu.
Mit den NEOS erreichen wir lieber 92 Prozent, als auf 100 Prozent zu pochen und am Ende nichts umzusetzen.
SPÖ-Klubobmann Josef Taucher
Bild: Eva Manhart
Heute verweist die Koalition auf Transparenz, Pragmatismus und Effizienz. Tatsächlich wurden zentrale Initiativen auf den Weg gebracht: von der Jugendarbeitsstiftung über Pflegeoffensiven bis hin zu Schulgesundheitsdiensten („School Nurses“) und dem massiven Ausbau von Photovoltaikanlagen.
Politisches Lernen – vom Gegner zum Partner
Doch die politische Realität ist kein Geschäftsbericht. Während die Koalition von Erfolgen in Bildung, Gesundheit und Arbeitsmarkt spricht, gelten diese Felder in der öffentlichen Wahrnehmung als Wiener Problemzonen. Rekordarbeitslosigkeit bei Jugendlichen, akute Bildungskrise, Pflege- und Ärztemangel – die Diskrepanz zwischen geleisteter Arbeit und öffentlicher Wahrnehmung bleibt der wunde Punkt dieser Bilanz.
Arapović verweist darauf, dass viele Maßnahmen Zeit brauchen, um ihre volle Wirkung zu entfalten. „Wir haben 5000 Pflegekräfte ausgebildet, 16.000 weitere sind in der Pipeline“, so Taucher. Beide sehen den Fokus auf Lösungsorientierung als Stärke der Koalition: „Wir gehen Probleme an.“
Seitenhieb gegen grüne Ex-Partner
Dass ausgerechnet regelmäßige Sitzungen das Fundament der Koalition bildeten, wirkt fast banal. „Ich habe mir anfangs gedacht, das kostet nur Zeit“, gibt Taucher zu. „Aber dieses wöchentliche Abstimmen hat Vertrauen geschaffen. Wir haben so gelernt, einander zu vertrauen.“ Arapović beschreibt den Wandel: „Wir NEOS sind durch diese Legislaturperiode reifer geworden. Wir haben gelernt, was Verantwortung wirklich bedeutet.“
Auch Taucher räumt ein, dass die SPÖ moderne Strukturen übernommen habe, „weil die NEOS das eingefordert haben“. Das sei unter den Grünen nicht möglich gewesen. Was zuvor mit den Grünen oft im Streit geendet habe, wurde mit den NEOS zu einer Frage der Effizienz. „Mit den NEOS erreichen wir lieber 92 Prozent, als mit den Grünen auf 100 Prozent zu bestehen und am Ende nichts umzusetzen“, sagt Taucher mit einem Seitenhieb Richtung Ex-Partner.
Wir haben gezeigt, dass Politik auch ohne ideologische Grabenkämpfe funktionieren kann.
NEOS-Klubobfrau Selma Arapović
Bild: Eva Manhart
Wann war die Stimmung am Tiefpunkt?
Tiefpunkte? „Die gab es nicht“, versichern beide Klubobleute beinahe zu schnell. Selbst der Koalitionsausschuss, sonst das Eskalationsgremium, diente „nur dazu, gemeinsam Essen zu gehen“. Kritische Themen wie das UNESCO-Weltkulturerbe oder die Wiener Energie-Diskussion seien stets sachlich gelöst worden.
Blick nach vorne – mit einigen Vorbehalten
Pläne für eine Neuauflage der Koalition gibt es offiziell nicht. „Wir müssen stark genug sein, damit sich eine Zweierkoalition ausgeht“, sagt Taucher. Eine Zusammenarbeit mit der FPÖ schließen beide kategorisch aus. Arapović betont: „Wir glauben, dass wir weiterhin einen ehrlichen Beitrag leisten können.“
Doch auch in Zukunft warten ungelöste Probleme: Ein Gesundheitssektor am Limit, Integrations- und Bildungsthemen, die längst chronisch sind, sowie finanzielle Herausforderungen. „Der Sozialbereich ist das Rückgrat der Stadt. Wenn der wackelt, wackelt Wien“, mahnt Taucher.
Dominik Nepp: „Es hat sich ein unfaires System etabliert“
Das sagt FPÖ-Chef Dominik Nepp zu fünf Jahren SPÖ – NEOS: „In Wien hat sich in Wien ein unfaires System etabliert. Ludwig verschenkt pro Jahr 700 Millionen Euro Mindestsicherung an Nicht-Österreicher, die nicht arbeiten und sich nicht integrieren wollen. Außerdem hat Ludwig mit Gebühren-, Mieterhöhungen und einer Verdoppelung der Fernwärmepreise das Leben massiv verteuert. Die NEOS haben das Bildungssystem heruntergewirtschaftet und bei der Integration versagt. Auch das Gesundheitssystem wird von Rot-Pink in den Abgrund geführt. Die NEOS haben auch bei der Transparenz versagt: Beispielsweise wurden der SPÖ-Kleingartenskandal und der Wien Energie Milliardenskandal zugedeckt.“
Judith Pühringer: „Wien ist wie ein Auto-Patschen – langsam geht Luft aus“
Grünen-Chefin Judith Pühringer: „Die Stadtregierung war viel, aber selten mutig. Mut für Visionen und zukunftsweisende Ideen fehlte. Wo sind die Projekte, die das Leben der Menschen in Wien spürbar besser gemacht haben? Da ist nicht viel, denn da war nicht viel. Die Stadt fühlt sich heute an wie ein schleichender Auto-Patschen: Langsam und stetig geht die Luft aus. Bei der Bildung ist unter den Neun an Schulen vieles schlechter geworden und Kinder haben weniger Zukunftschancen als vor fünf Jahren. Wohnen wird teurer, weil Rot-Pink zu wenig leistbare Wohnungen ermöglicht hat und nichts gegen den Leerstand unternimmt. Das Gesundheitssystem kracht und die Hitzesommer werden schlimmer.“
Karl Mahrer: „Bilanz vor allem in Bereichen der Neos verheerend“
Das sagt ÖVP-Chef Karl Mahrer: „Die Bilanz der Regierung ist vor allem in den Bereichen der NEOS verheerend: Im Bildungsbereich wurden den Kindern die Flügel gestutzt. Wenn die Hälfte der Erstklässler zu Schulbeginn den Lehrer nicht versteht, ist NEOS als Bildungspartei gescheitert. Acht von zehn Kindern erreichen nach der Pflichtschule die Bildungsziele nicht – Wien hat daher die höchste Jugendarbeitslosigkeit Mitteleuropas. Auch im Integrationsbereich sind die notwendigen harten Schritte ausgeblieben – viel mehr als PR-Aktionen ist nicht passiert. Der Wien-Energie-Skandal war ein Transparenz-Versagen sondergleichen. Und schließlich steht auch die Gesundheitsversorgung heute viel schlechter da als vor fünf Jahren.“
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