Wiener Arena, Happel-Stadion, Nova Rock, Schloss Schönbrunn – 20 Jahre nach ihrer Bandgründung spielten Bilderbuch Donnerstagabend vor rund 10.000 Fans jetzt auch erstmals in der Wiener Stadthalle und schlossen damit einen Kreis. Während der zweistündigen Show haben sich die oberösterreichischen Trendsetter aber auch mehrmals überhoben.
Irgendwann nach einem guten Drittel des Sets bricht die Fassade von Frontmann Maurice Ernst kurz in sich zusammen. „Wow, das erste Mal Wiener Stadthalle“, gibt er fast flüsternd und einen kurzen Moment demütig zum Besten und wird sich dessen gewahr, was hier und jetzt gerade passiert. Zum 20-jährigen Bandjubiläum und zum zehnjährigen Jubiläum des Albums „Schick Schock“, das Bilderbuch zu Superstars machte und den österreichischen Pop (nicht Austropop) im Gleichschritt mit Wanda und Seiler und Speer nach vielen Jahren des trägen Darbens wieder auf die internationale Landkarte brachte, ist man jetzt erstmals in Österreichs größter Konzertveranstaltungshalle vorstellig. Das ist insofern kurios, als die beiden genannten Mitbewerber hier längst Stammgäste sind, auch später durchbrechende Acts wie Pizzera & Jaus, Edmund oder Josh. schon ihre Erfahrungen damit machten. Es gibt aber elementare Unterschiede zwischen all jenen und Bilderbuch – der größte ist wohl, dass Ernst und Co. künstlerisch am deutlichsten ausscheren und das Glück schon immer woanders suchten.
Der Heilige Pop-Vater
In Deutschland werden Bilderbuch zwischen Feuilleton und Boulevard wie Götter behandelt, eine kurze US-Tour im Vorprogramm des deutschen Elektronikers Roosevelt feierte die Band einst leidlich übertrieben mit einem in Sepia-Tönen gefärbten Kurz-Tourfilm ab, der in seiner offen zur Schau gestellten Arroganz auch Fragezeichen aufwarf. Das Spiel mit der Arroganz und das bewusste Kokettieren mit dem Hochtrabenden, Grenzüberschreitenden beherrscht die Band wie hierzulande keine zweite. Über den Wert und die Notwendigkeit des bewusst hochgepushten Gottkomplexes des Frontmanns und des exaltierten Posierens seiner Mitstreiter ist man sich schon seit einer Dekade nicht ganz einig. Wo die einen bei Ernst eine hemdsärmelig-österreichische Reinkarnation aus den nie gezeugten Kindern von Freddie Mercury und Prince sehen, schütteln andere nur den Kopf, weil sie die kruden Monologe nicht fassen können. In der Stadthalle überspielt er seine scheinbare Nervosität damit, dass er sich früh als Heiligen Vater bezeichnet und von seinen Jüngern ein „Amen“ einfordert.
Man muss kein eingetragenes Kirchenmitglied oder Vorsitzender des Fanclubs des soeben verstorbenen Papst Franziskus sein, um zu merken, dass er wieder einmal kräftig in der Dose des Protzens und sich Präsentierens geschnuppert hat. Die groß angekündigte Show ist dann vielleicht doch etwas weniger, als sich so mancher gedacht hätte. Die Bühne wird von einer opulenten, halbkreisförmigen Videowall umrundet, Feuerfontänen und Raketenabschüsse gibt’s zum Auftakt-Song „Softpower“ aber nur virtuell – das Budget für die leibhaftige Pyromanie wollte man im Bilderbuch-Camp wohl nicht dafür aufwenden. Im ICE-Tempo rasen die Oberösterreicher durch die ersten Songs. „Dino“, „Digitales Wunder“ oder „Gigolo“ hat man noch kaum verdaut, entledigt sich Maurice schon Krawatte und Hemd und posiert – natürlich mit Sonnenbrille – zur Freude vieler Fans oberkörperfrei.
