"Wen kümmert's?"
Merkels Handy überwacht: Washington bleibt cool
Die lockere Reaktion aus Washington ist nicht untypisch für die Haltung der USA zu den Abhörskandalen des Geheimdienstes NSA. Seitdem der Whistleblower Edward Snowden im Sommer die Lawine ins Rollen brachte, versuchen Präsident Barack Obama und die Regierung die Sache beharrlich herunterzuspielen.
Abstimmung in der Infobox: Sinkt durch die Merkel-Abhöraffäre das Ansehen der USA?
Aufregung in Deutschland – kurzes Statement aus den USA
Auch am Mittwoch ließ sich das Weiße Haus durch die Vorwürfe aus Berlin nicht durcheinanderbringen. Merkel höchstpersönlich rief beim US-Präsidenten an und beschwerte sich. Doch gerade mal ein gutes Dutzend Zeilen umfasst das Statement, mit dem die US-Regierung reagierte. Darin versichert Obama, dass die Vereinigten Staaten die Kommunikation von Kanzlerin Merkel nicht überwachen und nicht überwachen werden. Zeitgleich ging auch Obamas Sprecher Jay Carney vor die Presse: "Die Vereinigten Staaten überwachen die Kommunikation der Kanzlerin nicht und werden sie nicht überwachen."
Washington: "Darüber hinaus kann nichts mittgeteilt werden"
Kaum ein Zufall: Penibel abgestimmt, beinahe wortgleich sind die Formulierungen. Es geht jedoch nur um Gegenwart und Zukunft. "Das Statement spricht nicht an, ob diese Kommunikation in der Vergangenheit abgefangen wurde", schreibt die "New York Times". Was passierte wirklich in der Vergangenheit - hatten die US-Schnüffler Merkel im Visier? Auch auf ausdrückliches Nachfragen, was früher geschehen sei, hielt sich Washington bedeckt. Über das Gesagte hinaus könne man zu spezifischen Vorwürfen "nichts mitteilen", sagte eine Sprecherin des nationalen Sicherheitsrates.
Berlin: "Der neue Verdacht sprengt alle Dimensionen"
Den Deutschen reicht das allerdings nicht: Am Donnerstag wurde der US-Botschafter wegen der Handy-Affäre ins deutsche Außenamt zitiert, auch die Bundesanwaltschaft schaltete sich ein. Außerdem kommt das geheim tagende Parlamentarische Kontrollgremium zu einer Sondersitzung zusammen. Der Vorsitzende Thomas Oppermann erklärte, die NSA-Affäre sei nicht beendet. "Die Aufklärung steht erst am Anfang. Wer die Kanzlerin abhört, der hört auch die Bürger ab." Die Überwachungstätigkeit der NSA sei "völlig aus dem Ruder gelaufen" und befinde sich offenbar jenseits aller demokratischen Kontrolle.
Die deutsche Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger forderte am Donnerstag im Lichte der jüngsten Enthüllungen, das EU-USA-Abkommen zum Austausch von Bankdaten (Swift-Abkommen) auszusetzen. "Der neue Verdacht sprengt alle Dimensionen. Die NSA-Affäre ist nicht beendet", meinte auch Leutheusser-Schnarrenberger. Es sei absolut konsequent, dass das Europaparlament für eine Aussetzung des Swift-Abkommens gestimmt habe. "Rat und Kommission sind jetzt gefordert, zügig zu entscheiden."
Ausspähen und Abhören: Für die USA selbstverständlich
Die USA scheinen jedenfalls keinen besonderen Drang zu haben, die Deutschen und Europäer über all ihr Tun in Sachen Schnüffeln und Abhören aufzuklären. "Jedes Land, das sich international mit Fragen der nationalen Sicherheit befasst, unternimmt jede Menge Aktivitäten, um seine nationale Sicherheit zu schützen, und dazu gehört das Sammeln von allen möglichen Informationen", hatte Außenminister John Kerry bereits im Sommer erklärt. Im Klartext: Ausspähen und Abhören - das machen doch alle.
Auch Obama hatte sich im Sommer, kurz nachdem der Verdacht laut wurde, dass auch die Kommunikation von EU-Diplomaten überwacht wurde, eher lakonisch geäußert: Schließlich müssten Geheimdienste mehr rauskriegen, als man in der "New York Times" lesen könne.
Bei seinem Berlin-Besuch im Juni ging er noch einen Schritt weiter und begründete, warum die Geheimdienstler an Deutschland durchaus Interesse haben: Schließlich hätten einige der Attentäter vom 11. September 2011 zuvor zeitweise in Hamburg gelebt.
Liste der Verärgerten und Empörten wird immer länger
Doch in jüngster Zeit verstärkt sich der Druck auf die USA. Der französische Präsident Francois Hollande protestierte etwa lautstark, nachdem die Zeitung "Le Monde" massive Schnüffeleien ans Tageslicht brachte (siehe Infobox). Demnach habe die NSA allein in 30 Tagen in Frankreich über 70 Millionen Telefongespräche abgefangen.
Mexiko ist ebenfalls über US-Praktiken empört, Innenminister Miguel Angel Osorio Chong kündigte eine Untersuchung an. Was Washington bisher als Erklärungen vorgebracht habe, sei völlig inakzeptabel, ließ die Regierung in Mexiko Stadt wütend verlauten. Man werde den US-Botschafter nochmals zu Gesprächen vorladen. Der Vorwurf lautet, US-Geheimdienstler seien vor drei Jahren in die Mail-Konten des damaligen Präsidenten Felipe Calderon eingedrungen.
Einen echten diplomatischen Affront gegen Washington erlaubte sich Brasilien. Präsidentin Dilma Rousseff sagte aus Ärger über die Abhörprogramme einen für Oktober geplanten Staatsbesuch ab, der in Washington als äußerst wichtig angesehen wurde. Grund der Verschiebung: Mangelnde Aufklärung über die angebliche Ausspionierung von E-Mails und Telefonaten der Präsidentin.
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