Ihr kleines Büro nennt sie lächelnd "mein Türmchen". Fast andächtig steigt die 76-jährige Kunstsammlerin die Marmortreppen hinauf. Sie arbeitet täglich im obersten Geschoß des von Heinz Tesar erbauten Essl-Museums. Drei von 7.000 Bildern haben das Privileg, bei ihr zu hängen. Agnes Essl sitzt aufrecht an ihrem aufgeräumten Schreibtisch, vor ihr liegt ein Stapel von ausgedruckten Mails. "Ich habe so viele diese Woche bekommen, ich konnte sie noch gar nicht alle lesen."
Der von ihrem Ehemann gegründete bauMax-Konzern steckt tief in den roten Zahlen. 4.000 Arbeitsplätze sind in Gefahr. Um sie zu retten, will das Ehepaar die Sammlung Essl um kolportierte 85 Millionen Euro an den Staat verkaufen. Es hagelt Kritik, die an Agnes Essl jedoch abzuperlen scheint. "Geld ist gar nicht mein Thema", betont sie mehrfach. Sie lebt für die Kunst.
Im Gespräch mit der "Krone" ist sie sehr zurückhaltend. Erst als sie uns durch die Ausstellungen führt, Geschichten von "ihren" Bildern erzählt, taut Agnes Essl richtig auf.
"Krone": Frau Essl, welches dieser Mails, die da vor Ihnen liegen, hat Sie am meisten berührt?
Agnes Essl: Jenes von Freda Meissner-Blau. Sie schreibt: "Ich weiß, dass ihr leidet. Aber ihr werdet noch stärker, sanfter und weiser aus allem hervorgehen."
"Krone": Sie und Ihr Mann haben auf einzigartige Weise Kunst und Unternehmertum verbunden. Wie konnte es passieren, dass nun das eine für das andere geopfert werden muss?
Essl: Schuld ist die Wirtschaftslage im Osten. Die trifft ja jetzt viele. In Ländern wie Rumänien verdienen die Leute umgerechnet 500 Euro, wenn sie den ganzen Tag arbeiten. Da kann kein Geld übrig bleiben, um Wohnungen zu renovieren. Als die Schwierigkeiten losgegangen sind, hat mein Mann die Immobilien in bauMax gesteckt, das waren zig Millionen. Aber ich will darüber nichts sagen, für das Finanzielle ist mein Mann zuständig.
"Krone": Wie ist die Entscheidung, für die bauMax-Märkte die Kunstsammlung zu verkaufen, zustandegekommen?
Essl: Es war unsere gemeinsame Entscheidung. Leider haben wir erst vor zwei Jahren begonnen, die Kunst aus der Immobiliengesellschaft auszugliedern. Wenn das vor fünf Jahren gemacht worden wäre, dann hätten wir heute freie Hand über das Museum. So ist es eben so plötzlich über uns gekommen.
"Krone": Tut es sehr weh?
Essl: Natürlich bewegt uns das sehr. Unser Herzblut hängt daran. Wichtig ist, dass das Museum bestehen bleibt, auch wenn wir die Sammlung nicht mehr besitzen sollten. Das ist das, was ich empfinde. Niemand besitzt Kunst. Kunst gehört allen, Kunst ist ein öffentliches Gut. Was nützt mir ein Bild, wenn nur ich allein es betrachten kann? Nein, auch andere, ganz viele, sollen glücklich werden damit.
"Krone": Warum soll der Staat jetzt Ihre Bilder kaufen?
Essl: Das muss nicht unbedingt der Staat sein. Wichtig ist, dass die Sammlung nicht auseinandergerissen wird. Und dass wir die Sammlung weiterführen, denn sie ist geprägt von uns. Wir sind ein Familienbetrieb, bei bauMax genauso wie hier im Essl-Museum.
"Krone": Inwiefern sind Sie eine große Familie?
Essl: Sie kennen doch diesen Spruch: "Wie der Herr, so sein G'scherr." Mein Mann und ich sind Christen. Wir achten jeden. Auch Behinderte oder kranke Menschen sind wertvoll und leisten in unseren Betrieben ihren Teil. Können wir 4.000 Mitarbeiter einfach fallen lassen? Darum geht es doch.
"Kone": Verstehen Sie Museumsdirektoren, die sich jetzt kritisch geäußert haben? So unter dem Motto: Für uns war nie Geld da, und dann kauft der Staat gleich eine ganze Sammlung, um eine marode Baumarktkette zu retten...
