Konzern-Schlupfloch
Forscher: EU lässt krebskranke Kinder im Stich
Der Vorwurf stammt vom renommierten britischen Institute of Cancer Research (ICR), das zur Universität von London gehört. Dessen Forscher verlangen gemeinsam mit dem in Frankreich beheimateten Consortium for Innovative Therapies for Children with Cancer, dass die EU-Gesetzgebung geändert wird. Damit könnten zahlreiche junge Leben gerettet oder wenigstens verlängert werden, so die Forscher.
"Viele Krebsmedikamente, die für Erwachsene entwickelt wurden, könnten bei Kindern wirken, wenn wir sie in klinischen Studien testen könnten", sagte Louis Chesler vom ICR, der auch als Kinderonkologe tätig ist, am Montag gegenüber Journalisten. Doch derzeit können sich Pharmakonzerne in der EU vielfach um solche aufwendigen Tests drücken.
EU-Schlupfloch lässt Kinder außen vor
Schuld ist ein Schlupfloch der EU: Krebsmedikamente müssen nicht an Patienten unter 18 Jahren getestet werden, wenn sie gegen eine Krebsart entwickelt wurden, die bei Kindern nicht auftritt. Allerdings können solche Medikamente auch bei Krebsarten wirksam sein, die Kinder betreffen, klagen die Wissenschaftler an. So kann etwa ein bestimmtes Medikament gegen Lungenkrebs auch gegen die Krebsart Neuroblastom helfen - eine der häufigsten bei Kleinkindern, die besonders schmerzhaft und oft tödlich ist.
Seit 2007 hätten von 28 für Erwachsene zugelassenen Krebsmedikamenten alle bis auf zwei Wirkmechanismen gegen Krebs bei Kindern gezeigt, berichtet das ICR. Dennoch seien 14 der Medikamente nie klinischen Studien mit Kindern unterzogen worden, weil Kinder nicht an der Krebsart erkranken, für die die Medikamente entwickelt worden waren.
"Regulierungssystem schrecklich veraltet"
"Kinder haben keinen Zugang zu Medikamenten, die in klinischen Studien verfügbar sein könnten, selbst wenn Wissenschaftler glauben, dass sie Leben verlängern könnten", beschwerte sich ICR-Chef Alan Ashworth am Montag. "Wir sind der Ansicht, dass das Regulierungssystem der EU schrecklich veraltet ist und nicht mit den modernen Auffassungen der Krebsforschung mitgehalten hat."
Ursprünglich war die EU-Regelung zum Schutz von krebskranken Kindern gedacht: Sie sollten nicht unnötigen Tests unterzogen und mit ohnehin unwirksamen Medikamenten für Krankheiten, die sie nicht betreffen, behandelt werden. Mittlerweile sei dieser Ansatz aber veraltet, so die Wissenschaftler. Sie rufen nun die EU dazu auf, die Regeln rasch zu ändern. Jedes Krebsmedikament solle demnach auch auf seine Wirksamkeit bei Kindern hin getestet werden.
Nötig sei dafür allerdings auch, den Pharmakonzernen finanzielle Anreize für diese Art der Forschung zu bieten, so Ashworth. Schließlich würden die derart entwickelten Medikamente für Kinder lediglich eine kleine Anzahl von Patienten betreffen.
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