Entsetzen in China
Frau 4 Mal überfahren – Passanten schauten nur zu
Die im Staatsfernsehen ausgestrahlten Aufnahmen zeigen mehrere Passanten auf beiden Seiten der viel befahrenen Straße. Einige Fußgänger bleiben stehen, eine Person deutet sogar mit dem Arm in Richtung der Frau auf der Straße. "Aber niemand greift ein", klagte der Fernsehmoderator, während die Bilder am Montag und Dienstag im landesweiten Fernsehen ausgestrahlt werden. Der Unfall ereignete sich demnach bereits Ende November, die Polizei habe aber erst jetzt die Bilder der Überwachungskamera veröffentlicht.
"Besser jemanden zu überfahren, als schwer zu verletzen"
Der Pekinger Historiker und Kommentator Zhang Lifan kritisiert: "Heutzutage trauen sich viele Menschen nicht mehr zu helfen." Das schlimme Schicksal der Frau aus Suzhou sei kein Einzelfall. "Manche Leute meinen sogar, dass es besser ist, einen Menschen zu überfahren, als schwer zu verletzen", sagte er. Denn für einen Toten müsse nur einmal eine Entschädigung gezahlt werden, während für einen Schwerverletzten über Jahre hohe Behandlungskosten anfallen könnten. In China gibt es keine Haftpflichtversicherung.
Ähnlicher Fall einer Zweijährigen schockierte die ganze Welt
Vor rund zwei Jahren hatte ein ähnlicher Fall für Aufsehen gesorgt. Damals war ein zweijähriges Mädchen zwei Mal überrollt worden (siehe Infobox). Mindestens 18 Menschen waren an dem blutenden Kind vorbeigegangen. Erst eine arme Müllsammlerin kam dem schwer verletzten Mädchen zu Hilfe. Die Zweijährige starb wenige Tage später im Krankenhaus, ein Autofahrer wurde zu dreieinhalb Jahren Haft verurteilt.
"Die Kulturrevolution hat unsere nationalen Tugenden zerstört"
Zhang Lifan macht die traumatisierenden Erfahrungen vieler Chinesen unter der Mao-Zeit für eine mangelnde Empathie verantwortlich: "Die Kulturrevolution hat unsere nationalen Tugenden zerstört." Die von Mao Tsetung initiierte Kampagne in den 1960er- und 1970er-Jahren habe tiefes Misstrauen in China gesät. Mao wies damals Menschen im ganzen Land an, gegen Konterrevolutionäre zu kämpfen. Millionen Menschen wurden für Kleinigkeiten öffentlich gedemütigt oder getötet.
In sozialen Netzwerken in China wurde das nunmehrige Video in kurzer Zeit millionenfach geklickt. Nutzer werteten das Verhalten der Passanten als Beweis, dass die Gesellschaft mit ihrer Jagd nach Geld und Wohlstand auf den falschen Weg geraten sei. Einige erklärten den Mangel an Zivilcourage auch mit der in China verbreiteten Angst, für ein Eingreifen verantwortlich gemacht werden zu können. Immer wieder gibt es Berichte, dass ausgerechnet Helfer bei Unfällen später für hohe Entschädigungszahlungen herangezogen werden.
Kommentare
Da dieser Artikel älter als 18 Monate ist, ist zum jetzigen Zeitpunkt kein Kommentieren mehr möglich.
Wir laden Sie ein, bei einer aktuelleren themenrelevanten Story mitzudiskutieren: Themenübersicht.
Bei Fragen können Sie sich gern an das Community-Team per Mail an forum@krone.at wenden.