"Krone"-Interview

Schinegger: “Konnte zeigen: Schaut her, ich lebe!”

Adabei
26.04.2014 17:01
Tanzverbot für Erik Schinegger! Mit Conny Bischofberger spricht der Kärntner Publikumsliebling über seine böse Verletzung, das Ende bei "Dancing Stars" und die vielen Schmerzen, die er in seinem Leben erleiden musste.

Das "Falkensteiner Hotel" in der Wiener Schottenfeldgasse am Freitagmorgen. Erik Schinegger erscheint mit einer kleinen Sporttasche in der Lobby, nimmt im Leder-Fauteuil Platz, fischt Magnetresonanz-Bilder aus einer roten Plastikfolie und breitet sie vor uns aus: "Der Muskel ist noch immer angeschwollen", erklärt er und streicht über seinen linken Oberschenkel, "doppelt so groß wie der rechte, alles blutgetränkt. Die Ärzte meinten: Du derfst ned amol mehr an Tango tonzn." Er spricht butterweiches Kärntnerisch mit ganz vielen "donn", "dos" und "nit".

Tanzverbot für den Publikumsliebling bei "Dancing Stars": Am Abend war dann nach seinem verletzungsbedingten Rückzug die Luft draußen aus der Show. 

"Krone": Herr Schinegger, Ihre Fans haben Sie am Donnerstag in den "Seitenblicken" weinen gesehen. Warum tut der Abschied so weh?
Erik Schinegger: Bei mir kamen plötzlich die Erinnerungen an den Olympiawinter zurück... Als die Nachricht von der Klinik kam, dass ich nicht mehr Skifahren darf, weil ich eigentlich ein Mann bin. Ich hatte alle meine Sachen im Hotel stehen, kam nie mehr dorthin zurück, musste ohne Verabschiedung mein geliebtes Team, viele Freunde und Freundinnen verlassen. Die hatten dann auch nicht die Kraft, sich noch einmal bei mir zu melden. Es war, als ob man mir plötzlich die Zuneigung entzogen hätte... So habe ich mich am Donnerstag auch gefühlt.

"Krone": Aber es wurde Ihnen nicht die Zuneigung entzogen, ganz im Gegenteil. "Dancing Stars" ohne Erik Schinegger auf dem Parkett war langweilig...
Schinegger: Danke. Ich hätte so gerne noch diesen letzten Tango getanzt. Da muss der Mann ja richtig dominant sein, was gar nicht mein Naturell ist. Ich bin auf gut kärntnerisch "a gonz Kommoder"... Aber der Muskelriss hat es nicht zugelassen. Ich mache jetzt Therapie und muss mich dazwischen immer vier Stunden ausruhen.

"Krone": Ist Ihr Comeback, die Rückkehr in die Öffentlichkeit nach so vielen Jahren, dennoch gelungen?
Schinegger: Ich glaube schon. Das war ja auch meine letzte große Chance zu zeigen, dass ich als Erik Schinegger doch eine Zukunft gehabt habe. Olga Pall, die dann nach mir, also nach Erika Schinegger, die Goldmedaille gewonnen hat, sagte im Dokumentarfilm über mein Leben: "Der Erik durfte damals einfach nichts mehr sein." Ich war viele Jahre ins Eck gestellt und das hat wehgetan. Bei "Dancing Stars" konnte ich zeigen: "Schaut her, ich lebe!"

"Krone": Dabei sind Sie nicht gerade mit großem Tanztalent aufgefallen. Womit haben Sie die Herzen Ihrer Fans gewonnen?
Schinegger: Ich traue mich zu sagen, dass ich ganz gut tanzen kann - sogar besser als einige, die noch im Bewerb sind. Das Taktgefühl, die Bewegungen: Gemeinsam mit meiner wunderbaren Partnerin ist das alles immer besser geworden. Dem Publikum hat gefallen, dass ich ehrlich war. Als ich das letzte Mal getanzt habe, ging ein Raunen durch die Menge, es gab Standing Ovations, alles hat getobt. Sogar der Herr Jeannée hat Sympathien für mich gezeigt. Das ist alles eine große Ehre für mich.

"Krone": Haben Sie vom Sieg geträumt?
Schinegger: Mein Ziel war das Finale. Am Ende entscheidet ja nur das Publikum und deshalb glaube ich, wäre alles möglich gewesen, ja... Ich habe aber immer wieder Probleme mit dem Knöchel gehabt, da hat mir der Arzt Spritzen in die Gelenke gegeben. Vor dem Tanzen hab' ich 500er-Schmerztabletten gebraucht. Trotzdem: Tanzen ist irrsinnig schön, da werden Glückshormone frei, die Leute sollten viel mehr tanzen!

"Krone": Ganz ehrlich: Hat der ORF Sie nicht einzig und allein darum zum "Dancing Star" gemacht, weil Sie früher einmal eine Frau waren?
Schinegger: Natürlich ist das ein Kriterium der Show: Leute mit einem außergewöhnlichen Leben einzuladen. Am Anfang haben viele gesagt: Die Alten kennen nur mehr die Erika Schinegger und von den Jungen kennt den Erik Schinegger sowieso keiner. Okay. Aber jetzt haben mich auch sehr viele Junge kennengelernt.