Eine Vielzahl an Kritikpunkten
Gitarrist Michael Krammer trägt wie gewohnt Glitzerhose, silbernes Top und den gestrickten Kopfkübel, Drummer Philipp Scheibl lässt sich vom langsam aufkommenden Sommer nicht aus dem Tritt bringen und bearbeitet die Felle mit einer Pelzmütze, Bassist und Gründungsmitglied Peter Horazdovsky wiederum beweist ballesterischen Mut und trägt am Tag nach einer bitteren 0:3-Derbyklatsche im italienischen Cup-Semifinale das Dress von Inter Mailand. Ein bisschen kann man diese Wahl fast als Metapher für die Band heranziehen. Frei nach dem Motto „jetzt erst recht“, lässt man sich durch nichts aus dem Tritt bringen. Kritikpunkte beim Konzert gibt es zuhauf. Den Sound hat die Band viel zu laut bis zum Anschlag gedreht, dazu klingt er aus unterschiedlichen Winkeln der Halle verwaschen und unklar. Wo die Band anfangs zu schnell durch die Botanik, wildert, verzettelt man sich in einer etwa 20-minütigen Jam-Session-Version von „Aber Airbags“ zu sehr in der eigenen Instrumentalverliebtheit. Dazu verzichtet man auf bekannte Songs wie „Zwischen deiner und meiner Welt“ oder „Sandwishes“ zugunsten von „Kitsch“ und „Schwarzes Karma“, was für eine doppelte Jubiläums-Best-Of-Show etwas befremdlich anmutet.
Die schräge Herangehensweise hat aber auch die Historie Bilderbuchs geprägt. Kein Album gleicht dem anderen, man strampelte vom Sophisticated Pop über R&B und Hip-Hop hin zum gitarrenlastigen und grenzenlosen 70er- und 80er-Rock, der heute vorherrscht. Das Problem ist, dass Bilderbuch live in dieser Hinsicht weder Fisch noch Fleisch sind. Krammer soliert auf der Stromgitarre kundig und die Band versucht sich immer wieder in ein opulentes Proberaum-Feeling zu transferieren, aber für eine mitreißende Rockshow gibt es zu viel moderne Elektronik, für ein Festspiel der Popmusik braten die Gitarren dafür zu harsch und durchdringend. Zudem merkt man gerade im Direktvergleich mit „Maschin“ und in Abstrichen auch „Bungalow“, wie stark diese großen Hits im Gegensatz zum Rest des Œuvres hervorstechen. Auf der Videowall werden zu den Songs passende Sequenzen wie Almhütten, Autounfälle, Landschaften oder Überwachungsaufzeichnungen eingeflochten, während davor zwischen doppelhalsiger Gitarre und auf den Knien über die Bühne rutschen das volle Rockstar-Klischee aufgefahren wird.
Beige und etwas fahl
„Ich dachte immer, wir machen das Verrückteste“, erzählt Ernst im Set, „aber die Welt ist ja noch viel verrückter.“ In seiner grenzenlosen Selbstverliebtheit versteigt er sich dann zuweilen in krude Selbstgespräche, prangert seine Abneigung gegen beige Steine an, die er als legitime Nachfolger der Rechtsradikalen-Farbe braun sieht, setzt sich für mehr Körpergeruch, „den Duft von Wien“ ein, oder vergleicht den heutigen Auftritt mit einem Stadthallen-Konzert, das er einst selbst als Fan gesehen hat: „Heute sind wir Rihanna“. Das Leben vor Bilderbuch, das war „Kinderscheiß“. Am Ende gibt es mit dem psychedelischen „Auf und ab“ und „Checkpoint (Nie Game Over)“ noch zwei echte Highlights, bevor man im Zugabenblock nicht auf akkurat gespielte Songs setzt, sondern „Willkommen im Dschungel“ und das abschließende „Spliff“ ausdehnt wie Germteig. Mit der Stadthallenshow setzen Bilderbuch nun auch ein Hakerl in die letzte große Wiener Location, die ihnen fehlte. Vollinhaltlich zufrieden kann man nicht sein. Ob es daran liegt, dass der große Hype und das Momentum vorbei sind oder man sich schlichtweg im eigenen Kunstverständnis vergaloppiert hat – es bleibt trotz all der leidenschaftlichen Liebe zur Musik ein fahler Beigeschmack. Nämlich jener, dass sich Bilderbuch schon zu sehr auf den eigenen Kultstatus verlassen …
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