"Krone": Welche Bedeutung hat der Name Gurlitt in der Branche?
Klaus Albrecht Schröder: Hildebrand Gurlitt kennt man in der Szene. Er galt bei den Nationalsozialisten als "jüdisch versippt", war in den 1930er-Jahren einer der wichtigsten Kunstexperten Deutschlands. Zunächst setzten ihn die Nazis als Direktor des Hamburger Kunstvereins zwar ab, doch dann nutzten sie sein Wissen und ließen ihn für sich arbeiten.
"Krone": Doch anstatt mit der Kunst zu handeln, behielt sie Gurlitt für sich?
Schröder: Zumindest jenen Teil, von dem er vorgab, er sei bei der Bombardierung Dresdens im Februar 1945 zerstört worden. Diese Begründung klang plausibel und wurde erst jetzt durch den Fund als glatte Lüge enttarnt. Wenn es sich wirklich um 1.406 von den Nazis als "entartet" eingestufte Werke handelt, ist das ein noch nie da gewesener Fund. Es ist so, als würde man das Bernsteinzimmer entdecken oder herausfinden, dass diverse Nazi-Reichtümer nicht zerstört, sondern von den Russen in Sicherheit gebracht worden sind.
"Krone": Von den 1.406 entdeckten Werken sind noch nicht alle identifiziert. Könnten auch Stücke aus Österreich dabei sein?
Schröder: Zum einen natürlich jene von Oskar Kokoschka. Die Nazis bezeichneten ihn ja als den "entartetsten" Künstler schlechthin. 500 Schöpfungen von ihm sind betroffen. Was damit zusammenhängt, dass er und Adolf Hitler gleichzeitig die Aufnahmeprüfung an der Akademie der bildenden Künste in Wien gemacht hatten und Hitler abgelehnt und Kokoschka aufgenommen wurde. Darüber hinaus sind hierzulande große jüdische Familien – z. B. die Rothschilds, Bloch-Bauers, Epsteins – enteignet worden.
"Krone": Warum versuchten die deutschen Behörden diesen brisanten Ermittlungsfall vor der Öffentlichkeit geheim zu halten?
Schröder: Das ist mir selber schleierhaft. In Österreich gibt es das Restitutionsgesetz, das heißt, dass die im Nationalsozialismus enteigneten Vermögenswerte an die rechtmäßigen Besitzer zurückgegeben werden müssen. Aber in Deutschland beruft man sich auf die Washingtoner Erklärung von 1998, die ebenfalls besagt, eine "gerechte und faire Lösung" in einem Fall wie diesen zu finden. Und jetzt hätten wir die Chance, noch Überlebende zu finden. Deshalb kann ich es einfach nicht verstehen, warum nicht so schnell wie möglich reagiert wurde. Was bedeutet es, wenn jemand just in diesen zwei Jahren verstorben ist?
"Krone": Jahrzehntelang lagerten die Exemplare zwischen Gerümpel und uralten Konservendosen in einer völlig verdreckten 87-Quadratmeter-Wohnung. Nimmt eine Gouache von Franz Marc
oder eine Zeichnung von Picasso unter diesen Umständen nicht
erheblichen Schaden?
Schröder: Nein. Bei einem Kunstwerk ist es egal, ob es in einem Messie-Haushalt hängt oder in einem Schloss. Trotzdem ist die Art und Weise, wie der 80-jährige Gurlitt mit seinen Gemälden umging, für unser Empfinden verständlicherweise ungewöhnlich. Wenigstens sind die Werke, soweit man weiß, nicht beschädigt.
"Krone": Die weltberühmten Albertina-Kostbarkeiten werden in einem Spezialspeicher in der Tiefe gehortet. Wenn es wirklich egal ist, wo ein Meisterwerk aufbewahrt wird, warum dann diese Umstände?
Schröder: Mein Ziel ist es, unseren Bestand so zu pflegen, dass er auch die nächsten ein-, zweitausend Jahre überlebt. Doch das ist nicht das Bestreben eines Privatbesitzers. Der will sein Eigen betrachten und nicht bei 50 Prozent Luftfeuchtigkeit in einem extra dunklen Raum lagern – so, wie ich das tue.
"Krone": Hätte Gurlitt dem Staat nicht von seinem schier unglaublichen Besitz Bescheid geben müssen?
Schröder: Fakt ist: Kein Mensch muss verraten, was bei ihm zu Hause herumsteht. Klar fragt man sich: Hätte der Pensionist seinen Besitz aus rechtlicher Sicht melden müssen? Möglicherweise nicht einmal das. Er hat ihn ja geerbt. Das heißt nicht, dass er nicht ganz genau gewusst haben kann, dass er etwas Heikles verschweigt.
"Krone": Für die meisten ist es ohnehin unbegreiflich, wie es dieser Mann schaffen konnte, unendeckt immer wieder ein paar seiner
Stücke zu veräußern. Schlagen Auktionshäuser und Kunsthändler nicht sofort Alarm, wenn ihnen scheinbar verschollene Stücke
von Kokoschka, Nolde, Klee oder Dürer unterkommen?
Schröder: Cornelius Gurlitt hat eindeutig vermieden, auf transparentem Weg mit den Werken zu handeln. Das heißt, sie sind nie offiziell in einem Auktionskatalog aufgetaucht oder wurden in einer Galerie oder auf Messen ausgestellt. Vermutlich ging alles über einen diskreten Vermittler.
"Krone": Wie laufen solche Deals ab?
Schröder: Es gibt Vermittler, die für ihre Kunden die Geschäfte abwickeln. Der Käufer des potenziellen Kunstwerks erfährt nicht, wer der Vorbesitzer war. Außerdem muss er garantieren, dass er das Erworbene nicht sichtbar präsentiert, es niemandem zeigt.
"Krone": Wird bar gezahlt, per Treuhandkonto oder via Überweisung?
Schröder: Das ist unterschiedlich. Fest steht: Diese sogenannten "private sales" machen mittlerweile rund ein Drittel des gesamten Kunstmarktes aus.
"Krone": Kunsthandel im Verborgenen – das riecht für einen Laien nach dunklen Machenschaften. Sind nicht einige Kriminelle unter den Akteuren?
Schröder: In den schlimmsten Fällen handelt es sich um räuberische Beute, Geldwäsche, oder einer der Beteiligten will Steuern hinterziehen. Doch das Hauptmotiv für "privates sales" ist die Tatsache, dass vermögende Personen nicht wollen, dass ihre Ver- oder Einkäufe publik werden. Beispiel: Verkauft jemand ein wertvolles Gemälde, gibt es sofort Gerüchte, derjenige könnte pleite sein.
"Krone": Warum könnte Cornelius Gurlitt ungeschoren davonkommen?
Schröder: Privateigentümer sind von der Washingtoner Erklärung explizit ausgenommen. Eigentumsdelikte gelten als verjährt.
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