"Krone": Denken Sie noch oft an Erika?
Schinegger: Wenn ich an meine Kindheit denke, dann sehe ich natürlich das Madl vor mir, das ich einmal sein musste. Ich durfte nie mit dem Traktor fahren, ich habe immer nur abwaschen, häkeln, stricken, putzen müssen. All diese Hausfrauenarbeiten. Die haben gedacht, so bringen sie weiche Züge in mich hinein.

"Krone": Sie wurden in Wahrheit gar nicht als Mädchen geboren. Haben Sie mit der Hebamme einmal ein ernstes Wort geredet später?
Schinegger: (lacht) Nein, die ist schon lange tot.

"Krone": Und mit Ihrer Mutter?
Schinegger: Wenn ich mit ihr geredet habe, hat sie sofort geweint. Ich habe eigentlich durch den Dokumentarfilm meine Vergangenheit aufgearbeitet. Da wurde mir klar, dass es einige Sachen gegeben hätte, die ich meine Mutter, die ein herzensguter Mensch war, gerne gefragt hätte. 

"Krone": Was zum Beispiel?
Schinegger: Warum ihr das nicht aufgefallen ist, dass ich kein Mädchen bin. Das wäre das Schönste für mich gewesen, wenn das gleich nach der Geburt jemand bemerkt hätte. Es hätte mir so viel erspart.

"Krone": Wenn Sie heute Kindheitsfotos betrachten, was geht da in Ihnen vor?
Schinegger: Ich durchlebe noch einmal diese Jahre. Die Traurigkeit, die nach meiner Kindheit immer größer geworden ist. In der Pubertät habe ich mich dann in den Sport geflüchtet. Im Skigewand war ich glücklich. Aber in Privatkleidung war ich traurig, das war für Erika keine schöne Zeit mehr. 

"Krone": Haben Sie sich damals schon als Mann gefühlt?
Schinegger: Nein. Ich habe meine Defizite gespürt. Ich wollte Brüste haben... Ich dachte, ich bin vielleicht lesbisch oder ich gehöre gar nirgends dazu. Das war schlimm. 

"Krone": Wie kam es, dass Sie sich für eine Operation entschieden haben?
Schinegger: Nachdem ich nicht mehr Ski fahren durfte, ist für mich eine Welt zusammengebrochen. Ich hätte mit meiner Goldmedaille glorreich bis ans Lebensende als Erika Schinegger leben können. Mit Hormonen und plastischer Chirurgie kann man ja einiges machen. Aber ich dachte mir: Ich will jetzt wissen, was mit meinem Körper los ist, wer ich wirklich bin. Ich wurde in der Frauenabteilung der Klinik untersucht. Da hat mein Arzt, der Herr Professor Marberger, gemeint: Es gibt auch einen anderen Weg. Ich kann aus dir einen Mann machen. Aber dieser Weg ist der weitaus härtere. Er ist ungewiss und sehr, sehr steinig.

"Krone": Was war rückblickend das Schmerzvollste an diesem Weg?
Schinegger: Dass der Skiverband mich wie eine heiße Kartoffel fallen gelassen hat. Ich bin bis zum Schluss ausgenützt worden - solange ich gesiegt habe. Dann haben sich auf einmal alle von mir abgewendet. Ich bin auf mein zweites Leben überhaupt nicht vorbereitet worden - ich hatte nicht einmal eine psychologische Betreuung.

"Krone": Wie hat Ihre Umgebung reagiert?
Schinegger: Sie hatten alle Angst davor, einem neuen Menschen zu begegnen. Dabei ist der Mensch Erika und der Mensch Erik ja derselbe. Am offensichtlichsten war es beim Kirchgang. Dort musste ich von einem Tag auf den andern die Seiten wechseln. Frauen links, Männer rechts! Auf einmal haben alle sich umgedreht und zu mir rübergegafft. 

"Krone": Was hat Ihr Leidensweg Sie gelehrt, Herr Schinegger?
Schinegger: In erster Linie Toleranz. Jeder muss selber glücklich sein, er braucht nicht für die andern glücklich zu sein.

"Krone": Worum geht's im Leben?
Schinegger: Das Wichtigste ist, zu sich selbst zu finden und bei sich selbst zu bleiben. Auch wenn die Umg heraus zufrieden bist mit deinem Leben, dann werden auch die andern dich mögen. "Dancing Stars" war dafür der endgültige Beweis.

Seine Karriere
Erika Schinegger kommt am 19. Juni 1948 in Agsdorf, Kärnten, auf die Welt. 1966 wird sie Weltmeisterin im Abfahrtslauf. Vor den Olympischen Spielen 1968 ergeben Tests, dass Schinegger genetisch ein Mann ist. Es folgt eine OP. Erik Schinegger heiratet und wird Vater einer Tochter (Claire, 36). Heute ist der Besitzer einer Kinderskischule in zweiter Ehe mit Christa verheiratet und bald dreifacher Großvater. Sein Leben wurde in der Doku "Erik(A) - der Mann, der Weltmeisterin wurde" verfilmt.

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(Bild: kmm)



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