Strasser sah sich auch in der Neuauflage des Prozesses als unschuldig, und er zog verbal dick und deutlich eine "rote Linie" zwischen Ernst Strasser, dem Ex-Innenminister und ehemaligen EU-Parlamentarier, und Ernst Strasser, dem Lobbyisten.
Für Oberstaatsanwältin Alexandra Maruna und die britischen Aufdecker-Journalisten Claire Newell und Jonathan Calvert hingegen war sie eher ein verwischter Kreidestrich. Denn sie hatten schon im ersten Verfahren Strasser erheblich belastet - er habe seine "Position als EU-Parlamentarier deutlich hervorgehoben" und genau erklärt, wie eine Änderung von EU-Gesetzen überhaupt möglich sei. Eine neuerliche Befragung via Videokonferenz aus einem Londoner Gericht scheiterte an der Technik, die Protokolle wurden also verlesen.
Harte Worte der Oberstaatsanwältin
Harte Worte fand die Anklägerin auch in ihrem Schlussplädoyer: "Er wird gefragt, ob man auch den Wortlaut des Gesetzes ändern könne, und Strasser bejaht das. Er hat es ernstlich für möglich gehalten, dass er Honorar ausschließlich für die Beeinflussung bestimmter Richtlinien erhält. Geld war das einzige Motiv, auf die Gesetzgebung einzuwirken, der Inhalt war ihm egal." Und Maruna forderte eine empfindliche Strafe: "Strasser hatte Verantwortung für 500 Millionen Menschen übernommen. Und er hat, und das sage ich ganz pathetisch, das Vertrauen in die Demokratie erschüttert, wenn man sieht, wie leicht es ist, einen Abgeordneten kaufen zu können!"
Verteidiger Thomas Kralik hielt sich wesentlich kürzer: "Er sagt in den Videos klipp und klar: Wenn es um meine Ausschüsse geht, ist das tabu - da entscheide ich so, wie es für Europa gut ist. Klarer kann man eine rote Linie nicht ziehen. Man mag ihn moralisch verurteilen. Aber das hier ist keine moralische, sondern eine juristische Instanz. Er wollte beraten, diese Tätigkeit kostet, das ist auch nicht verboten. Nichts anderes wollte er, nie im Leben hat er vorgehabt, sich in die Gesetzgebung einzumischen. Da ist Dr. Strasser zu sehr Demokrat, wie er mit seinem Nein zu dem von den USA begehrten Datenaustausch ja bewiesen hatte."
Richterin ortet Beeinflussung von drei Richtlinien
Nach stundenlanger Beratung des Schöffensenats verkündete Richterin Helene Gnida um 19.50 Uhr das Urteil: "Ernst Strasser ist der Bestechlichkeit schuldig!" Zumindest bei der Edelschrott- und einer Gentechnik-Verordnung sowie einer Richtlinie zur Verwendung gefährlicher Stoffe in Elektrogeräten habe Strasser pflichtwidriges Amtsgeschäft in fremdem Auftrag durchgeführt: "Er war bei seinen Interventionsversuchen von keinerlei sachlichen Motiven geleitet." Dafür forderte er Geld – die ominösen 100.000 Euro. Nicht verurteilt wurde Strasser hingegen im Hinblick auf eine Anlegerschutzrichtlinie.
Mit drei Jahren und sechs Monaten müsste der ehemalige Spitzenpolitiker nun auf jeden Fall in Haft. Eine Fußfessel schloss die Richterin zeitlich begrenzt für die Hälfte der Strafe aus. Sollte das Urteil rechtskräftig werden, hieße das im konkreten Fall, dass Strasser jedenfalls 21 Monate absitzen muss, ehe er die Fußfessel beantragen kann.
Verteidiger: "Am Ende des Tages ein Freispruch"
Kralik sprach in einer ersten Reaktion von einer "Enttäuschung", gab sich aber zuversichtlich, dass auch dieses Urteil nicht halten wird. Er meldete daher sofort Nichtigkeitsbeschwerde und Berufung an, die Staatsanwaltschaft gab vorerst keine Stellungnahme ab. Es sei "erstaunlich, dass das Erstgericht die Vorgaben des OGH nicht beachtet hat und einfach drübergefahren ist", meinte der Verteidiger unmittelbar nach der Urteilsverkündung noch im Gerichtssaal.
Die dreieinhalbjährige Freiheitsstrafe bezeichnete er vor Journalisten als "deutlich überzogen". Dass der ehemalige Innenminister tatsächlich ins Gefängnis muss, hielt der Anwalt unter Verweis auf seine bereits angemeldeten Rechtsmittel für ausgeschlossen: "Am Ende des Tages ist es natürlich ein Freispruch."
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