15 Menschen getötet
Winnenden gedenkt der Opfer des Schulmassakers
Als Sebastian Wolf am 11. März 2009 um 9.35 Uhr in die Albertville-Realschule in Winnenden eindringt, weiß er nicht, was auf ihn zukommt. Gleich im Eingangsbereich sieht der Streifenpolizist auf einem Treppenabsatz eine dunkle Figur, dann hört er es pfeifen. Eine Kugel verfehlt seinen Kopf, er sieht die Gestalt flüchten. Hätten er und seine beiden Kollegen nicht beherzt das Gebäude gestürmt, hätte der Todesschütze Tim K. noch mehr Unheil in seiner ehemaligen Schule angerichtet.
An dem Unglückstag vor fünf Jahren wird vielen die Grausamkeit der Tat erst deutlich, als während der Pressekonferenz in der Schulsporthalle der damalige Innenminister Heribert Rech und Landespolizeipräsident Erwin Hetger vor laufenden Kameras in Tränen ausbrechen. Was sie gesehen haben, verschlägt ihnen fast die Sprache.
Innenminister: "Das war unwirklich und grausam"
Denn im Schulgebäude sitzen zu diesem Zeitpunkt noch acht Schülerinnen an ihren Bänken, mit tödlichen Kopfverletzungen, ein weiterer ermordeter Schüler ist von seinem Sessel gerutscht. Eine Lehrerin liegt tot in einem Fachraum, nachdem Kugeln dessen Tür durchschlagen haben. Zwei Referendarinnen sind tot zusammengesunken im Gang, offenbar weil sie dort nach dem Rechten sehen wollten. Elf Schüler sowie zwei Lehrerinnen wurden zudem verletzt. Rech erinnert sich an die Bilder aus dem Klassenzimmer: "Das kann nicht sein, dass sie tot sind, dachte ich. Das war unwirklich und grausam."
Doch nicht nur in der Schule wütet der 17-Jährige, auf seiner Flucht erschießt er einen Gärtner in einem Park, kidnappt einen Autofahrer, tötet schließlich in einem Wendlinger Autohaus zwei Menschen und verletzt zwei Polizisten schwer, bevor er sich selbst das Leben nimmt.
Bluttat entfachte öffentliche Diskussion über Waffengesetz
Nach der Tat dreht sich die öffentliche Diskussion vor allem um den Täter und seine Motive. Wie konnte in einem kleinen Ort in der schwäbischen Provinz ein unauffälliger junger Mann ein solch unfassbares Verbrechen begehen? Am Anfang aller Erklärungsversuche steht sein Zugang zu einer Waffe, einer Beretta, mit der er schon im Sportschützenverein seines Vaters trainiert hatte. Diese Waffe hatte der Vater im Kleiderschrank unverschlossen deponiert, wofür er wegen Verstoßes gegen das Waffengesetz zu eineinhalb Jahren Haft auf Bewährung verurteilt wurde. Die Munition lagerte im Nachtisch. Tim K. führte zu Beginn des Amoklaufs 285 Kugeln mit sich.
2008 war Tim K. in psychiatrischer Behandlung und hatte unter anderem von Hass und Tötungsfantasien gesprochen. Zum sicherlich nie vollständigen Puzzle gehört auch, dass der Sohn eines Unternehmers geradezu süchtig nach Computer-Ballerspielen sowie ein Waffennarr war. Allerdings wurde er in seiner neuen Schule, einer kaufmännischen Privatschule, nicht als isoliert oder introvertiert wahrgenommen.
Angehörige wollen "den Opfern ein Gesicht verleihen"
Die Angehörigen der Opfer warnten davor, bei den nunmehrigen Gedenkfeiern den Täter in den Fokus zu rücken. "Drehen wir den Spieß um, indem wir den Opfern ein Gesicht verleihen", meinte etwa Gisela Mayer, Mutter einer der ermordeten Pädagoginnen. Mayer und andere Eltern bilden das Aktionsbündnis Amoklauf Winnenden. Es setzt sich für ein Verbot großkalibriger Waffen für Privatpersonen und für schärfere Vorgaben bei Computerspielen ein - beides bisher unerfüllte Forderungen.
Am kommenden Dienstag sollen um exakt 9.33 Uhr in Winnenden die Kirchenglocken läuten. Zu diesem Zeitpunkt hatte Tim K. mit seinem Massaker an seiner ehemaligen Schule begonnen. Drei ökumenische Gottesdienste sind vorgesehen. Am Abend organisiert der Jugendgemeinderat der Stadt mit mehr als 27.000 Einwohnern dann eine Lichterkette. Nicht öffentlich wird der Toten zudem an der Albertville-Realschule gedacht. Die neue Gedenkstätte besteht aus einer Stahl-Ringkonstruktion von sieben Metern Durchmesser, die an einer Stelle geöffnet ist. Auf dem inneren Ringfeld stehen die Namen der getöteten Schüler und Lehrer.
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