Sagen wir, er will einen Geländewagen haben, möchte aber nicht darauf verzichten, im Frühling das Verdeck nach hinten zu klappen und braucht zudem viel Platz für die Familie. Kein Problem - aus dem Baukasten wählt der Kunde die Komponenten aus, die ihm gefallen. Am Computerschirm entsteht so das SUV-Cabriolet mit Kombigepäckraum und sieben Sitzen. Nun noch die Farbe ausgesucht, ein letzter Mausklick, um den Auftrag an den Hersteller zu schicken - und wenig später rollt das gute Stück aus der Fabrik. Was sich wie Science-Fiction anhört, könnte schon in einigen Jahren Realität werden, wenn die Entwicklung so rasant voranschreitet wie bisher.
"Autos werden schon in weniger als zehn Jahren nach individuellen Vorstellungen der Kunden gebaut", sagt Peter Fuß von Ernst & Young. Als Vision halte er das sogar für zwingend, fügt der Automobilexperte und Partner der Unternehmensberatung hinzu. Er geht davon aus, dass der Wettbewerb zwischen den Herstellern dadurch zunehmen wird. Gewinnen würden am Ende die Autobauer, die bereits modulare Baukästen einsetzten. Denn die weitere Individualisierung sei extrem aufwendig. "Die deutschen Hersteller sind da im Augenblick führend, weil sie verstanden haben, was erforderlich ist, um die Kosten massiv nach unten zu treiben und gleichzeitig Nischen zu besetzen. Es geht um den Kampf um Markteile in jedem Segment", sagt Fuß.
Das richtige Auto zum richtigen Zeitpunkt
Die Hersteller treiben sich derzeit gegenseitig an. Weil jeder die Nase vorn haben will, werden die Entwicklungszeiten immer kürzer. Neue Antriebstechniken kommen auf den Markt, immer mehr Unterhaltungselektronik wird in die Fahrzeuge eingebaut. In nicht allzu ferner Zeit übernimmt der Computer das Steuer, während der Fahrer die Zeitung liest oder Mails checkt. Gleichzeitig werden Teile standardisiert, um die Kosten in der Automobilproduktion zu senken. In Europa setzen inzwischen alle Autobauer einheitliche Plattformen für ihre Modelle ein. VW setzt gleiche Teile sogar über mehrere Marken des Konzerns ein. "Die Kunden werden uns abverlangen, dass wir schneller und flexibler agieren, um genau das richtige Auto mit der richtigen Technologie zum richtigen Zeitpunkt zu bieten", sagte Konzernchef Martin Winterkorn auf dem Genfer Automobilsalon.
Die immer spezielleren Bedürfnisse der Kunden zwingen die Branche dazu, die Produktzyklen zu verkürzen. Statt wie bisher alle sechs bis sieben Jahre sollen neue Modellgenerationen künftig alle vier oder fünf Jahre aufgelegt werden. Den Schlüssel dazu hat Volkswagen mit seinen modularen Baukästen in der Hand. Mit ihnen könne VW noch mehr Vielfalt bieten - und auch Nischenmodelle profitabel realisieren, sagte Winterkorn.
Um sich von der Konkurrenz abzusetzen, besetzen die Autobauer bereits jede erdenkliche Nische. Durch Crossover-Autos - also Kreuzungen zwischen verschiedenen Fahrzeugtypen - steigen so die Spielarten. Dabei werden oft Kombis mit den Eigenschaften von Geländewagen versehen. Herausgekommen sind geländetaugliche Großraumlimousinen wie die R-Klasse von Mercedes-Benz oder der bullige BMW X6, den man sowohl bei Ausflügen ins Gelände als auch zu Repräsentationszwecken als Firmenlimousine nutzen kann.
Autos in einigen Jahren "on demand"
Die immer größere Aufsplitterung läuft nach Meinung von Experten darauf hinaus, dass Autos in einigen Jahren "on demand", auf Anfrage also gebaut werden. "Bei technisch weniger komplexen Produkten haben wir das schon", sagt Willi Diez vom Institut für Automobilwirtschaft in Nürtingen-Geislingen. Sportschuhe etwa werden bereits nach individuellen Wünschen der Kunden zugeschnitten. Auch in der Jeansindustrie gibt es dieses Customizing-Prinzip. Warum also nicht auch in der Autoindustrie? "Den Fahrzeugkunden reicht es nicht mehr, ein Stück Hardware mit vier Rädern zu haben", sagt Peter Fuß.
Bereits heute kann man seinen Wagen im Internet individuell konfigurieren. Wer das tut, wird von der Vielfalt der möglichen Varianten bei einigen Hersteller überwältigt. Von der Innenausstattung über die Sitze, die Motorisierung, die Bremsen, Räder bis hin zur Art der Federung und der Elektronik kann man wählen. Opel bietet den kleinen Adam in Deutschland in 65 verschiedenen Farbvariationen an. Noch geht die Auswahl jedoch nicht über Fahrzeuggrenzen hinweg. Wer selbst etwa ein SUV mit einem Kombi oder einer Limousine kreuzen will, stößt an Grenzen.
"Die Grenze ist noch die Karosserie", sagt Elmar Kades von der Unternehmensberatung Alix Partners. "Hier ist der Werkzeugeinsatz sehr hoch und die Variantenvielfalt muss sich rechnen." Auch müssen die Fahrzeuge den Sicherheitsanforderungen genügen und alle Tests überstehen, gibt Kades zu bedenken. Das wirke der Variantenvielfalt entgegen. Aber die Entwicklung gehe klar in diese Richtung.
"Vielleicht ist man in zehn, 15 Jahren soweit, dass man auch das Blechkleid variieren kann", sagt Stefan Bratzel vom Center of Automotive Management in Bergisch Gladbach. Flexible Materialien wie Kunststoff werden bereits eingesetzt. Allerdings dürfte die individuelle Gestaltung der Karosserie für die Hersteller noch eine rote Linie bilden. Denn sie geben Milliarden für Design aus und verbinden ihr Markenimage auch mit einer bestimmten Gestaltung ihrer Wagen. Wenn dies verloren ginge, käme das tatsächlich einer Revolution gleich.
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