Essl: Vor zwei Monaten haben uns diese Direktoren überschäumende Statements zum 15. Geburtstag des Essl-Museums geschickt. Grundtenor: Was wäre Österreich ohne die Essl-Sammlung? Ich habe diese Statements jetzt wieder durchgelesen. Warum reden sie jetzt ganz anders? Ich verstehe das nicht.
"Krone": Sind Sie zuversichtlich, dass die Sammlung übernommen wird?
Essl: Ich bin in die Verhandlungen nicht involviert, das ist Sache meines Mannes. Ich denke aber, es ist ein großzügiges Angebot von uns. Stellen Sie sich nur vor, was den Staat allein die Arbeitslosenunterstützung für 4.000 Leute kosten würde. Wenn man alle Bilder auf den Markt werfen würde, dann wäre doch die ganze Kunst nichts mehr wert. Die Galerien würden leiden, die Künstler...
"Krone": Erwin Pröll hat bereits abgewunken. Wie kam das?
Essl: Ich mag Erwin Pröll sehr, sehr gerne, aber da hat er mich enttäuscht. Wenn er uns früher gesagt hätte, dass er Pläne für ein anderes Museum hat, hätten wir uns einiges an Kummer erspart. Wir hätten ihn dann gar nicht mehr buseriert, verstehen Sie?
"Krone": Sind Sie auch mit privaten Geldgebern in Gesprächen?
Essl: Wir warten jetzt einmal den Runden Tisch am kommenden Mittwoch ab.
"Krone": Wenn ein russischer Oligarch...
Essl: Nein, das möchte ich nicht! Nein!
"Krone": Warum?
Essl: Ich habe erlebt, wie mein Vater beinahe von Russen erschossen worden wäre. Sie waren in unserem Wohnhaus einquartiert. Wenn ich die russische Sprache höre, läuft es mir noch heute kalt über den Rücken...
"Krone": Sie haben mehrfach betont, dass Sie mit dem Thema Geld nichts zu tun haben. Wie sehen Sie Ihre Rolle?
Essl: Ich bin hier die Mama für alle (lacht). Meine Aufgabe ist es, die Kontakte zu den Künstlern zu pflegen. Ich gehöre zu den Bildern. Von ihnen kriege ich so viel Kraft, man möchte es gar nicht glauben. Ich bin fest überzeugt, dass diese Energie uns weiterbringt, dass wir eine Lösung finden.
"Krone": Sie sind streng gläubige Protestantin. Inwiefern hilft Ihnen der Glaube?
Essl: Wir würden all die Angriffe, die es jetzt gibt, nicht durchstehen, wenn wir nicht jeden Tag gemeinsam beten würden, uns Kraft aus der Bibel holen. Und so sind wir fest am Arbeiten, dass bauMax sich wieder derrappelt, wie man in Wien so schön sagt.
"Krone": Sie werden im Mai 77. Träumen Sie nicht manchmal davon, sich zur Ruhe zu setzen?
Essl: Auf der faulen Haut zu liegen wäre mir furchtbar langweilig. Mich bestärken alle, dass sie mich hier brauchen. Und ich komm' gerne ins Museum. Wenn ich eines Tages nicht mehr komm', dann bin ich krank...
"Krone": Was ist Ihr Auftrag in dieser Welt?
Essl: Mein Auftrag ist es, Gutes zu tun.
"Krone": Wenn jetzt eine Fee zur Tür hereinkäme und Sie sich was wünschen könnten, was wäre es?
Essl: Da kommen keine Feen herein. (Dann überlegt sie doch.) Ich würde mit ihr durch die Gegend fliegen wollen und ein bisschen plaudern.
"Krone": Sie haben gar keinen Wunsch?
Essl: Nein. Ich habe doch alles.
Ihre Geschichte
Geboren am 16. Mai 1937 in Klosterneuburg. Ihr Großvater ist der Architekt und Baumeister Josef Schömer. 1958 lernt sie während ihres New-York-Aufenthalts, wo sie in der Galerie Zabriskie arbeitet, den Kaufmann Karlheinz Essl kennen, den sie 1959 heiratet. Das Paar hat fünf Kinder und zehn Enkelkinder. Ab den 70er-Jahren bauen die Essls eine Kunstsammlung auf, die heute mit 7.000 Werken zu den bedeutendsten in Europa zählt. Das Essl-Museum ist das größte Privatmuseum Österreichs.
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